BREMSKLÖTZE WEG!
Als am Tage nach unserer Landung die ersten Glückwunschtelegramme in die winterliche Einöde der kleinen Insel Greenly Island hereinschneiten, als uns der Reichspräsident von Hindenburg, der Präsident unseres Deutschen Reichstages und die amerikanischen Staatsoberhäupter zu unserem Sieg über den Atlantik gratulierten, da schlugen unsere Herzen voll freudigem Stolz. Noch betrachteten wir dies alles als Anerkennung persönlicher Leistung. Als aber dann die Flut der Telegramme aus aller Welt nicht versiegen wollte, wuchs in uns von Stunde zu Stunde die Überzeugung, daß es Deutschland war, unsere Heimat, die man in uns ehren wollte.
Nicht wir, sondern dieses oft geschmähte und viel verleumdete Deutschland hatte einen Sieg errungen Und als wir hineinflogen ins amerikanische Land, als man uns in New York, in Washington, in Milwaukee und Chikago zujubelte, als von hohen Fahnenmasten
neben dem Sternenbanner und dem irischen Grün-weiß-orange die deutschen Fahnen flatterten, da brachte uns der gewaltige Eindruck dieses Empfanges die beseeligende Gewißheit: wir waren Werkzeuge geworden, mit denen man Brücken schlug von Nation zu Nation, von Kontinent zu Kontinent. ——-
Der „Columbus" durchfurchte den gewaltigen, aber dennoch von der kleinen, silbernen „Bremen" besiegten Atlantik. Im fahlen Morgenlicht tauchte vor uns ein schmaler, dunkler Streifen auf : Deutschland ... die Heimat. Flatternde Wimpel an vielen Masten und am Kai von Bremerhaven winkende Menschen. War es hier im großen nicht genau so wie damals draußen im Felde im kleinen —?
An diesem Morgen der Heimkehr ins Vaterland stand es wie eine Vision vor mir auf ———unser Flugplatz in Fleez. —Während fern am Horizont die explodierenden Munitionsmassen von Cerisy grelle Lichter drüben hinter der Front an den nächtlich dunklen Himmel warfen, senkte sich unser „Walfisch" im Gleitflug zu Boden. Die ganze Staffel stand auf dem Rollfeld. Gespannt hatte man dort das schaurig-schöne Schauspiel verfolgt und jubelte uns zu, als wir aus der Maschine kletterten. Noch wußten wir nicht, was wir eigentlich angerichtet hatten. Wir fühlten nur, daßes etwas Großes gewesen sein mußte. Damals bekam ich den Hohenzollern ...
Diesmal gab es keinen Orden, aber noch schöner als die äußere Anerkennung war die Liebe eines ganzen Volkes, die uns hier beim Betreten der Heimaterde entgegenströmte, der Dank eines Volkes, für das wir ausgezogen waren, um mit dem Ozean zu kämpfen, eines Volkes, dem wir mit allen Fasern unseres Herzens verwachsen waren. —-
Genau so unauslöschlich wie dieser erste Empfang in Deutschland grub sich in mir das Erlebnis der Begegnung mit jenem Manne ein, der für uns Vorbild eines echten Deutschen ist. Der greise Feldmarschall und Reichspräsident v. Hindenburg hatte uns empfangen. Schon reichte er uns die Hand zum Abschied, da nahm er mich noch einmal beiseite. Es war, als spräche ein Vater zu seinem Sohn, so grundgütig klang seine Frage: „Man hat mir gesagt, Sie wollten ins Ausland ... ? Na, das müssen Sie mir aber versprechen, daßSie das nicht tun!" Aus tiefster, innerster Überzeugung heraus habe ich ihm dies versprechen können: mich lockte nicht die weite Welt. Daheim in Deutschland wollte ich weiterarbeiten!
Unendlich viel neue Probleme hatte der Ozeanflug an mich herangetragen, deren Erforschung mein weiteres Schaffen gewidmet sein sollte. Darüber darf es keinen Zweifel geben: unsere wackere „Bremen", die Junkers W 33, war im Jahre 1928 die beste und brauchbarste Maschine, die sich für einen Ozeanflug finden ließ. Was jedoch für einen Erstlings-, einen Pionierflug ausreicht, kann nicht genügen, das Endziel zu erreichen: den wirtschaftlichen Transozean-Luftverkehr. Diesem Problem wollte ich nachspüren und versuchen, an seiner Lösung mitzuarbeiten. Hier erschlossen sich für mich dankenswerte, neue Aufgaben. Schon bald nach dem Fluge, noch in Amerika drüben, erkannte ich, daßdazu ganz neue Wege beschritten werden mußten. Da war das „Tanken in der Luft". Vielleicht konnte man dadurch den Aktionsradius mehrmotoriger Flugzeuge erweitern. Aber die Beobachtung der da und dort angestellten Versuche zeigten mir deutlich, daßdieser Weg nicht zum Ziele führte. Die Reichweiten der Maschinen wurden nicht verbessert, dafür verschlechterte sich jedoch die Wirtschaftlichkeit. Dann waren die „schwimmenden Inseln" ein vielerörtertes Problem. Auch mit ihnen beschäftigte ich mich eingehend, allerdings ... um dabei feststellen zu müssen, daßsolche Anlagen heute wirtschaftlich noch nicht tragbar sind.
Wo aber war ein Weg, den man gehen konnte?! Im „Nur-Flügel Flugzeug" ——dem „Fliegenden Flügel"? Vielleicht, man mußte es erproben. Ich suchte die Zusammenarbeit mit Männern, die auf diesem Gebiet bereits brauchbare wertvolle Vorarbeiten geleistet hatten. Basierend auf den Erfahrungen, die der Ozeanflug vermittelt hatte, formte sich nun in mir in großen Umrissen die Form eines neuen Flugzeugtyps. Wenn man das Gute der bisherigen Flugzeugmuster mit den vielfachen neuen Erkenntnissen verband, die vor allem bei der Segelfliegerei gemacht worden waren, so konnte man versuchen, eine Maschine zu entwickeln, die unter Ausnutzung aller die Flugsicherheit bedingten Faktoren auch die vom Luftverkehr geforderte Wirtschaftlichkeit und Schnelligkeit in sich vereinigte.
Mit größter Aufmerksamkeit verfolgte ich die Versuche mit schwanzlosen Flugzeugen, wie sie von Etrich, Soltenhoff, Riediger und Espenlaub durchgeführt wurden. Auch die Arbeiten der Rhön-Rositten-Gesellschaft interessierten mich ganz besonders. Dort hatte man den „Storch`` konstruiert. Segelflugzeugtragflächen, darunter ein Rumpf und hinten dran ein schwacher Motorradmotor, der einen Liliputpropeller drehte.
Auf dem Flugplatz in Darmstadt sah ich diesen seltsamen Vogel, gesteuert von dem jungen Segelflieger Günter Groenhoff, der ein paar Jahre später nach einem beispiellosen Aufstieg so jäh aus dem Leben gerissen wurde. Mit Hilfe eines Gummiseils wurde die Maschine gestartet, brauste über uns hinweg, kurvte und kam mit großer Fahrt wieder zurück. Die Kiste flog. Was tat's, daßder Motor streikte und Groenhoff, von einer Bögepackt, zu Boden gedrückt wurde und einen ganz passablen Bruch machte ? ——Ich hatte genug gesehen und entschloßmich an diesen Forschungsarbeiten sowohl beratend wie finanziell zu beteiligen. Die RRG. war in ihren finanziellen Mitteln sehr beschränkt und sollte damals zunächst keine weiteren Unterstützungen von seiten der Luftfahrtbehörde zur Fortführung dieser interessanten Versuche bekommen. Ich sprang hier helfend ein und erteilte nun der Rhön-Rossitten-Gesellschaft den Auftrag, mir eine Maschine zu bauen, die unter Verwertung der bereits vorhandenen Erfahrungen auch eine Reihe meiner Gedankengänge mit verwirklichen sollte.
Da ich den Bau allein finanzierte und mir nicht unbegrenzte Geldmittel zur Verfügung standen, wurde zunächst ganz klein mit dem Bau von Modellen begonnen. Als dann die verschiedenen Segelflugmodelle brauchbare Leistungen aufwiesen, konnten wir einen Schritt weitergehen und ein Segelflugzeug in dieser „Nur-Flügel-Form" schaffen.
Das, was diese Maschine von allen bisher bekannten Flugzeugtypen grundlegend unterschied, war die Tatsache, daßwir mit ihr dem Idealtyp des Flugzeuges überhaupt so nahe wie möglich kommen wollten: dem „Fliegenden Flügel", den der geniale Professor Hugo Junkers bereits vor zwanzig Jahren erdacht hatte, der aber leider noch niemals gebaut worden war. Jedem Laien wird es klar sein, daßletzten Endes nur der tragende Flügel am Flugzeug unbedingt notwendig ist. Rumpf und hintenliegendes Leitwerk könnten also fortfallen, wenn es gelingt, den Flügel auch ohne das schädliche Widerstände erzeugende Leitwerk steuerfähig zu gestalten.
Diese Widerstände beeinträchtigten Tragfähigkeit, Aktionsradius und Geschwindigkeit recht beträchtlich, und damit auch die Wirtschaftlichkeit des Flugbetriebes. Alexander Lippisch, der die technische Durchführung des Baues für die Rhön-Rossitten-Gesellschaft leitete, und ich versuchten nun, diese Forderungen in dem neuen Flugzeugtyp zu verwirklichen.
Nachdem das Segelflugzeug —wiederum von Günter Groenhoff eingeflogen worden war und unseren Erwartungen entsprach, ließich es umbauen und mit einem Kleinmotor ausrüsten. Leider sind diese Motoren immer noch sehr teuer. Direktor Theo Croneißvon der Deutschen Verkehrsflug A.-G. enthob uns aber dieser Sorge, indem er uns freundlicherweise einen solchen schenkte. Meine Zusammenarbeit mit der Rhön-Rossitten-Gesellschaft und die dabei erreichten Erfolge veranlaßten auch nun das Reichsverkehrsministerium, neue Gelder für den Bau eines ähnlichen Versuchsflugzeuges zur Verfügung zu stellen.
Der Umbau wurde vollendet. Am Himmelfahrtstage des Jahres 1931 startete der „Fliegende Flügel'«zum ersten Male mit Motorkraft. Von Groenhoff geführt, zog er über der Wasserkuppe siegreich seine ersten Kreise. Als dieses erste „Nur-Flügel-Flugzeug" nach Berlin gebracht wurde, flog ich es dreimal je eine Stunde über dem Flughafen Tempelhof. Dabei konnte ich feststellen, daßder Versuchsbau geglückt war, und damit ein Forschungsergebnis erzielt war, mit dem alle daran Beteiligten zufrieden sein konnten. Wenn nun auch weiterhin keine sichtbaren Erfolge sich an die Vollendung dieser Maschine anfügen konnten : Eines wurde erreicht: Das Interesse der Flugzeugkonstrukteure wurde geweckt. Sie haben daraus gelernt und neue Anregungen bekommen. So hat diese Neukonstruktion nachweislich zur Weiterentwicklung der Flugzeugkonstruktionen beigetragen.
Wie immer in meinem Leben, ging es auch hier nicht ohne Kämpfe ab. Sie sind hart gewesen und hitzig geführt worden, immer hatten sie jedoch nur den einen Zweck ... der Sache zu dienen und die Entwicklung vorwärtszutreiben.
„Bremsklötze weg!" —das brüllte ich drüben in Baldonnel meinen Monteuren beim Start zu ... und dann begann der große Flug über den Atlantik. —Einer, der mir andere Bremsklötze fortnahm und die Bahn freimachte ——Hünefeld, mein Freund, ist schon lange gestartet zum letzten Fluge über die stillen Ozeane der Ewigkeit. Er fehlt mir, dieser mutige Kämpfer, und so manches hätte ich anders gestaltet, müßte ich seine Hilfe nicht entbehren.
Es gilt zu neuem Start zu rüsten! Die deutsche Fliegerei —geknebelt und gefesselt durch die Bande von Versailles —muß starten zum Freiheitsflug.
Unser Motor ist abgebremst. Wir deutschen Flieger haben der Welt durch Taten bewiesen, daßwir fähig sind, unentbehrliche Kulturarbeit zu leisten ... als Flugzeugkonstrukteure, als Segel-, Sport- und Verkehrsflieger. Wir brauchen Freiheit für unser Schaffen und Gleichberechtigung!