ALS BEOBACHTER AN DIE FRONT

 

Nun war ich Flieger ... nur durch das kurze Telegramm, das ich so frech und frei und ohne mich um den vorgeschriebenen Instanzenweg zu kümmern, abgeschickt hatte. In Adlershof, wo ich mich zu melden hatte, gab es ein paar Hallen, in denen Flugzeuge standen, ein Kasino, in dem sich eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft, die sich aus allen möglichen Regimentern rekrutierte, eingefunden hatte, und ein heilloses Durcheinander. Man war dabei, Feldfliegerformationen aufzustellen, denen man in der Umgebung des Flugplatzes Geschäftszimmer zuwies, während die Abteilungsführer ratlos umherliefen und sich ihren Kram zusammensuchen mußten. Nichts war organisiert, nirgendwo klappte es. Wenn einer Abteilung Flugzeuge zugewiesen wurden und man sie abholen wollte, dann stellte es sich oft heraus, daßdie Maschinen bereits ins Feld gegangen waren. Oder von einer schon bestehenden Formation war ein alter Pilot erschienen, hatte sich in eine Kiste gesetzt und war damit abgebraust.

Die Abteilung 41, der ich zugeteilt wurde, bestand einstweilen überhaupt nur aus einem Geschäftszimmer im Gymnasium in Niederschönweide und

aus einem Feldwebel. Erst ganz allmählich fanden sich auch die übrigen Beteiligten ein, und da wir auch einen Kraftwagen brauchten, hielten wir einfach eines der vorüberfahrenden Autos an, steckten den Chauffeur in die Uniform, und schon war der Fall erledigt. Da es außer mir bei der Abteilung nur noch Kavalleristen und Reserveoffiziere gab, wurde mir die ehrenvolle Aufgabe zuteil, die uns zugewiesenen Leute erst einmal auf dem Schulhof militärisch auszubilden. Daneben mußte ich aber noch Zeit finden, mich um meine fliegerische Ertüchtigung zu bekümmern. Unterricht oder etwas Ähnliches gab es nicht.

Ich setzte mich halt zu jedem rein, der aufstieg, nahm Karten mit, um mich an den Blick von oben zu gewöhnen, und hatte es sehr bald raus, jederzeit die Position des Flugzeuges und die Flugrichtung festzustellen. Auch zwei Überlandflüge machte ich in diesen Wochen. Leutnant Flashar, der eben fliegen gelernt hatte und sich als „Emil" dem „Franz" fürchterlich überlegen fühlte, und ich sollten nach Leipzig fliegen. Wir hatten wundervolles Wetter, ich konnte die Straßen und Ortschaften ganz genau erkennen, aber dann gerieten wir mit unserer Albatros-Schulmaschine in dicken Dreck und mußten über ihn hinwegziehen. Flashar wackelte bekümmert mit dem Kopf. Er wußte nicht, was nun werden sollte. Ich hatte jedoch nicht nur ausgezeichnete Karten mit, sondern war schon vor dem Fluge bemüht gewesen, ihn so gut wie irgend möglich vorzubereiten. Die Flugstrecke war genau eingeteilt, ich hatte die Geschwindigkeiten berechnet und war überzeugt, Leipzig und seinen Flugplatz Mockau auch ohne Sicht finden zu können.

Die Uhr in der Hand, rechnete ich angestrengt. Unter uns brodelte dicker Nebel. Jetzt war es soweit : unser Vogel senkte sich tiefer, es wurde dunkler um uns, Regen klatschte auf die Tragflächen; plötzlich schwammen einige Fabrikschornsteine in dem Nebelmeer um uns herum. Wir sahen Stoppelfelder, und vor uns tauchten die Umrisse einer großen Luftschiffhalle auf. Leipzig hatten wir wohl. Wo aber lag unser Flugplatz ? Wir hätten ihn ja suchen können, aber Flashar sah einen glatten Stoppelacker und landete kurzentschlossen. Bald erfuhren wir, daßder eigentliche Flugplatz nur anderthalb Kilometer entfernt lag.

Nachdem mit Hilfe eines herbeigeholten Monteurs unsere Maschine wieder startfertig gemacht worden war, wollten wir starten, um dorthin zu fliegen. Aber der Start klappte nicht. Der Vogel kam schlecht weg, rasend näherten wir uns einer hohen Baumallee. Flashar fürchtete, nicht drüber wegzukommen, ging in eine Linkskurve, und in einer Böschmierte die Kiste ab. Wir waren nicht hoch, aber es reichte für einen totalen Bruch. Die Maschine lag auf dem Rücken, ich war hinausgeschleudert worden, aber außer einigen kleinen Hautabschürfungen ist uns nichts passiert. Da standen wir und sahen uns sorgenvoll den Trümmerhaufen an. Rasch sammelten sich die Neugierigen, die überall erscheinen, wo es etwas zu sehen gibt; die Mannschaften der Fliegerabteilung kamen und transportierten die Maschine ab, und wir beide fuhren im D-Zug zurück nach Berlin ... gar nicht sehr stolz über unser Abenteuer.

Noch einmal versuchten wir den gleichen Flug mit einem Doppeldecker. Wir kamen gut nach Leipzig, auf dem Rückflug jedoch begann der Motor zu meckern und zwang uns zu einer Notlandung. In einem nahegelegenen Schloßwurden wir gastlich aufgenommen und kehrten, da sich der Motor nicht reparieren ließ, auch von unserem zweiten Ausflug per Eisenbahn wieder heim. Noch einmal sah ich mir die Welt von oben an : in Schwerin, aus einer Fokkerspinne. Wir hatten dort die Flugzeuge, die uns ins Feld begleiten sollten, zu übernehmen, und mit unseren —wie ich selbst zugeben muß—recht mangelhaften Kenntnissen bewaffnet, ging es jetzt nach Flandern.

In Gent wurden wir ausgeladen, montierten die Maschinen auf der ehemaligen Rennbahn, die zu einem Flugplatz umgewandelt worden war, und sollten sie ein paar Tage später auf dem Luftwege an die Front überführen. Der Abteilungsführer zeigte uns den Platz genau auf der Karte, er versprach uns, Feuer anzünden und Landezeichen auslegen zu lassen, aber von uns sechsen kam auf normalem Flugweg nur ein einziger an. Zwei waren erst gar nicht gestartet, ein dritter hatte seine Kiste gleich auf dem Platz zerschmissen, und die anderen verfranzten sich eben. Nur ich hatte Glück, fand mein Ziel und wurde allgemein bewundert.

Im ersten Vierteljahr meiner Frontfliegertätigkeit mußte ich sehr viel lernen, und es fiel mir manchmal verdammt schwer, aus den unendlich vielen Straßenzügen, die aus Ypern herauskommen, immer den richtigen zu finden und das Beobachtete mit der Karte in Gleichklang zu bringen. In diesen ersten Monaten flog ich sehr viel und lernte die Beobachtertätigkeit schnell und gründlich kennen. Das Schwierigste war wohl das Artillerieeinschießen. Es gab dafür noch keine Vorschriften; brauchbare Erfahrungen, auf denen man aufbauen konnte, lagen kaum vor, und die Nachrichtenübermittlung vom Flugzeug zur Mutter Erde und umgekehrt war mehr als mangelhaft. Hier kam mir meine immer aufs Praktische gerichtete Veranlagung sehr zustatten: in kurzer Zeit hatten wir Systeme ausgearbeitet, mit denen wir uns den Batteriestellungen verständlich machen konnten. Anfangs geschah das natürlich noch sehr primitiv durch Kurvenfliegen, Gasgeben oder Gaswegnehmen über den Batterien, mit denen wir einschossen. Später machten wir das mit Hilfe von Leuchtzeichen. Wenn wir nur nicht so schrecklich unpraktisches Leuchtsignalgerät gehabt hätten ! Entweder war die Munition zu schwer —unsere Maschinen konnten damals ja kaum den Piloten und den Beobachter in die Luft bringen —oder aber die Leuchtpistolen krankten an chronischer Ladehemmung. Oft gab es Mißstimmungen bei der Heimkehr, wenn falschverstandene Zeichen ein heilloses Durcheinander angerichtet hatten. Mit der Zeit verfeinerten wir die Verständigung jedoch ganz beträchtlich, und ich kam schnell in den Ruf, eine „Einschießkanone" zu sein.

Von besonderer Wichtigkeit war für uns selbstverständlich auch das Luftbild. Wir hatten auch Apparate bekommen, aber im Eifer des Gefechts funktionierten die Dinger meist nicht. Und wenn wir wirklich einmal geknipst hatten, dann sah man später nichts auf den Platten. Das hatte einen eigenartigen Grund. Wir besaßen nämlich einen Abteilungsphotographen, der ähnlich wie jener Chauffeur von der Straße aufgegriffen worden war. Da uns dieser hoffnungsvolle junge Mann auch nicht erklären konnte, warum aus unseren Aufnahmen nie etwas wurde, sahen wir uns veranlaßt, ihm einmal gründlich auf den Zahn zu fühlen. Dabei stellte es sich dann heraus, daßer ein ganz verrücktes Luder und alles andere, nur kein Photograph war. Von diesem Augenblick ab ließen wir unsere Platten bei der in unserer Nähe liegenden Luftschifferabteilung entwickeln. Und siehe da ! unsere Bilder waren nicht nur gut, sondern wir erkannten auch die Vorteile, die das Photographieren aus der Luft für eine systematische Erkundungsarbeit bot.

Auch die Bewaffnung unserer Flugzeuge machte Fortschritte. Bei den ersten Flügen drohten wir noch mit der Faust, wenn uns eine feindliche Maschine zu nahe kam. Dann schossen wir mit Armeepistolen, bekamen später Mehrladegewehre, die leider ständig Ladehemmungen hatten, und schließlich kamen auch die ersten Maschinengewehre an die Front. So war dieser furchtbare Krieg : die Not schärfte die Waffen und zwang die Entwicklung vorwärts. Hüben wie drüben. Es war ein ewiges Auf und Ab; der Druck des Feindes erzeugte auch hier Gegendruck, und die verzweifelten Anstrengungen, die auf beiden Seiten gemacht wurden, verfeinerten die Kampfmittel zu ihrer größten und gefährlichsten Vollendung.

Die Fronten erstarrten, der Stellungskampf in Flandern schematisierte auch unsere Tätigkeit, wir starteten zur Erkundung, zum Artillerieeinschießen, zum Photographieren, und immer gingen die Aufträge reihum, so daßzwischen den einzelnen Feindflügen immer lange Pausen lagen. Einmal schoßman mich ab, aber daran war nur meine Dankbarkeit gegen die feindlichen Flaks, die Fliegerabwehrkanonen, schuld, die, ich, wenn ich mit ihrem Munitionsverbrauch zufrieden war, aus lieber Gewohnheit zur Anerkennung mit einigen kleinen Bomben bedachte.

Wir waren gerade mit dem Artillerieeinschießen fertig geworden und wollten uns nur noch von einer „Flak", die uns besonders aufs Korn genommen zu haben schien, verabschieden, als plötzlich

zwischen unserer Maschine und dem auf der Erde deutlich erkennbaren Blitz etwa 200 Meter unter uns das erste Schrapnell krepierte. Es saßzu tief, aber die Richtung war glänzend. Ich hätte jetzt abbiegen müssen, um aus der Schußrichtung herauszukommen, wollte jedoch vorher noch meine Bomben loswerden. Da krachte schon das nächste Schrapnell, die Maschine bekam einen heftigen Stoß. Teile des Rumpfes flatterten weg ... ein Volltreffer war genau durch unseren Benzintank, auf dem ich saß, geschlagen. Kreidebleich war mein Führer; ihn hatte der Schußdie Kniescheibe gekostet. Ein Trost nur, daßdie Steuerung intakt blieb und die Maschine nicht auseinanderbrach. Wir gingen in Gleitflug und versuchten, unsere Maschine noch hinter unsere Linien zu bringen. Schwer war's, denn mein Pilot wurde ohnmächtig. Ich mußte zufassen. Kurz vor der Landung im Trichterfeld rißer sich noch einmal hoch, setzte die Kiste leidlich hin, wir machten einen Überschlag und durften von Glück sagen, daßuns nicht mehr passiert war.

Weiter tobten die Schlachten. Wir kamen an die Somme, wo ein gewaltiges Ringen bevorstand. Tag und Nacht hämmerte das Trommelfeuer, und Cambrai, wohin man mich zum Quartiermachen geschickt hatte, glich einem wimmelnden Ameisenhaufen. Ich fand in Havringcourt einen geeigneten Platz, aber die Abteilung, die oben in Flandern immer noch Abschied feiern mußte, kam nicht nach. Da erbettelte ich mir vom Kommandeur der Flieger drei Maschinen, begann zu fliegen, und als die Abteilung eintraf und ausgeladen wurde, lagen bereits die ersten Erkundungsergebnisse vor. Hier wehte eine andere Luft. Die feindlichen Maschinen kreisten täglich über unseren Linien und zeigten sich stark und überlegen, während sich unsere Jagd- und Kampfgeschwader hinter der Front hielten und Sperre flogen. Jetzt flogen wir mehrmals am Tage, zogen hoch über den Sperrzonen und unseren eigenen Formationen hinweg und stießen vor. Es hätte den sicheren Tod bedeutet, hier allein zu fliegen. Nur wenn wir in Staffeln auftraten, konnten wir an den Feind herangehen und ihn mit Erfolg vertreiben; allerdings mußten wir aufpassen, daßwir bei der Rückkehr von unseren etwas gewaltsamen Erkundungsflügen nicht durch unsere eigenen Jagdgeschwader unfreundlich empfangen wurden, die der Meinung waren, daßalles, was von der anderen Seite kam, eben feindlich sein müßte.

In dieser Zeit wurde ich Staffelführer und bekam den Befehl, als Abteilungsführer der Staffel 22 des Kampfgeschwaders 4 der Obersten

Heeresleitung zu übernehmen. Ein paar Gehöfte, ein kleines Wäldchen und am Waldrande die Zelte der Staffel: das war Fleez, mein neues Reich. Glücklich und voll neuer Ideen traf ich ein, jedoch waren die Verhältnisse, die ich dort antraf, alles andere als ermutigend. Aus der Staffel wurde nämlich eine Jagdstaffel geboren, die sich noch nicht völlig losgelöst hatte, und da der frühere Staffelführer die neue Formation übernehmen sollte, wollte er alles mitnehmen, was gut war an Flugzeugführern und Monteuren. Ein harter Kampf begann. Wie ein Löwe kämpfte ich um jeden Piloten, um jeden Monteur, denn ich mußte doch aktionsfähig bleiben, was allein mit dem Ersatz, den man mir überwies, nicht möglich war. Das war etwas viel auf einmal, weil auch in taktischer und kampftechnischer Hinsicht recht vieles im argen lag. Ich kannte niemand, war fremd ins Geschwader gekommen und mußte mir meine Position erst Schritt für Schritt erkämpfen.

Es wurde wenig geflogen. Nur ein oder zwei Maschinen waren startfertig, mit denen ein paarmal über den Platz hinweggerutscht wurde, damit die Bestätigungen für die Einreichung zum Flugzeugführer-oder Beobachterabzeichen vorhanden waren. Die übrigen Flugzeuge hatte man für frontunbrauchbar erklärt und wollte sie zum Flugzeugpark zurückschicken. Aber bald hatte ich Oberhand, ließdie Maschinen montieren und flog. Mal mit dem einen, mal mit dem anderen. Die Schale schälte sich vom Kern, und da die Erfolge nicht ausblieben, machte das Vorbild Schule. Nun konnten die anderen nicht mehr zurückstehen. Sie mußten mit, ob sie wollten oder nicht. Ich kam überhaupt nicht mehr weg von meinen Flugzeugen.

Die Aufgabe meiner Staffel bestand darin, die Artillerie-Flugzeuge vor feindlichen Angriffen zu schützen. Eine langweilige und wenig erfreuliche Aufgabe, die mir viel Zeit zum Nachdenken ließ, wie es wohl möglich wäre, diese stumpfsinnigen Flüge befriedigender zu gestalten. Kam es wirklich einmal zu einem Zusammenstoßmit feindlichen Jagdfliegern, so waren wir ihnen in bezug auf die Bewaffnung stark unterlegen und konnten uns ihnen nur dadurch entziehen, daßwir enge Kurven flogen und in die Wolken fielen. Das wurde anders. In der Unterhaltung mit Richthofen und anderen erfolgreichen Jagdfliegern hatte ich immer wieder feststellen können, daßes weniger auf das viele Schießen, sondern vor allem auf das gute Zielen und Treffen ankam. So knobelte ich mir ein neues Schießverfahren aus, kaufte den Infanterie-Maschinengewehrschützen ihre Zielfernrohre, die sie nicht brauchten, ab und machte auf einem eigens dazu erbauten Scheibenstand systematische Versuche. Dabei stellte ich fest, daßimmer die ersten beiden Schüsse, die mit dem M.-G. abgegeben wurden, ins Schwarze trafen, während die nächsten abseits kamen. Es durften also nicht lange Serien geschossen werden, sondern nur ein oder zwei Schüsse, die sicher saßen, wenn man den Feind nur richtig ins Fadenkreuz nahm.

Nach kurzer Zeit zeigte sich der Erfolg: die Franzosen hüteten sich davor, sich mit uns in hartnäckige Luftkämpfe einzulassen. Wenn unsere M.-G.s zu sprechen begannen, ließen sie von uns ab. Jetzt waren wir die überlegenen, und die Besatzungen hüteten die Zielfernrohre, die sie zu den Herren der Luft machten, wie Kleinode.

Share