Die Unsterblichen — Die „Bremen" Versuchsflüge — Es wird Ernst — Lebe wohl, Irland — Ein Augenblick des Schreckens — Der Weg in die Zukunft
Vier Jahre lang brannte der heiße Ehrgeiz, den Ost-West-Transatlantikflug zu vollbringen, in mir. Enttäuschung folgte auf Enttäuschung, aber als sich wie der Blitz über ganz Irland die Kunde verbreitete, daß Amerikas großer Sohn, Oberst Lindbergh, in seinem „Spirit of St. Louis" über unsere grünen Hügel glitt, da wurde die Glut meiner schwelenden Hoffnungen zur hellen Flamme entfacht. Es kamen Chamberlin und Levine in dem Bellanca Eindecker mit Wright-Motor, es kamen Kommandant Byrd und seine brave Mannschaft, Acosta, Balchen und Noville, es folgten Brock und Schlee, die kühnen Um-die-Welt-Flieger, die von Neufundland aus London erreichten, — da beschloß ich, alles, was in meinen Kräften stand, zu tun, um die Ehre des Ost-West-Fluges an Irland zu bringen. Viermal in ebenso vielen Monaten hatten amerikanische Piloten den rasenden Stürmen des Nordatlantik getrotzt und die Gestade der alten Welt erreicht; viermal haben sie so die Flieger Europas herausgefordert.
Flugzeug auf Flugzeug schwang sich in den grauen Himmel Europas, um hinter dem Vorhang eines unbekannten Schicksals zu verschwinden. Das tragische Ende dieser tapferen europäischen Flieger wird für immer von Geheimnis umgeben bleiben wie ihr Kampf mit trügerischen Stürmen, mit gefährlichem Nebel und unbarmherzigen Eisschauern, bis ihre Flugzeuge wohl nichts mehr anderes waren, als schwankende, eisbedeckte Kammern des Todes. Für immer sind die Namen derer, die den Schleier der Ewigkeit gelüftet haben, auf den Seiten der Geschichte des Flugwesens aufgezeichnet: Nungesser und Coli, Hamillon, Michin und Prinzessin Löwenstein-Wertheim, Hinchcliffe und Eleanor Mackay. Für die Gemeinde der Flieger in Europa bedeuten diese Namen eine Schuld der Toten, die von den Lebenden beglichen werden muß. Es mußte die Überquerung des Atlantik von Osten nach Westen durch Piloten Europas kommen.
Der Flug der „Bremen" war kein Unternehmen, das einem plötzlichen Antrieb entsprang. Er ist viele Monate, bevor Hauptmann Hermann Köhl und Freiherr E. G. von Hünefeld am 26. März vom Dessauer Flugplatz, 120 Kilometer südlich von Berlin kommend, auf dem irischen Freistaat-Flugfeld in Baldonnel landeten, sorgfältig vorbereitet worden. Als der starke Ganzmetall Junkers-Eindecker gelandet war, da stieg aus dem Führersitz lächelnd der rundliche, kleine Pilot Köhl, unmittelbar gefolgt von Freiherrn von Hünefeld, einem typischen deutschen Aristokraten. Es war nicht das erstemal, daß ich das Vergnügen hatte, mit den beiden unerschrockenen Männern der Luft zusammenzutreffen. Schon einmal landeten sie in Baldonnel, als sie bei ihrem ersten Versuch, den Ozean zu überqueren, genau wie Kapitän Macintosh und ich auf unmögliches Flugwetter gestoßen und nach Irland zurückgekehrt waren. Als Kommandeur konnte ich ihnen damals die ganze Unterstützung, die mir meine Stellung erlaubte, angedeihen lassen und ihnen in jeder Weise durch Sammlung von Wettermeldungen usw. behilflich sein. Weil es aber schon spät im Jahr war und das schlechte Wetter anhielt, mußten sie ihren Versuch für 1928 zurückstellen.
Wie es so oft im Leben derer, die der Gemeinde der Flieger angehören, vorkommt, führt ein zufälliges Zusammentreffen, wie dieses, häufig zu einem Band unverbrüchlicher Freundschaft.
Auf die Kunde vor dem Eintreffen des deutschen Flugzeuges hatte sich eine ziemliche Anzahl interessierter Zuschauer eingefunden. Die Mannschaften und Mechaniker des Luftkorps schoben die „Bremen" in einen unserer Schuppen, der für diesen Zweck leer gemacht worden war. Wir standen noch herum und unterhielten uns über die verschiedenen Einzelheiten, die im Flugzeug für die besonders schwierige Aufgabe, die vor ihm lag, angebracht worden waren. Ein eigenes Schwimmgerät war in die Flügelkonstruktion eingebaut worden, so daß, sollte die „Bremen" zum Niedergehen auf das Wasser gezwungen werden, die ziemliche "Wahrscheinlichkeit bestand, daß sie schwimmen würde, bis Hilfe kam. Das ganze Wissen und Können der deutschen Konstrukteure und Mechaniker steckte in diesem Ganzmetall - Junkers, das Betriebsstoff für vierundzwanzig Flugstunden, etwa 2400 Liter, im Gewichte von nahezu zweieinhalb Tonnen, mit sich führte. Nachdem ich den Führersitz mit all seinen Anordnungen genau untersucht hatte, war ich überzeugt, daß die „Bremen" wirklich jede Aussicht auf den Erfolg habe.
Später am Abend, als sie einen Bissen gegessen und eine Tasse Tee getrunken hatten, übermittelte mir der Freiherr die Einladung, sie an ihrem Ost-West-Flug zu begleiten. Ich möchte an dieser Stelle nochmals im Namen Irlands meinen tapferen deutschen Kameraden dafür danken, daß sie es mir ermöglichten, mich an diesem epochemachenden Unternehmen zu beteiligen. Die Tatsache, daß ich zusammen mit Freiherrn von Hünefeld und Hauptmann Köhl diesen Flug ausführen konnte, spricht genügend für den großen Fortschritt, der in der Umwandlung der Fliegerei von einer Waffe des Krieges in einen Boten des Friedens liegt. Ist es nicht einschlagendes Beispiel für das Verstehen der Menschen untereinander durch engere Verbindung, wenn man bedenkt, daß nur wenige kurze Jahre zuvor wir uns in mörderischem Kampf zerfleischten? Jahrelang haben wir uns als Feinde gegenübergestanden, und doch war es nur eine Angelegenheit welliger Tage, daß wir uns fanden und den Grund zu einer unvergänglichen Freundschaft legten. Seite an Seite haben wir während dieses Fluges gekämpft in der Hoffnung, daß unser Unterfangen mehr guten Willen und besseres Verstehen unter die Völker der Erde bringen möge.
Die Geschichte der Zivilisation und des Fortschrittes gründet sich zum größten Teil auf die Entwicklung der Verbindungen und des Verkehrs. Je näher uns unsere Nachbarn durch die rasche Mitteilung der Ideen, Gedanken und Bewegungen, die ihre Gebräuche bestimmen, gebracht werden, desto leichter sollten Mißverständnisse vermieden werden. Das Flugzeug dürfte uns dem Weltfrieden gewaltig näher bringen. Man kann sich ganz leicht vorstellen, daß viele Jahre zurück, als hundert Meilen noch eine schreckliche Entfernung bedeuteten, Verdächtigung, Gier und Haß blühen konnten. Wie der Feudalismus der alten Welt dem Nationalismus Platz gemacht, so wird auch dieser dem Universalismus weichen müssen, wenn unser Verbindungssystem den Grad der Vollkommenheit erreicht hat, der uns alle in gemeinsamem Verstehen verbindet. Radio und Telegraph, das Fernsehen und Fernhören, Dampfschiffe, Eisenbahnen, Automobile und Flugzeuge schmieden die Verbindungsglieder zwischen den Nationen, die auch durch politische Streitigkeiten und persönliche Eifersüchteleien von Staatsmännern nicht zerbrochen werden können.
In den Tagen, welche dem 26. März folgten, führten Hauptmann Köhl und ich in der „Bremen" verschiedene Versuchsflüge aus, um mich völlig mit der Betriebsstoffversorgung und dem Verhalten der Maschine, die uns bald weit hinaus über die See tragen sollte, vertraut zu machen. Diese Aufstiege waren famose kleine Angelegenheiten voll prickelnden Vorgefühls und der Gespanntheit auf die neuen Eigenheiten einer neuen Flugmaschine. Die „Bremen" ist einer der besten Apparate, die mich je mein gutes Schicksal fliegen ließ. Ich fand sie nicht nur im Geradeausflug, sondern auch in Kurven außerordentlich stabil, und der Steuerapparat war so leicht, daß man mit der leisen Berührung eines Fingers das Flugzeug in der Luft herumdrehen konnte. Während der Überlandflüge, die wir vornahmen, um die Navigationsinstrumente auszuprobieren, stellte ich fest, daß es möglich war, beide Hände und Füße von der Steuerung wegzunehmen und daß die „Bremen" dabei für geraume Zeit ohne eine Abweichung geradeaus weiterflog. Ich brauche nicht weiter zu sagen, daß mich diese Eigenschaften des Flugzeuges mit großer Befriedigung erfüllten; denn ein Apparat, der in der Luft seine Mucken hat, wird leicht besonders gefährlich, wenn nach vielen Stunden die ermüdeten Nerven durch den Mangel an Ausruhen nahezu stumpf geworden sind.
Diese Vorbereitungen aber waren bald vorüber und nun ging es an die unwillkommene Aufgabe, auf günstige Wetternachrichten zu warten. Während dieser ruhelosen Tage, in denen wir hin und her rannten wie die Löwen in einem Käfig, tat meine Frau alles für unsere Bequemlichkeit und Seelenruhe. Nicht ein einziges Mal ließ sie nur den leisesten Ton der Angst in ihre Stimme schleichen, ja, sie nahm meine Ankündigung, daß ich mit Hauptmann Köhl und Freiherrn v. Hünefeld über den Atlantischen Ozean fliegen würde, mit einer Ruhe auf, als ob ich so zufällig erwähnt hätte, ich flöge von Baldonnel nach London. Ihre Seelenstärke und Tapferkeit trugen während dieser Tage sehr viel zu meiner Gemütsruhe bei.
Am späten Abend des 11. April erhielten wir vom britischen Luftministerium eine Wettermeldung, worin eine allgemeine Besserung der Verhältnisse über dem Ozean angekündigt war. Um neun Uhr abends beschlossen wir darauf, am folgenden Morgen mit der Dämmerung aufzusteigen. Ich war wie elektrisiert und übermütig wie ein Junge, der eben erfahren hat, daß das kleine alte Schulhaus niedergebrannt ist. Ich platzte in die Offiziersmesse und rief laut den Kameraden zu: „Die Peitsche knallt, die Pferde ziehen an, die Räder drehen sich! Um fünf Uhr morgen früh geht's Richtung gegen die guten alten U. S. A." — Mit Jubel wurde meine Ankündigung begrüßt und ein Schluck auf den Erfolg unseres Unternehmens getrunken. Im Nu hatte sich die Kunde im Lager verbreitet und von jeder Seite strömten die Freunde zusammen, um am Becher der Begeisterung zu nippen und ein Abschiedsliedchen anzustimmen, das uns Glück wünschen sollte. Sie drängten: „Komm, Fitz, geh zu Bett!" „Nicht die Spur," erwiderte ich, „erstens ist es lächerlich, so früh schlafen zu gehen, und zweitens weiß ich, daß ich doch nicht schlafen kann. Was soll ich mich heute abend kümmern, bloß weil ich morgen eine Kleinigkeit vorhabe? Wir wollen weitermachen, gerade wie immer!" Es wurde zehneinhalb, elf und zwölfeinhalb. Dann hatte es keinen Zweck mehr, zu widersprechen; die Jungens bestanden schließlich darauf, daß ich ins Bett müßte, und ohne viel Lärm schlüpfte ich in das Zimmer neben Patrizia. Die kleine Pat schlief den Schlaf des Gerechten, aber ich bin sicher, hätte sie gewußt, daß ich um fünf Uhr morgens daran war, den Ozean zu überqueren, würde sie unverzüglich darauf bestanden haben, mich zu begleiten. Alles war für den Morgen fertiggemacht worden, die Tanks mit Betriebsstoff gefüllt, der Ölvorrat aufbewahrt und die letzten Handgriffe getan. Wie die „Bremen" während der Nacht so in dem schweigenden Schuppen stand, muß sie die Luft, die über dem Flugplatz lag, mit gespannter Erwartung geschwängert haben.
Als ich um dreieinhalb Uhr am folgenden Morgen — es war der 12. April — aufstand, wurde mir der nachstehende Wetterbericht übergeben:
Wind bis 15 Grad westlicher Länge hauptsächlich zwischen Süd und Ost mit einem Durchschnitt von 15 bis 20 Meilen die Stunde an der Oberfläche und 30 zu 35 in einer Höhe von 600 Meter.
Westlich des 30. Längengrades abnehmende Winde gegen New York zu. Die ganze Strecke entlang ist der Himmel zu dreiviertel bis voll bedeckt mit einer Wolkenschicht hauptsächlich 300 bis 600 Meter über der Oberfläche des Meeres.
Vermutlich leichter oder mäßiger Regen ungefähr auf Länge 20. Allgemeine Sichtigkeit fünf zu zehn Meilen, abgesehen vom Niederschlagsgebiet. Keine Gefahr für Nebel, Eisbildung oder Hagel.
Barometerschwankungen sind derart, daß ein Irrtum in der Höhenmessung zugunsten der „Bremen"-Piloten sein wird.
Die Dunkelheit auf dem Flugplatz wich den ersten grauen Streifen der Dämmerung, als wir den Proviant im Führersitz verstauten. Köhl ging schweigend um das Flugzeug herum, immer mit seinen Seekarten beschäftigt. Der Freiherr schaute nervös in den Himmel, als ob er es nicht erwarten könnte, bis es hell genug sei, abzufahren. Kurz nach vier Uhr rollten 50 unserer Freistaat-Soldaten die „Bremen" aus dem Schuppen.
Präsident Cosgrave, eine Anzahl Regierungsbeamter, der deutsche Generalkonsul und eine ziemlich große Menschenmenge war nach Mitternacht mit Auto oder Fahrrad von Dublin herausgekommen, um Zeuge des Abfluges zu sein. Wie greifbar stehen die Gesichter meiner lieben Freunde vor mir, die, ich weiß es, ihr Bestes taten, um ihre Bewegung zu unterdrücken. Es war schon schlimm genug, zu einer so unirdischen Stunde aufstehen zu müssen, noch ohne das Gefühl, das die meisten bewegte. Ich persönlich war ziemlich aufgekratzt und wir alle waren begierig, das Lebewohl abzukürzen und uns auf den Weg zu machen. überall erschienen freundliche Gesichter mit einem „Glückauf und Erfolg, Jungens! Grüßt uns die Yankees!" Ein Zeitungsberichterstatter drängte sich durch die Menge und bat mich um Abgabe einer Erklärung. Irgendwie fiel mir die jetzt im Flugwesen berühmte Bemerkung ein, die Wilbur Wright gemacht hatte, als er von einem Mitglied der Presse nach Einzelheiten der von ihm und seinem Bruder erreichten Erfolge mit ihrem ersten Flugzeug in Orville gefragt worden war. Er sagte: „Der Papagei ist ein Vogel, der am meisten spricht und am wenigsten fliegt." Es war dies eine ideale Bemerkung für diesen Augenblick; denn wir alle hatten den Wunsch, an die Arbeit zu gehen zur Bezwingung des Nordatlantik und so die nächste Stufe des Fortschrittes zu transozeanischen Handelsluftlinien zu erreichen. Denn nur auf diese Weise läßt sich Fortschritt erzwingen, und das möchte ich insbesondere denen sagen, die über den Gedanken, den Ozean .zu befliegen, lachen. Wir lächeln heute über Bleriots Überkreuzung des englischen Kanals im Jahre 1909. Wer weiß — unsere Kinder werden sicher einst genauso auf das heutige Transatlantikfliegen zurückblicken. Man hält die Überquerung des Ozeans für ein waghalsiges Beginnen. Zu seiner Zeit war die Fahrt des Kolumbus ein ebensolches, wenn nicht noch wagemutigeres Unternehmen, und der Unterschied liegt hauptsächlich in den Fortbewegungsmitteln, die den Menschen heute zur Verfügung stehen. In unseren Tagen ist der transatlantische Schiffahrtsdienst so sicher und bequem, daß solche Fahrten als Vergnügungsreisen gelten; die Zeit ist nicht ferne, in der man den Luftverkehr zwischen der Alten und der Neuen Welt auch so ansehen wird.
Der mächtige silbergraue Eindecker stand auf der Ablaufbahn vor dem Schuppen. Freiherr von Hünefeld saß in der Kabine hinter den Tanks, umgeben von Nahrungsmittelpaketen und anderen Utensilien. Auf der linken Seite des Führersitzes wartete Hauptmann Köhl, bis der Mechaniker den Propeller andrehen würde, auf der rechten Seite lugte ich über die Kante des Flugzeugrumpfes, um noch schnell einen Blick von einem spät angekommenen Freund zu erhaschen. Es ist schwer, zu erklären, was jeder von uns in diesem Augenblick dachte. Während unser Motor aufwärmte, hielten Klötze vor den Rädern den Apparat zurück. Ein kalter Wind blies uns in die Gesichter, während die Sonne die ersten Strahlen eines neuen Tages auf die Ablaufbahn warf. Alles war bereit; wir prüften unsere Hebel und schauten nochmal herum, um sicher zu sein, daß auch jedes notwendige Ausrüstungsstück da war.
Köhl und ich hatten gehofft, daß uns etwas Wind von vorne den Abflug erleichtern würde, aber kein Lüftchen regte sich. Die schwer beladene „Bremen" wäre bei helfendem Wind viel leichter vom Boden frei gekommen, und wir sahen uns nun der Notwendigkeit gegenüber, mit der bloßen Kraft unseres Motors uns von Mutter Erde ablösen zu müssen. „Alles klar" riefen die Mechaniker und die Klötze vor den Rädern wurden weggestoßen. Köhl nickte mir zu, ich erwiderte mit einer Bewegung meiner Hand. Noch ein Blick auf die Abflugbahn, ein Blick nach hinten, wo Freiherr v. Hünefeld saß — und Köhl gab Vollgas.
Auf den plötzlichen Zustrom von Betriebsstoff durch den Vergaser in die Zylinder schien der Motor gierig zu schlucken. Dröhnend peitschte der Propeller die Luft und riß einen scharfen Luftstrom über die Flügel nach hinten. Die Räder begannen sich zu drehen, und wir beide griffen in die Steuerung. Schneller und schneller gewannen wir Triebkraft. Der Schwanz hob sich vom Boden, als der Apparat, der wegen Mangel an Geschwindigkeit sich immer noch an der Erde hielt, Flugstellung einnahm. Nachdem wir mehr als 1200 Meter die besonders für den Flug hergerichtete Bahn abgefahren hatten, rasten wir mit ungefähr fünfzig Meilen Stundengeschwindigkeit dahin und hatten immer noch nicht genügend Fluggeschwindigkeit, obwohl die Beschleunigung jeden Augenblick zunahm.
Bei einem gelegentlichen Blick über die Seite meines Sitzes bot sich mir ein gräßlicher Anblick — ein Hindernis in Gestalt einer dahinziehenden Schafherde erschien gerade in der Richtung des Flugzeuges. Jetzt auf die Tiere treffen, bedeutete Zertrümmerung der Maschine — es war ein entsetzlicher Augenblick. Mit aller Kraft meiner Lungen überschrie ich das Motorengebrüll: „Schafe!" Glücklicherweise hatten wir inzwischen soviel Geschwindigkeit, daß Köhl und ich die Maschine vom Boden lüften konnten. Wir kamen von den Schafen frei und erhoben uns in die Luft, gerade recht, um zu verhindern, daß wir in einen großen Baum am Ende der Ablaufbahn rannten.
Bald befanden wir uns über den nebelbedeckten Hügeln Irlands und glitten über Kildare, die Kings und Galway Counties dahin, bevor es über die Bucht von Galway hinausging auf den offenen Ozean. Das mit einer dicken Bodennebelschicht bedeckte Land, aus dem die kegelförmigen Bergspitzen hervortraten, war ein wundervoller Anblick. Da und dort zog ein schläfriger Weiler unter uns vorbei. Rauchwölkchen zeigten an, daß die Bewohner bald an ein neues Tagewerk gehen würden. Gewundene Straßen und Flüsse flochten sich in das grüne Laubwerk der Hügel und das liebe alte Irland schien in friedlichem Schlafe befangen, während wir, ein großes Wagestück vor uns, durch die Luft donnerten.
Von Dublin nach Galway ist nicht weit; in der Tat nahm der Flug weniger als eineinhalb Stunden in Anspruch. Ich konnte mir meine lieben alten Freunde in Baldonnel vorstellen, wie sie jetzt langsam zu ihren Wagen gingen und nach der Stadt fuhren. Und Bill — ich hätte wissen mögen, was sie dachte, als sie allein zu Patsy zurückging. Meine letzte Erinnerung war ein Kuß und ein Lächeln mit einem: „Viel Glück, Fitz, ich weiß, daß du's machen wirst.” Es schien mir etwas leicht die Kehle zusammenzuschnüren. — War es nicht eine Schande, meine alten Kameraden der Luft zurückzulassen ohne ein gutes Wort, das ihnen sagte, wie viel mir ihre Freundschaft gewesen ist? Für einen Augenblick wünschte ich fast, ich könnte ihnen noch einmal winken, aber der Nebel hinter uns schloß alles ein, und weit voraus konnte ich schwach die Linie der Küste erkennen.
Was wohl Hauptmann Köhl und der Freiherr, die schweigsamen Gefährten meiner Luftreise, dachten? Sprechen war unmöglich, und der einzige Weg, uns zu verständigen, war Schreiben. Ein weiteres Hindernis für unseren Meinungsaustausch war, daß Hauptmann Köhl wenig oder gar nicht Englisch sprach. Es war wirklich ein sonderbares Gefühl, neben einem Gefährten zu sitzen, der mit mir dem Unbekannten entgegenging und nicht einmal meine Sprache verstand.
Bald waren wir über dem Meer und sausten über dem Bande der gebirgigen Küste entlang gegen den Slyne IIead Leuchtturm zu, auf den wir beim überfliegen einen langen Blick warfen und ein zärtliches Lebewohl winkten. Vor uns dehnte sich der unermeßliche Ozean, getaucht in glitzerndes Sonnenlicht. Eine lange Ozeandünung wogte unaufhörlich auf und nieder gegen die klare steile Klippenküste von Irland. Als die letzten Zeichen von Land im Nebel hinter uns verschwanden, da kam es uns vor, als hingen wir über einer ungeheuren grauen Fläche. Unsere Fortbewegung mußte nun an Hand der Zeit gemessen werden. Unaufhörlich hämmerte der Motor in unser Bewußtsein.
Wir gingen tiefer auf die Oberfläche des Meeres hinunter, um unsere Abtrift durch Richtung und ungefähre Geschwindigkeit des Windes festzustellen. Es geschah dies durch Abwerfen von Rauchbomben auf das Wasser. Stimmten unsere Seekarten und Instrumente mit unserem Kurse überein, dann pflegte ich dem unbeweglichen kleinen deutschen Piloten zuzunicken. War es nötig, eine Korrektur vorzunehmen, dann deutete ich auf die Anzahl der Grade der Windabweichung und merkte es an unserer Ozeankarte an.
Da und dort konnten wir am Horizont die sich zu einem örtlichen Sturm zusammenballenden Wolken sehen und waren manchmal am Rande solcher Stürme. Ein wundervolles Schauspiel bildeten einige dieser Schnee- und Eisstürme dadurch, daß es schien, als ob ein gewaltiger Sprühregen mit scharf umrissenen Rändern aus dem Ozean aufstiege. Wir hielten uns am Rande dieser Schneestürme, um ihre Dichtigkeit festzustellen und womöglich die Bildung des Eises und der Schneewolken zu beobachten. Wir fanden jedesmal, daß der Schnee und die Eisschlossen durch Niederschläge in einer kalten Zone, gewöhnlich an den Rändern von Eisbergformationen, zustandegekommen waren. Manchmal glaubten wir, in der Entfernung Eisberge zu sehen, aber nach Gebrauch unserer Ferngläser stellten sie sich nur als Wolkenschatten auf dem Wasser heraus. Den ganzen Tag hindurch wechselten Köhl und ich im Fliegen ab, drei Stunden er und drei Stunden ich, und orientierten uns fast gänzlich nach der Sonne. Von Irland bis zur mittelatlantischen Linie trafen wir auf Ost- und Südost-Winde; denn wir gingen über ein Gebiet, das einige Tage früher ein Tiefdruckgebiet war und am Abend vor unserem Abflug begonnen hatte, sich aufzufüllen. Diese leichten veränderlichen Winde hatten wenig Einfluß auf die Navigation der „Bremen". über dem Mittelatlantik gerieten wir in einen leicht stürmischen nordwestlichen Wind. Sobald wir die neuen unruhigen atmosphärischen Bedingungen bemerkten, warfen wir mehr von den „weißen Pferden" ab und stellten durch die Richtung des Rauches fest, daß der Wind eine ungefähre Geschwindigkeit von 15 bis 20 Meilen die Stunde an der Oberfläche hatte. Ein solcher Wind bedeutete für uns lediglich die Notwendigkeit, unseren Kurs weiter zu kontrollieren, und zeigte uns an, daß eine leichte Störung örtlicher Natur herrschte. Nach eineinhalb bis zwei Flugstunden ließen wir dann wirklich unseren Freund, den kleinen Sturmwind, weit zurück. Die lange Dünung des Ozeans schien ruhiger zu werden, und während des Abends sah das Meer wie eine Glasfläche aus; kaum bemerkbarer Wind wehte.
Mitten in unser Träumen und in unsere ruhigen Beobachtungen hinein hörte ich auf einmal, wie der Motor anfing, zu spucken. Die Tachometernadel, welche die Anzahl der Propellerumdrehungen pro Minute anzeigt, begann nach rückwärts und vorwärts auszuschlagen. Mein Herz krampfte sich zusammen, ich schaute auf Köhl und konnte sehen, daß er scharf auf den Motor hörte. Hinten saß der Freiherr bolzen-gerade aufgerichtet und mit einem fragenden Blick nach vorwärts starrend. Frei heraus, mir war einen Augenblick schrecklich zumute. Sechs oder siebenhundert Meilen draußen über dem offenen Ozean und der Motor auslassen — das ist ein ziemlich unerfreuliches Gefühl. Blitzartig sah ich die „Bremen", wie sie vollgesogen mit Wasser in der langen Dünung des Atlantiks rollte, während wir, am Ende unserer Kräfte, auf einen vorüberziehenden Dampfer hofften. In diesem Augenblick standen die Leben der anderen, die uns vorangegangen waren, vor mir. Tapfere Bahnbrecher! Ein kalter Schauer überlief mich.
Es ist schwer zu sagen, wie lange der Motor spuckte, vielleicht waren es nur einige Sekunden. Mir schienen sie allerdings eine Ewigkeit zu sein. Als der Pulsschlag unseres kräftigen Motors wieder rhythmisch geworden war, lächelte Köhl zuversichtlich; es bedurfte keines Gedankenlesens, um mir zu sagen, daß sich auch er der außerordentlichen Gefahr, in der wir uns befunden hatten, bewußt war.
Die Minuten verrannen, und ich geriet mit meinen Gedanken wieder ins Träumen. Ich malte mir den Abflug eines riesigen mehrmotorigen transatlantischen Flugschiffes von Irland aus. In der Kabine saßen Männer und Frauen, Reisende der Zukunft, für die der Ozean lediglich eine Grenzlinie zwischen den Völkern bedeutete und für die das Flugzeug das schnellste Mittel zur Beseitigung der Entfernung war. Ein geräumiges Frachtabteil enthielt wertvolle Bündel mit Handelswerten, Hartgeld und Banknoten. Die Zinsen an diesen Vermögensanlagen verringerten sich von vier Tagen und Nächten der Untätigkeit zwischen Europa und Amerika auf kurze vierzig Stunden, und diese Ersparnis allein bedeutet viel. Unter dem Führerstand befand sich wohl ein Radioraum, in dem einer der beiden Radiooperateure dauernd die Verbindung mit der Erde und Schiffsradiostationen aufrecht erhielt und somit zu jeder Tages- und Nachtzeit die Lage des Flugzeuges feststellen und den Kurs kontrollieren konnte. Diese Meldungen wurden dann wohl dem Navigator übergeben und auch vom diensttuenden Piloten zur Kontrolle seiner Instrumente benutzt. Wenn dann die Dunkelheit kam, suchten die Passagiere, ähnlich wie es in der Eisenbahn ist, ihre Schlafabteile auf. Während der langen Stunden des Tages würden die Passagiere wohl auch lesen und leichte Gerichte genießen, die eine elektrisch betriebene Küche hinter dem Gesellschaftszimmer lieferte. Ließ eine oder sogar zwei der Kraftquellen dieses Transatlantikriesen aus, so war vermutlich nur eine Angleichung der anderen Motoren zur Übernahme der zuzüglichen Arbeit nötig. Ich konnte die Motoren in einer Weise angebracht sehen, daß sie dem Mechaniker, der versuchen würde, Reparaturen während des Fluges auszuführen, leicht zugänglich waren.
Der Flug der „Bremen" war nicht bloß ein leichtsinniges Wagestück. Es war ein sorgfältig vorbereitetes wissenschaftliches Unternehmen, bei dem jede Gefahrmöglichkeit oder Ursache für ein Versagen vorher niedergeschrieben und von allen erdenklichen Seiten betrachtet war. Man hatte alle Vorsichtsmaßregeln getroffen, um diese Gefahrmomente auszuschalten oder auf ein Mindestmaß zu beschränken. Ernsthaft ist die Frage der Mitnahme eines Apparates für drahtlose Nachrichtensendung und Empfang erwogen worden, aber da ein wirklich ausreichender und brauchbarer Apparat ein Gewicht von etwa 180 Pfund bedeutete, hielten wir es für besser, dieses Gewicht in Betriebsstoff einzusetzen. Darin lag der einzige schwache Punkt in der ganzen Organisation des Fluges; denn, wie wir jetzt sehen, hätten wir mit einem solchen Apparat an Bord nach unserer schätzungsweisen Ankunft über der Gegend von Neufundland unsere genaue Lage geben können. Da es auch möglich gewesen wäre, von den Küstenstationen die Richtung und Windgeschwindigkeiten zu erfahren, wären wir leicht in der Lage gewesen, unser Ziel, New York, zu erreichen. Für die Transatlantikflüge der Zukunft ist eine drahtlose Einrichtung unbedingt erforderlich. Da man sich immer mehr mit Ozeanflügen beschäftigt, sollte auch meiner Meinung nach ein kleiner Gyrokompaß hergestellt werden, bei dem die Gefahren, die dem gewöhnlichen magnetischen Kompaß anhaften, ausgeschaltet sind. So oft wird die Magnetnadel durch große Erzlager beeinflußt, daß ein solcher Kompaß praktisch jeden Wert verliert.