Feuertaufe — Vorstöße ins „Niemandsland" — Menschliche Scheiben — Ein Blutbad — Prüfungen und Beförderung zum
Offizier
In Frankreich angekommen, machten wir recht enttäuscht die Entdeckung, daß der Krieg sich festgefahren und sich zum Schützengrabenkrieg ausgebildet hatte. Kavallerie konnte man nicht gebrauchen, und so teilte man uns Infanterie-Regimentern zu. Unser 40 kamen zum 7. Bataillon des Queens Royal West Surry Regiments, einer Einheit der 55. Brigade in der 18. Division. Das Bataillon war das berühmteste der besten Kampfdivision, die den großen Krieg mitmachte.
Es ist mir nicht möglich, die Gefühle zu beschreiben, die mich überliefen, als ich das erstemal in Granatfeuer kam. Es möge genügen, wenn ich sage, daß meine Begeisterung und mein Eifer, gleich mitten in den Krieg hineinzukommen, einen beträchtlichen Dämpfer erhielten. Unsere erste Handlung war der Transport von Lebensmitteln und Pioniergerät aus dem Hintergelände zur vorderen Linie. Das Gelände, über das wir gehen mußten, war wenige Tage vorher der Schauplatz einer heißen Schlacht gewesen und übersät mit Granattrichtern. Tote deutsche, britische und französische Soldaten lagen in jeder Stellung herum — hier und dort ein totes Pferd — eine zusammengebrochene Feldkanone. Niemals zuvor hatte ich einen Toten gesehen; meine ganze Seele füllte sich mit Grausen — mir war schlecht bis in die Eingeweide.
Ich versuchte, mir alles eindringlichst vorzustellen, schaute wieder auf diese toten Soldaten, auf die armen, stummen Tiere, die da lagen mit glasigen, nach oben gedrehten Augen, und war unfähig, zu denken. Da ging mir auf, daß hier eine verdammt ernsthafte Arbeit geleistet werden mußte, daß ich mich zusammenreißen und sehen sollte, mit dem mir zufallenden Teil an dieser Arbeit fertig zu werden. — C'est la guerre.
Man sagt, daß der Mensch sich an fast alles gewöhnen könne. Meine Erfahrung aber während dieser schrecklichen Tage in den Schützengräben läßt mich anderer Meinung sein. Ich habe das Unglück, mit einem außerordentlichen Vorstellungsvermögen bedacht worden zu sein, und so sind meine Gefühle während Granatfeuers einfach unbeschreibbar. Ich war immer sehr verschreckt und mußte mich mit Gewalt zusammennehmen, wenn ich nicht den Verstand verlieren und sogar ausreißen wollte. Nachts war es stets am schlimmsten, und es war schwer, diese öden, sich dahinschleppenden Stunden auszufüllen. Die Lösung dieses Problems kam in Gestalt eines Befehls, an einer Patrouille in das „Niemandsland" teilzunehmen. Als Spezialist im Handgranatenwerfen war gerade dieses etwas für mich. Ich strich deshalb jeden Abend, bevor die Dunkelheit kam, um den Kompaniebefehls-Unterstand herum, immer mit der Absicht, mich sofort zu melden, sollte eine Patrouille oder ein Überfallskommando gebraucht werden. Ziemlich berühmt wurde ich durch meine Teilnahme an solchen Unternehmungen, und manche hielten mich sogar für einen tapferen jungen Burschen. Ich hatte aber niemals den Mut, zuzugeben, daß ich diese besonders an die Nerven gehende Beschäftigung geradezu suchte, nur weil es mir schrecklich war, im Graben zu bleiben.
Zur Zeit des deutschen Rückzuges an der Somme im Januar 1917 wurde ich 18 Jahre alt und war bereits mehr oder weniger ein alter erfahrener Veteran mit dem Range eines Sergeanten; ich kommandierte die Gruppe Nr. 13 der D-Kompanie meines Bataillons. In diesen Tagen hielten wir eine Granaltrichterstellung vor Grandcourt in Bereitschaft für eine große Offensive. Da stellte es sich plötzlich heraus, daß die Deutschen ihre Stellungen aufgegeben und nur eine kleine Nachhut zur Deckung des Rückzuges hinter sich gelassen hatten. Hier fiel mir plötzlich ein, daß heute mein 19. Geburtstag war, und ich mußte lachen über den Gedanken an mein Geburtszeugnis, welches sicher im Ordonnanzzimmer der Ponsomby-Baracken des Curragh Camp in England lag. Ich konnte mir den angehefteten Brief meiner Eltern vorstellen, mit dem sie die Regierung baten, mich nicht an die Front zu senden, bevor ich das entsprechende Alter erreicht hätte. — Ernsthaftere Gedanken aber lösten diese ab.
Die Deutschen waren im Rückzug, wir im Vormarsch und es gingen Gerüchte, daß der Krieg zu Ende sei. — Nach vielen Tagen ermüdenden Marsches bekamen wir wieder Fühlung mit den zurückgehenden deutschen Truppen und es bildete sich eine Linie vor den Dörfern Irles, Pis und Serres. Hier ging ich hart an Tod oder Gefangenschaft vorbei.
Meine Gruppe war einem Vortrupp zugeteilt, der feststellen sollte, ob Irles besetzt sei. Wir mußten im vollen Tageslicht über offenes Gelände vorgehen, ohne ein einziges gnädiges Granatloch, in dem wir im Falle einer Beschießung Deckung finden konnten. Wir waren die reinsten menschlichen Scheiben. Alles ging gut, bis wir die Ausläufer des Dorfes erreichten. Nun tauchten plötzlich feindliche Truppen, die uns jeden Augenblick von Anfang an beobachtet hatten, in großer Zahl aus dem Nichts auf und schossen aus nächster Entfernung auf uns. Es erfolgte der Befehl, das Feuer zu erwidern, was aber zwecklos war, denn wir befanden uns hoffnungslos in der Minderzahl, und so erging der Befehl zum Zurückgehen. Die meisten meiner Kameraden fielen entweder oder wurden gefangen. Unser dreien gelang es, ungefähr WO Meter zurückzurennen, während ein Hagel von Blei uns um die Ohren pfiff. Z-Z-Zing — schlugen die stahlbemantelten Boten des Todes um uns in die Erde! — Es war eine Symphonie des Todes! Wie wir jemals den Schutz des unbenutzten großen Wassertanks, der in der Mitte des Feldes lag, erreichten, ist mir unklar. Alles verschwamm mir vor den Augen vor rasendem Herzklopfen. Es war wie ein Alpdrücken — es kam uns vor, als ob wir unsere Füße nicht mehr vom Boden wegbrächten. In jedem Augenblick erwartete ich den brennenden Schlag zu bekommen, wie ihn eine Kugel macht, wenn sie ihren Weg ins Fleisch sucht. Im Nu gruben wir uns in die Erde, wie die Wahnsinnigen scharrend und arbeitend, daß uns die Nägel brachen und die Finger bluteten. Ein betäubender Lärm war um uns. Ich beobachtete mit fiebrigen Augen die kleinen Stahlsplitter, die von dem Tank absprangen, wenn wieder ein Geschoß das Metall durchschlagen hatte und knapp über unseren Köpfen herauskam. Bis zum Eintritt der Nacht blieben wir im Schutze des Wassertanks, und unter dem Mantel der Dunkelheit schlüpften und krochen wir dann von einer dürftigen Deckung zur anderen, bis wir unsere eigenen Stellungen erreicht hatten. Buchstäblich Hunderte von Löchern wies der Tank auf, hinter dem wir Zuflucht gesucht hatten, und meine letzte Vorstellung davon, wie er hinter uns in der Dunkelheit verschwand, war die eines ungeheuren umgestülpten Siebes.
In einem modernen Krieg ist wenig Zeit zum Träumen ... bei Tagesanbruch warfen wir uns wieder auf die deutschen Linien. Kurz darauf erhielt ich eine Schußwunde in das rechte Bein und wurde zur australischen Verbandstation Nr. 1 in der Nähe von Albert gebracht. Albert ist die Stadt mit der berühmten lehnenden Statue der Jungfrau Maria in der zerstörten Kathedrale. Ich hatte einen schweren Anfall von Schützengrabenfieber und lag tagelang in Delirien auf einer Bahre. Rasch aber genas ich wieder, und bald konnte ich mich auf den Weg machen, mein Bataillon zu suchen, welches eben mit Überresten der Division an einen neuen Frontabschnitt befördert worden war. Eine ganze Woche lang fuhr ich kreuz und quer durch Frankreich in Viehwagen, Motorzugmaschinen usw., bis ich das Bataillon in einem Dorfe in der Nähe von Bethune fand. Wir kamen nach Bethune und wurden in Arbeiterhäusern untergebracht, mußten aber immer auf dem Sprunge sein, uns innerhalb sechs Stunden in die Linie einzureihen, da wir als Verstärkung für eine neue Division, die ihre Feuertaufe erhielt, gedacht waren.
Es blieb nicht lange dabei. Nach einer Woche ungefähr wurden wir in aller Eile nach Arras geworfen, zogen in die erste Linie zwischen Cherisey und Fontaine les Croixelles am 2. Mai 1917 um Mitternacht ein und griffen die deutschen Linien am nächsten Morgen um 3.45 Uhr an. Dies war mein schrecklichstes Erlebnis im ganzen Kriege, hauptsächlich deswegen, weil der ganze Angriff ein großer Fehlschlag war, ein ungeheurer Wirrwarr herrschte und entsetzliche Verluste erlitten wurden. Bataillone, die am Morgen siebenhundert Mann stark waren, hielten am Abend Musterung über zwanzig bis dreißig Mann, einschließlich aller Dienstgrade. Ich war einer von denen, die so glücklich waren, mit heiler Haut durchgekommen zu sein. Auf Grund meiner Tätigkeit in dieser Kampfhandlung wurde ich mit anderen Mitgliedern meines Bataillons zur Militärmedaille vorgeschlagen. Diese Auszeichnung habe ich jedoch nie bekommen, hauptsächlich deswegen, weil mein Kompanieführer, der für die Weitergabe meines Namens zwecks Verleihung verantwortlich war, kurz darauf im Kampfe gefallen ist.
Bald nach diesen Vorgängen wurde ich zum Offiziersstand vorgeschlagen, vom Brigadekommandeur empfangen und zu einem Instruktionskursus an der Kadettenschule nach England beordert. In England angekommen, meldete ich mich beim 20. Offiziers-Übungsbataillon in Church Crookham in der Nähe von Aldershot, wo ich mich dem vier Monate dauernden Instruktionskursus unterzog, der mich für meinen neuen Stand vorbereiten sollte. Nach Abschluß des Kursus bestand ich die Prüfungen des britischen Kriegsamtes und wurde als Unterleutnant dem 8. irischen Königs(Liverpool-)Regiment zugeteilt. Ich war ziemlich enttäuscht, nicht zu einem ganz irischen Regiment gekommen zu sein, aber noch bevor es ernst wurde mit den 8. Iren, war ich völlig zufrieden; denn ich fand, daß es eines der feinsten Regimenter war, in dem zu dienen je einer die Ehre haben kann.