Friedensarbeit — Organisation der Nachtflüge — Der Nordatlantik lockt — Zusammentreffen mit Hünefeld — Vorbereitungen
Nach meiner geglückten Flucht aus der Gefangenschaft beschäftigte ich mich zunächst einmal in Böblingen wieder mit der Fliegerei. Dort bekam ich alle möglichen Typen von Flugzeugen in die Hand. Von diesen gefiel mir am besten der Fokker D 7, mit dem ich am liebsten halbe Stunden lang in Loopings in der Luft mich bewegte. In dieser Zeit hatte ich einmal einen kleinen Flugunfall.
Ich flog mit meiner damaligen Polizei-Flieger-Staffel, die eben zusammengestellt war, zum ersten Propagandaflug über unserer schwäbischen Hauptstadt Stuttgart. Schon beim Start war mit der Benzinzufuhr irgendetwas nicht ganz in Ordnung gewesen. Als wir über Stuttgart in Spiralen niedergingen, versagte plötzlich in 200 m Höhe der Motor, der Propeller stand. Lange Zeit zur Überlegung war nicht mehr. In den Anlagen und Straßen der Stadt wollte ich nicht landen, da dadurch das Publikum zu sehr gefährdet war. über Stuttgart hinaus konnte ich jedoch auch nicht kommen, da Stuttgart in einem Talkessel liegt und die umliegenden Höhen dicht bewaldet sind. Ich entschloß mich daher zu einer Waldlandung, gab Tiefensteuer und ging in voller Fahrt auf den unteren Waldrand zu, zog dann mein Flugzeug hoch und ließ es nach der Höhe zu ausschweben, bis es sich in dem Moment, wo es rechts und links abrutschen wollte, auf die Bäume setzte. Langsam drehte es sich dann nach der Seite und rutschte noch ein Stück mit mir abwärts. So hing ich in meinem Flugzeug zwischen Himmel und Erde. Ich kletterte aus dem Flugzeug heraus, an der einen Tragfläche herunter und sprang die letzten Meter auf den Waldboden. Der Bruchschaden des Flugzeuges war nicht so bedauerlich, weil wir in Böblingen noch so viele Flugzeuge hatten, die doch in den nächsten Tagen zerschlagen werden mußten.
Da bei uns infolge des Friedensvertrages zunächst jede Fliegerei aufgelöst werden mußte, so zog ich es in den Tagen des Mai 1920 vor, aus dem Dienst der Polizei-Flieger in den Dienst der Reichswehr überzutreten. Von Böblingen aus kam ich nach Ludwigsburg, wo ich lange Zeit die 7. Kompanie des dortigen Infanterie - Regiments als Kompanie-Chef führen durfte. Diese Zeit war im Vergleich zu den vorhergegangenen Jahren eine gewisse Ruhezeit.
Neben meiner Kompanie beschäftigte ich mich auch recht intensiv mit anderen Dingen, wie der Malerei und dem Tanzen. Beide Dinge waren in der damaligen Inflationszeit mit geringen Mitteln erreichbar. Deshalb warf ich mich in dieser Zeit mit der größten Begeisterung auf die Wiederherstellung der altgewohnten gesellschaftlichen Veranstaltungen aus früherer Zeit, die während des Krieges und infolge der mißlichen Verhältnisse der Inflationszeit unendlich gelitten hatten und fast ausgestorben waren. Eine Tanzstunde in Ludwigsburg, veranstaltet von unserem dortigen Bataillon, brachte dann alles wieder in die altgewohnte fröhliche Form. Meine starke Beteiligung an diesem Wiederaufbau hatte egoistische Hintergründe. Ich beabsichtigte, mich nach den langen Kriegsjahren in den Hafen der Ehe einzuschiffen und glaubte in diesem Fahrwasser am schnellsten zum Ziele zu kommen. Auf Grund der angebahnten Beziehungen fand ich denn auch bald ein Wesen, das mir anfänglich mehr gefiel als ich ihm. Aber nach einundeinhalbjähriger Belagerung fiel auch diese Festung, und ich feierte mein Hochzeitsfest in Ludwigsburg.
Die Inflationszeit erreichte in den Tagen nach unserer Hochzeit den Höhepunkt, so daß wir unsere nicht allzu ausgedehnte Hochzeitsreise nach Österreich schleunigst abbrechen mußten, um mit den für sechs Wochen reichlich vorgesehenen Reisemitteln und den Ersparnissen von 1 1/2 Jahren wenigstens bis München zurück zu kommen, von wo aus die Finanzierung des weiteren Aufenthaltes und der Heimreise besser vor sich gehen konnte.
Die Stabilisierung der Mark erfolgte erst 11/2 Jahre später. Bis dahin hatten wir die Freuden und Leiden dieser Zeit nach allen Richtungen hin auskosten können.
Unseren Reichswehrurlaub verbrachten wir alljährlich in unseren bayerischen Bergen beim Ski-Lauf, wo außerdem auch noch militärische Ausbildungskurse eingerichtet wurden. Den schönen Ski-Sport haben wir in diesen Jahren so liebgewonnen, daß wir uns ihm für immer ergeben haben. Mein Weiterkommen in der Reichswehr schien mir dadurch, daß ich während der Kriegsjahre nur an der Front gestanden hatte und niemals hinter der Front in Generalstabstätigkeit verwandt wurde, sehr aussichtslos. So faßte ich auch meine Versetzung von Ludwigsburg nach Neu-Ulm zu den Pionieren auf. Eine Verwendung meiner Person in irgendeiner fliegerischen Beschäftigung schien mir von meinen Vorgesetzten nicht ernstlich in Erwägung gezogen zu werden.
Schon im Frühjahr 1922 anläßlich eines vierteljährigen Kommandos zum Wacht-Regiment in Berlin hatte ich mit den damals eben im Werden begriffenen Zivil-Flugunternehmungen Verbindung aufgenommen. Unter diesen Verbindungen war für mich eine der wertvollsten die Verbindung mit einem der tatkräftigsten und bedeutendsten Schöpfer des deutschen Luftverkehrs, Direktor Sachsenberg. Dank dieser Verbindung gelang es mir im Jahre 1924, an der Einrichtung der ersten deutschen Nachtflug-Strecke Berlin—Warnemünde durch die damalige Junkers-Luftverkehrs A. G. mitzuarbeiten. Ich hatte dazu meinen mir zustehenden Urlaub in dieser Zeit genommen. Die Organisation der Nachtstrecke Berlin—Warnemünde nahm allerdings mehr Zeit in Anspruch, als vorgesehen war, so daß ich nur die ersten vierzehn Tage im eigentlichen Luftverkehr mitwirken konnte. Aber diese Tage waren doch ausschlaggebend genug, um bei meinen Gönnern den Wunsch wach werden zu lassen, mich weiter in dieser Beschäftigung festzuhalten. Als im nächsten Jahre die Nachtflug-Versuche durch die Junkers-Luftverkehrs A. G. auf der Strecke Berlin—Warnemünde-Stockholm fortgeführt wurden, trat ich zur Junkers-Luftverkehrs A. G. über und zog meinen Soldatenrock aus.
Das Jahr 1925 ist in der Geschichte der Entwicklung des deutschen Luftverkehrs das Entwicklungsjahr des Nachtfluges geworden. Ich hatte die gesamte Leitung und Organisation der Versuche auf der Landstrecke Berlin—Warnemünde. In unmittelbarem Anschluß daran erfolgte die Fortführung der Nachtstrecke mit Wasserflugzeugen von Warnemünde nach Stockholm. Hier hatte ich ziemlich gute Gelegenheit, mir auch einige Seeflugerfahrungen bei Tag und Nacht anzueignen.
Wenn ich an die Arbeit dieses Jahres zurückdenke, so gruselt mir heute noch davor. Neben meiner Nachtflug-Tätigkeit auf dem Flugplatz Tempelhof hatte ich kaum fünf Minuten Zeit für irgend etwas anderes. Ich war das ganze Jahr weder in einem Theater noch in einer Gesellschaft. Hatte ich einmal Gelegenheit, abends um 11 Uhr einen kurzen Besuch bei vergnügten Freunden zu machen, so konnten sie sicher sein, daß mein Beitrag zur Geselligkeit darin bestand, mich auf irgendeine feste Unterlage zu legen und ihnen tüchtig etwas vorzuschlafen.
Aber diese Zeit der rastlosen Tag- und Nachtarbeit war für mich voll Befriedigung. Ich konnte frei und selbständig arbeiten. Die schnellen Fortschritte von Monat zu Monat waren für mich die größte Genugtuung. Sie bildeten für mich immer wieder einen Ansporn zu neuer rastloser Tätigkeit.
Am Ende des Jahres 1925 hatten wir den Nachtflug im Rohbau fertig. In unentwegter aufopfernder Liebe zur Sache hatten wir die wertvollsten Erfahrungen unter vielfacher Gefährdung des eigenen Lebens gesammelt. Da wollte es das Schicksal, daß die Junker-Luftverkehrs A. G. nicht länger am Leben bleiben sollte. Niemand von den mächtigen Geldgebern war da, der sie am Leben erhalten wollte. Auch von den Subventions-Millionen sollte ihr nichts mehr zufließen, um sie am Leben erhalten zu können.
Aus den damals bestehenden beiden größten deutschen Luftverkehrs-Unternehmen wurde zwangsläufig eine Gesellschaft, die Deutsche Luft Hansa, gegründet. Die Leitung der Nachtflug-Abteilung wurde mir übergeben. Die Arbeit gedieh nicht mehr so wie im Vorjahre. Ich hatte weniger Schwierigkeiten mit dem Nacht- und Nebel-Flug, als mit ewigen Zuständigkeitsfragen. Jede freie Betätigung war mir beschnitten. Für meine wohlgemeinten Vorschläge in Bezug auf Nebellandungen und weitere Ausgestaltung des Nachtluft-Verkehrs fand ich weniger Verständnis als früher. Befriedigend konnte diese Arbeit für mich auf die Dauer nicht mehr sein, ich fing an, mich nach neuen Arbeitsmöglichkeiten umzusehen.
Mein Streben galt nur der ungehemmten Entwicklung der Fliegerei, deren Zukunft ich in der Weiterentwicklung des Nacht- und Nebelfluges sah.
Während ich im Jahre 1925 wohl den größten Teil der Nachtflüge selbst mitgemacht hatte, wurde mir die Lust dazu bei der Luft Hansa mehr und mehr genommen.
Ich war nahe daran, mir anderwärts ein befriedigendes Arbeitsfeld zu suchen. In Deutschland selbst erschien mir dies sehr schwierig infolge der Monopolstellung der Luft Hansa. Ich habe mich in diesen traurigen Tagen schon mit dem Gedanken getragen, mir bei Gelegenheit in Amerika, im Land nicht so begrenzter Möglichkeiten, eine neue Existenz zu schaffen.
Da begann im vorigen Jahre die Saison der Ozean-Flüge. Nungesser und Coli verschwanden, Lindberghs weltgeschichtlicher Flug in seiner mit Worten nicht auszudrückenden Großartigkeit gelang, Chamberlin kam nach Deutschland, Byrd landete an der französischen Küste, die Amerikaner flogen nach Honolulu, Brock und Schlee umkreisten die Erde, Miß Elder und ihr treuer Begleiter Haldemann erwischten einen Dampfer nach den Azoren. Viele verschwanden leider Gottes in den Wellen oder in den eisigen Regionen des Nordens.
Alle Flüge verfolgte ich mit höchster Spannung. Ich studierte die technischen Grundlagen und die tatsächlichen Möglichkeiten. Immer wieder erkannte ich als schwierigstes Moment die Nacht, die allen Fliegern entgegentrat: diese dunklen schwarzen Sturmnächte, sie werden wohl das Schicksal jener auf ewig verstummten Pioniere der Luft entschieden haben.
Chamberlins Ankunft erwartete ich mit fieberhafter Spannung auf dem Flugplatz Tempelhof. Dort waren alle, die etwas in der Fliegerei zu sagen hatten, zusammengekommen, und in diesen Stunden erwog ich mit einigen guten Freunden vom früheren Junkers-Luftverkehr die Möglichkeit eines Ost-West-Fluges. In dieser Nacht sind die ersten ausschlaggebenden Besprechungen in dieser Richtung erfolgt. Wieder war es mein hochgeschätzter Freund, Direktor Sachsenberg, der mir die Hand zur Verwirklichung bot; er bekundete mir großes Interesse der Junkerswerke für solche Flüge. Ich hatte alle vorhandenen Flugzeug-Typen daraufhin eingehend geprüft, welche wohl am besten den Anforderungen eines solchen Fluges gewachsen wäre. Die Junkers W 33 hatte in dieser Beziehung die besten Weltrekorde zu verzeichnen. Daß Flugzeug und Motor ein deutsches Erzeugnis in jeder Form sein mußte, war für mich Ehrensache. Hier in der W 33 sah ich allein die Möglichkeiten der Erfüllung dieser Grundbedingung.
Sie mußte allerdings nach meinen Angaben noch einige Veränderungen und Verfeinerungen erfahren. Von da ab riß die Verbindung mit Dessau nicht mehr ab. Dort wurde ich, wiederum durch Direktor Sachsenberg, mit meinem Freund Hünefeld bekannt gemacht. Seine Bekanntschaft war für mich von großer Bedeutung, denn er ist einer von den Unentwegten, die auch lieber alles hingeben für ihre Idee, als darauf zu verzichten. Er paßte glänzend zu mir. Unser erster Ozeanflug im Jahre 1927 mißglückte durch die Ungunst der Witterung und wurde aus demselben Grunde für das nächste Jahr zurückgestellt.
Im letzten Winter, der unserem Fluge voranging, habe ich eingehend alle bisherigen Flugerfahrungen durchgearbeitet und in treuer Verbundenheit dieselben mit Hünefeld besprochen.
Meine persönlichen Bestrebungen waren ausschließlich auf die Durchführung des Fluges im kommenden Jahre eingestellt, soweit meine Beschäftigung bei der Luft Hansa mir dazu Zeit ließ. Ich hatte dort außer meiner Nachtflugtätigkeit nebenher noch andere ziemlich umfangreiche Gebiete zu bearbeiten, wie das Gebiet der Streckensicherung und der Flugfunksicherung. Die Arbeit auf diesen Gebieten ist mir für meinen Ozeanflug recht gut zustatten gekommen.Von meinem Winterurlaub bei der Luft Hansa verwendete ich zunächst vierzehn Tage zum Training beim Wintersport in den bayerischen Alpen. Den Rest meines Urlaubs benutzte ich mit meinem Freund Hünefeld zu einer ersten Seereise nach Irland zwecks Besichtigung der irischen Flugplätze. Diese Reise ist ebenso wie die meisten anderen Vorbereitungen ziemlich geheim geblieben, allerdings nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich mit dem Einfliegen unseres Flugzeuges begann. Wenn ich meine Lebensgeschichte nochmals an mir vorüberziehen lasse, so muß ich sagen, daß ich nicht viel erstrebt habe, daß ich aber die Ziele, die ich mir bisher gesetzt, mit Gottes Hilfe, wenn auch erst nach Jahren harten Kampfes, erreicht habe.