Sterne unter uns — In den Fängen des Sturmes — Das Ölleck - Quälende Momente — Land ohne Leben — Endlich Menschen — Die Zufluchtstätte

 

Meine Gedanken kehrten in die Wirklichkeit zurück und ich erinnerte mich, daß wir ungefähr ein Dutzend Fleischbrote, einige geschälte Orangen und Bananen hartgekochte Eier und Thermosflaschen voll Kaffee, Tee und Fleischbrühe mit uns führten. Unsere erste Mahlzeit bestand in einem belegten Brot und einem hartgekochten Ei für jeden, dazu etwas Tee, und wurde am Donnerstag morgens elf Uhr (12. April) eingenommen. Freiherr v. Hünefeld richtete zu und servierte durch die Öffnung in den Führerraum.

Selbst wenn man zufällig im Flugzeug über dem Ozean kreuzt, ist es schwer, mit alten Gewohnheiten zu brechen. Der Freiherr hielt den Fünf-Uhr-Tee ein, aber nach einer Stunde, als das Wetter ziemlich schlecht zu werden begann, beschlossen wir, bevor wir an die ernste Angelegenheit des Nachtfluges gingen, noch ein kräftiges Mahl zu uns zu nehmen und hatten Butterbrote, Bananen mit Tee und Kaffee. Für zukünftige Ozeanflieger möchte ich hier bemerken, daß es nicht klug ist, die Auspuffrohre des Motors zu nahe am Führerraum anzubringen. Die Benzingase vom Motor mit meinem Essen gemischt bekamen mir nicht, ja, ich wurde zum erstenmal in meinem Leben so etwas wie luftkrank.

Seit wir die irische Küste verlassen hatten, bis wir an die Nebelbänke kamen, war tagsüber die „Bremen" nie höher als etwa 15 Meter über der Oberfläche des Wassers, außer wenn wir auf Ostwind trafen und dann bis zu etwa 300 Meter hoch gingen, um die Windgeschwindigkeit in dieser größeren Höhe nach Kräften auszunutzen. Immer, wenn wir auf Gegenwind trafen, hielten wir uns so tief wie möglich. Während der Nacht jedoch stiegen wir auf ungefähr 1800 Meter, um uns vor der Gefahr des Anrennens gegen einen Berg zu schützen, sollten wir in dickem Wetter, ohne daß wir es wußten, die Küste erreichen. Wir hielten diese Höhe die ganze Nacht hindurch. Köhl hatte, als es dunkel geworden war, die Innenlichter in der Kabine angedreht, aber aus irgendeinem Grund versagten sie, und wir waren gezwungen, die Taschenlampen, mit denen wir uns in Baldonnel versehen hatten, zu benutzen. Bedauerlicherweise konnten wir diese nur immer ganz kurz aufleuchten lassen; denn der Reflex von den eingeglasten Instrumenten blendete uns sehr stark. Einmal, als Köhl flog und ich kurz einschlief, entglitt die Lampe meiner Hand und fiel auf den Boden des Führerraums. Als ich aufwachte und auf die Instrumente, besonders auf den Kompaß sehen wollte, merkte ich es natürlich gleich, und ich mußte in der Enge unter den Führersitzen lange suchen, bis ich sie wiederfand.

Während eines Teiles des Fluges konnten wir eine höchst sonderbare Erscheinung beobachten. Tagsüber hatten wir nach der Sonne navigiert und als nun die Sterne herauskamen, richteten wir uns nach diesen. Nach einiger Zeit fiel mir zu meiner Überraschung plötzlich auf, daß Sterne unter uns waren, und ich hatte das eigenartige Gefühl, wir flögen auf dem Rücken. Auch Köhl hatte (Eis augenscheinlich bemerkt. Auf den ersten Blick dachte ich dann, ich sähe ein Schiff unter uns, dann vielleicht einen Leuchtturm und wiederum schien es mir, als zöge eine ganze Flotte unter uns dahin. Der Horizont war völlig verschwunden und es kam uns vor, als seien wir in der Mitte einer Kugel, umgeben von glitzernden Sternen, aufgehängt. Erst als wir ein Sternbild am Himmel beobachteten und dies dann unter uns wiedererkannten, wurde uns offenbar, daß die Erscheinung von der Wiederspiegelung der Sterne auf der glasglatten Oberfläche des Ozeans verursacht wurde.

Sicher, daß wir, je näher es auf die Küste von Nordamerika zuging, auf schlechtes Wetter stoßen würden, wechselten uns Köhl und ich in halbstündigen Zwischenräumen in der Führung der „Bremen" ab. Einsam saß hinten der Freiherr, allein mit seinen Gedanken.

Wir befanden uns in einer Entfernung von etwa 400 Meilen vom Land, das wir für die Küste von Neufundland hielten, als unmittelbar vor uns in einer Ausdehnung, soweit das Auge reichte, von Norden nach Süden eine undurchdringliche graue Nebelwand auf tauchte. Der Ozean unter uns begann in wildem Aufruhr zu toben. Rasende Wogen, die ihre zornigen Schaumfinger nach dem Fahrgestell zu strecken schienen, wurden sichtbar. Beide waren wir nun völlig wach und versuchten, über die Nebelbank zu klettern. Da ein scharfer Südoststurm uns umheulte, bestand unsere einzige Hoffnung, steten Kurs beibehalten zu können, darin, daß wir in Sicht der Sterne blieben; denn auf den Kompaß würde infolge der großen Schwankungen magnetischer Einflüsse über dieser schwierigen Flugstrecke wenig Verlaß sein. Wir näherten uns rasch dieser Neufundland-Nebelbank und konnten sehen, daß sie bis in den Himmel reichte und sich mit den niederen Wolken, die über uns verschwanden, verband. Jetzt blieb nur noch übrig, so tief wie möglich zu bleiben und uns ganz auf unsere Instrumente zu verlassen. Pechschwarze Dunkelheit umgab uns. Wie wir so nah über den hochgehenden Wellen dahinflogen, erhielten wir eine Anzahl Stöße, die unseren Metall-Eindecker bald in die erbarmungslose See gestürzt hätten. Eine durchdringende Kälte herrschte und der Nebel und das Eis hüllten uns ein wie eine Umklammerung von der Hand des Todes. Wie dankbar war ich doch, daß die Mechaniker in Baldonnel die Flügel und den Rumpf mit Paraffin und Öl eingerieben hatten, um eine Eisbildung zu vermeiden. Köhls Gesicht zeigte eine grimmige Entschlossenheit. Es war ein Kampf der Menschenkraft gegen die Elemente. Die tödliche Eintönigkeit dieses Kampfes! Mein ganzer Körper schmerzte. Ich hatte das Gefühl, als ob jemand Sand in meine Augen gestreut hätte. Auch Köhl nahm von Zeit zu Zeit die Brille ab, um seine blutunterlaufenen Augen zu reiben, und sein Strecken zeigte mir, daß auch ihn die ermüdeten Muskeln schmerzten.

Der unheimliche Nebel wollte nicht weichen, da kam ein anderer Schlag, und es hing daran bis zu einem gewissen Grade das ganze Schicksal der „Bremen". Als meine Taschenlampe hinunterfiel, bemerkte ich eine große Menge Öl auf dem Boden und über meinen Schuhen. Ein Ölleck! War die Lage schon gespannt, in diesem Augenblick strafften sich unsere Nerven plötzlich bis zum Zerspringen. Durch die lange und beständige Vibration des Motors mußte eine Ölleitung gebrochen sein und die wertvolle Flüssigkeit lief auf den Boden des Flugzeuges aus. Vergebens versuchte ich, die Bruchstelle zu finden. Hauptmann Köhl schloß das Reserveöl an, und zu meiner größten Genugtuung zeigte das Ölstandsglas „voll". Als ich aber 5 Minuten später wieder hinblickte, war es statt voll dreiviertel leer. Wir sahen uns einer unausdenkbaren Lage gegenüber. Die „Bremen" hielt südwestlichen Kurs auf die Küste von Neufundland zu, aber wenn wir überlegten, daß unser Ölvorrat jeden Augenblick ausgehen konnte, und wir ja nicht wußten, wieviel Öl wir schon verloren hatten, bevor es uns aufgefallen war, dann war es das Vernünftigste, stracks nach Nordwesten zu fliegen, um sobald wie möglich auf Land zu stoßen. Es blieb nichts übrig, als die Zähne zusammenzubeißen, eisern nach Westen zu halten und zu hoffen, daß das Festland bald vor uns auftauchen würde. Wir strengten beide unsere Augen an in dem Bestreben, die Strahlen eines Leuchtturmes ausfindig zu machen, der uns die ersehnte Gewißheit, daß wir uns wenigstens über Land befänden, geben würde; aber nichts zeigte sich in der tintenschwarzen Finsternis. Sogar die Instrumente schienen uns anzugrinsen und Gesichter zu schneiden über unsere vergeblichen Bemühungen.

Langsam schleppten sich die quälenden Augenblicke dahin, während die „Bremen" ständig nach Westen zuhielt. Vor übergroßer Ermüdung verfiel ich manchmal in kurzen Schlummer, um gleich mit rasendem Herzklopfen wieder aufzuschrecken, und mit brennenden Augen und wirren Gedanken rief ich mir dann unsere Lage ins betäubte Bewußtsein zurück. Mir kam es vor, als ob unendliche Stunden endlosen Fliegens vergangen waren, da plötzlich verschwand die dicke Nebelwand hinter uns und der dunkelblaue Himmel über unseren Köpfen war besät mit höchst willkommenen Sternen. Sofort stellten wir fast direkt über uns und wenig rechts den Großen Bären und den Polarstern, die getreuen Führer der Seefahrer so vieler Jahrhunderte, fest. Mit einem großen Seufzer der Erleichterung überprüften wir unseren Kurs nach den Sternen und fuhren fort, zwei lange ermüdende Stunden gegen Westen zu fliegen.

Auf einmal sah ich beim Hinunterschauen breite Flecken, die mir wie auf dem Wasser liegender Nebel vorkamen. Nach eingehender Prüfung mit dem Fernglas stellten sie sich als weite Flächen schneebedeckter Wälder heraus. Ich machte Köhl aufmerksam und bemerkte, wie ein breites Lächeln über sein Gesicht zog, als er sich vergegenwärtigte, daß wir die Küste von Nordamerika erreicht hatten. Unsere Augen waren zu ermüdet, um von der Höhe aus, in der wir flogen, die genaue Ausdehnung unter uns ausmachen zu können. Immer Kurs haltend, brachten wir die „Bremen" näher zur Erde, behielten zur Sicherheit aber immer noch genügend Höhe. Eine weiße Leuchtrakete wurde abgeschossen, während das Flugzeug langsam kreiste, um uns eine Beobachtung zu ermöglichen. Die Dunkelheit jedoch verschluckte das Licht, bevor wir irgend etwas unter uns erkennen konnten. Erst nach Abschießen von zwei oder drei weiteren Leuchtraketen stellten wir einen großen bewaldeten Hügel gerade unter uns fest. Auf dem Boden lag eine weiße Schneedecke, und die Äste der Bäume schienen reifbedeckt. Nun mußten wir in der alten Richtung weiter fliegen und auf die Dämmerung warten. Bei den ersten grauen Streifen Tageslichtes konnten wir in ungeheurer Ausdehnung schneebedeckte Wälder und gebirgiges Land unterscheiden. Kein Zeichen von Leben war sichtbar.

Wo blieben die langgewundenen dichten Straßen, die breit angelegten Flugfelder, wo waren die fabelhaften Fabrikanlagen von Nordamerikas Industrien? Es schien, als ob wir in eine unwirtliche Einöde geraten wären. Kein Bauchwölkchen, kein betretener Pfad auf dieser endlosen Schneewüste, kein Lebewesen, nicht einmal ein Vogel war zu sehen. Die Stunden des Herumgeworfenwerdens im sturmgepeitschten Nebel und der Kurswechsel, den wir wegen des Ölleckes und Versagen des Lichtes im Führerraum hatten vornehmen müssen, machten Köhl und mir nun schweren Kummer wegen der Feststellung unserer Lage. Ich riß hastig ein Stück eines Umschlages, den ich in der Tasche hatte, ab, und kritzelte darauf das Wort „Labrador" und reichte es Köhl. Der schüttelte sichtlich bekümmert über die schlimme Lage den Kopf. Wir prüften und prüften unseren Kurs, nahmen zu unseren Instrumenten die Sonne zu Hilfe und stellten schließlich fest, daß wir uns viele Meilen über dem Inland von Labrador befinden müßten. Nunmehr nach der Sonne navigierend, drehten wir nach Südosten und flogen so in der beißenden Kälte einer ausgestorbenen Landschaft dahin. Trotz unserer Müdigkeit spähten wir scharf nach etwaigen Landmarken aus, die uns die Orientierung ermöglichen konnten. Quälende Minuten wurden zu Stunden. Hände und Füße und sogar das Hirn schien zu erstarren in der bitteren Kälte. Endlich fanden wir einen breiten, an beiden Seiten von Bergen eingeschlossenen Fluß, der fest gefroren und mit Schnee bedeckt war. Nicht die Spur eines Lebewesens auf der jungfräulichen Weiße, die wie ein Leichentuch über dem Fließen des Wasser lag. Wir gingen bis etwa 3 Meter über die Oberfläche herunter und versuchten zwei Stunden lang vergebens, irgendwelche Orientierungspunkte zu finden. Unser Betriebsstoffvorrat machte uns große Sorgen; denn nachdem wir alle Behälter durchgeprüft hatten, stellte es sich heraus, daß wir nur noch für ungefähr drei Stunden Gasolin hatten. Wir hielten weiter nach Südosten zu, dauernd auf der Ausschau nach einem Zeichen von Leben.

Die Strapazen des Ozeanfluges waren außerordentlich gewesen, und einem sicheren Tode in der rauhen, unbewohnten Wildnis dieses arktischen Landes entgegenzugehen, schien doch eine zu grausame Belohnung. Nach allem, was wir mitgemacht hatten, mußte ich unwillkürlich denken, daß jene anderen, die den Ozean in westlicher Richtung überkreuzt hatten, in solch entlegenen Gegenden zugrunde gegangen sein mögen. — Ich versuchte, mir alles ins Gedächtnis zurückzurufen, was ich über Labrador und die Arktis gelesen hatte, die Bücher von Dr. Greenfell und Hudson Stuck und jene prächtigen Erzählungen von Cooper über die Indianer des Nordens. Auch selbst bin ich schon einmal verloren gewesen. Das war im Moore von Allen, als ich mit zwei Gefährten drei Tage lang marschierte und wir von Vogeleiern lebten, die wir uns gesucht hatten, bis wir schließlich auf Torfstecher getroffen waren, welche uns die Richtung nach Hause wiesen. Nebenbei — ich bekam eine glänzende Tracht Prügel dafür.

Ich dachte mir aus, daß wir, sollten wir an einer verlassenen Stelle herunterkommen, zuerst eine Besprechung abhalten müßten, um Mittel und Wege ausfindig zu machen, wie zur Zivilisation zurückzukommen sei. Zunächst müßten wir uns gut ausruhen, und das konnte in der Maschine geschehen. Eine allgemeine Vorstellung des Aufenthaltsortes würde uns der Stand der Gestirne geben und so wäre es auch möglich, die ungefähre Richtung, in der wir am ehesten auf menschliche Ansiedelungen stoßen würden, zu schätzen. Da wir über Schnee marschieren müßten, würde eine Art von Schneeschuhen erforderlich sein und mit der kleinen Axt, die wir in der „Bremen" hatten, konnten wir uns Ski behelfsmäßig anfertigen. Auch zum Holzmachen würde die Axt zu gebrauchen sein. Wie aber Feuer machen? Wir brauchten es der Wärme wegen und zum Kochen. Zündhölzer hatten wir wegen der Feuersgefahr nicht mitgenommen; Freiherr v. Hünefeld führte aber einen Zigarettenanzünder bei sich. Sollte der aber nicht gehen, dann mußten wir sicher alle umkommen. Ich zermarterte mein Gehirn nach einer Lösung und fand sie schließlich im Anlassermagneten. Wir konnten ihn aus dem Flugzeug ausbauen, er hatte einen Handgriff und gab gute starke Funken. Nahmen wir dann zur Vorsicht etwas von unserem Betriebsstoff mit, dann konnten wir ziemlich sicher unter allen Umständen Feuer machen. Hier würde dann wieder die Axt gelegen kommen, um einen der Betriebsstoffbehälter vom Inneren des Flugzeuges zu entfernen. Ich versuchte mir vorzustellen, wie wir leben würden. Von unseren belegten Broten, hartgekochten Eiern und Thermosflaschen voll Kaffee und Tee hatten wir bis jetzt nur wenig genossen und könnten dies mit uns nehmen. Aber was, wenn die Nahrungsmittel zu Ende waren? Vielleicht würden wir auf einen Fluß stoßen, an dem entlang wir hinunter ziehen konnten. Schlügen wir Löcher ins Eis, dann konnten wir fischen; freilich hatten wir keine Ruten, Angelschnüre oder Haken, aber eine gewöhnliche Schnur, eine gebogene Nadel und rotes Papier als Köder würden gehen. Ich wußte, daß dieses möglich war; denn oft hatte ich Fischer auf diese Weise die Fische anlocken sehen.

Einen schauderhaften Schrecken aber hatte ich vor Wölfen und zwar von der Lektüre der Blut- und Donnerbücher her. Geschichten fielen mir ein von Leuten, die von Rudeln von Wölfen gejagt worden waren. Ein Wolf aber frißt den anderen, wenn er tot ist, wie ich wohl gehört hatte. Wie sollten wir die Wölfe jedoch töten, ohne zuerst von ihnen zerrissen zu werden? Nun, meine Leuchtpistole und 15 Patronen konnten hier vielleicht von 'Wert sein. — Dann überlegte ich, daß wir mit dem Magneten, mit dem Betriebsstofftank und den Fischen, die wir fangen würden, nicht gut vorwärts kommen konnten ohne ein Transportmittel. Mit der Axt würde es gegebenenfalls gelingen, einen Schlitten herzustellen, den wir dann, wählten wir unseren Weg einen Fluß entlang, ohne große Schwierigkeiten ziehen konnten, wobei wir uns abwechseln würden, wie Köhl und ich es in der Führung der „Bremen" getan hatten. — Wie würden wir schlafen? Tagsüber hielt uns beim Marschieren unsere schwere Fliegerkleidung warm, aber nachts bestand die Gefahr des Erfrierens, und da müßte immer einer am Feuer wachen. In besonders kaltem Wetter müßte noch irgendein anderer Schutz beschafft werden. Mir viel ein, gelesen zu haben, daß die Eskimos ihre Hütten aus einem Geflecht von Zweigen herstellen, die sie mit Schnee bedecken. In Unterschlupfen solcher Art würden wir die schlimmste Kälte bestehen können. Die Entfernungen, wußte ich, waren enorm. Es könnte sein, daß wir 6 Monate brauchten auf unserem Weg zurück zur Zivilisation. Wenn sich das Eis löste, konnten wir wohl ein Floß bauen, den Strom hinunterschwimmen und nur anhalten, um es über Wasserfälle hinwegzuziehen oder wenn wir schlafen wollten. — Es war natürlich auch möglich, das wir das alles nicht aushalten würden und ich überlegte, in welcher Reihenfolge wir wohl dahin gehen müßten, sollten wir an Erschöpfung sterben. — Wer würde der erste sein, und wer der letzte, und was für ein Gefühl wäre das? Ich dachte an Kapitän Scotts Schicksal in der Antarktis und an den Heldenmut seines Gefährten, der in den Schnee hinausging, als er einsah, daß er die Rettungsmöglichkeiten für die anderen in Gefahr brachte.

Bald aber gewann Optimismus die Oberhand über all diese trüben Gedanken — natürlich hatte ich immer das Gefühl, wir würden durchkommen. Irgendwie wußte ich, würden wir uns durch die schwierigste Lage durchwinden. Piloten müssen das, glaube ich. Und so hatte ich keine große Angst, als ich diese Pläne zimmerte, die ich meinen Gefährten in der ersten Besprechung unterbreiten wollte, sollten wir zu Boden gezwungen werden.

Sonderbare Dinge ereignen sich über diesen grenzenlosen Flächen. Ermüdete Augen spielen gern dem bleiernen Gehirn einen Streich. — Als ich scharf nach vorwärts starrte, konnte ich eine große Stadt mit Kirchturmspitzen, Domen, Straßen und sogar sich bewegenden Automobilen sehen. Auf der einen Seite erkannte ich einen richtiggehenden Flugplatz mit Schuppen und Baracken und Flugzeugen davor. Ich holte das Fernglas und jedes Mal, wenn ich mit Köhl diese willkommenen Anblicke überprüfte, stellten sie sich als Fata Morgana heraus. Vielleicht liegt es in der Macht des Unterbewußtseins, daß es die Augen sehen macht, was es sich wünscht. Sieht doch auch in der Wüste der vor Durst verschmachtende Wanderer wenige Meter vor sich üppig sprudelnde Bäche und Quellen, die ihn narren, während brennender Sand ihm die Kehle würgt. Es schien mir, als sah ich die glatte weiße Anlaufbahn eines tadellosen Flugplatzes. Ich konnte mir tatsächlich die „Bremen" vorstellen, wie sie ein paar Sekunden später landete und zur Linie aufrollte. Winkte uns das Schicksal mit grausamer Täuschung, auf den trügerischen, schneebedeckten Felsen zu landen, um anstatt offenen Armen des Willkommens schaurigen Kämpfen entgegen zu gehen? Ich kann mir denken, daß auch Köhl und der Freiherr unter der großen Anstrengung litten.

Zwei lange Stunden schleppten sich hin, wir suchten nach einem geeigneten Landungsplatz und gerieten so über den Rand eines anscheinend gewaltigen Sees, der zugefroren war. Wir wollten der Küstenlinie entlang nach einer Ansiedlung oder einem Zeichen menschlichen Lebens suchen, aber es schien wenig Hoffnung zu bestehen. Plötzlich zog gerade vor uns ein mächtiger Schneesturm auf. Die treue alte „Bremen" begann in der aufgewühlten Atmosphäre zu stoßen. Ein rasender Sturm heulte. Das Schicksal schien sich um seine Menschenopfer betrogen zu sehen, die es auch durch Vorgaukeln von Bildern auf dem trügerischen Grund unter uns nicht zum Landen hatte bringen können, und kam uns nun mit diesem tollen Schneesturm in den Weg, um uns auf die gefrorene Erde zu zwingen.

Auf einmal hob sich der Schneevorhang und wir sichteten in der Ferne die Umrisse eines scheinbar im Eise eingefrorenen Schiffes. Dieses Mal zeigte das Fernglas, daß es sich nicht um eine Halluzination handelte; wir waren überzeugt, dieses war ein Schiff. Mein Freudenschrei ging im Motorgebrüll unter.

Köhls Gesicht zeigte „Ein Viertel vor drei Uhr", und ein Blick zurück auf den Freiherrn zeigte mir auch sein Gesicht auf „Ein Viertel nach neun". (Für diejenigen meiner geneigten Leser, welche diesen Ausdruck nicht verstehen, möchte ich anführen, daß in der Fliegersprache ein Grinsen „das Gesicht auf ein Viertel vor drei haben" heißt.) Welch eine Erleichterung! Die ersten Zeichen menschlichen Lebens, seit wir dem Leuchtturm „Slyne Head" in Irland ein langes Lebewohl zugewinkt hatten! Mit abgestelltem Motor gingen wir zur Erkundung hinunter, geschüttelt vom arktischen Sturm und erkannten zu unserer Überraschung die Umrisse eines stattlichen, auf einer kleinen Insel gelegenen Leuchtturmes. Nachdem wir zweimal um den Leuchtturm gekreist waren, bemerkten wir, daß das Motorgeräusch ein Rudel Hunde aufgestöbert hatte, deren Bewegungen im Schnee wir klar unterscheiden konnten. Im ersten Augenblick glaubte ich, daß es vielleicht Wölfe waren, die auf der Suche nach Nahrung an den Leuchtturm gekommen seien, und dieser nicht bewohnt sein könnte. Ein Schrecken durchzuckte mich. Der andauernde Lärm unseres Motors aber erregte schließlich die Aufmerksamkeit der Einwohner, und es traten vier Leute aus dem Gebäude. Hier endlich war ein Platz, wo die „Bremen" ausruhen konnte, wo wir die Möglichkeit hatten, unseren Betriebsstoffvorrat zu ergänzen, unsere genaue Lage festzustellen, um dann weiter nach Süden, nach New York den Flug fortzusetzen. Die Insel war schneebedeckt und von Eis umschlossen. Da und dort konnten wir in der Bucht Strecken klaren Eises erkennen, die zur Landung günstig schienen. Da wir jedoch mit den Verhältnissen hier nicht vertraut waren, wählten wir die Oberfläche einer eingefrorenen Lagune. Nach Abschießen einer Rauchpatrone, um die genaue Windrichtung herauszufinden, brachten wir das Flugzeug in die entsprechende Lage und flogen nun geradewegs gegen einen mit 50 Meilen die Stunde dahinbrausenden Wind an, wobei Köhl die „Bremen" immer mehr auf das Eis herunterbrachte. Wir wußten da noch nicht, daß erst wenige Tage vorher der Frühling die Oberfläche des Eises geschmolzen hatte und auf dem stärkeren Eis darunter einige Fuß tief das Wasser stand. Die Oberfläche war jedoch wieder leicht zugefroren und täuschte so Sicherheit vor. Auf dieser dünnen Eisschicht bewerkstelligte Köhl eine tadellose Dreipunkt-Landung. Zu unserem Glück hatte der Gegenwind unsere Geschwindigkeit sehr heruntergedrückt, so daß die Vorwärtsbewegung beträchtlich vermindert war, als das Gewicht der „Bremen" schließlich auf das Eis auftraf. Dieses brach ein, und das Flugzeug stieß heftig nach vorwärts auf die Nase. Köhl und ich wurden vorne an das Instrumentenbrett geschleudert, während der Freiherr, der in der Kabine aufgestanden und nach vorwärts gekommen war, auf den Boden fiel. Köhl erhielt ein ziemlich tiefen Schnitt an der Stirn, der Freiherr und ich blieben unverletzt.

Unsere Landung auf — wie wir nachher feststellten — Greenly Island war eine bittere Enttäuschung. Wir wußten, dass viele Leute sich auf dem Mitchel Field bei New York eingefunden hatten und daß wir sie nun enttäuschen mußten. Außerdem lag das Flugzeug, das uns sicher über die ungeheure Wasserfläche getragen, wunderlich auf seiner Nase und war beschädigt.

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