Um Eisschauer herum – Wind und Wolkenberge – Das Inferno des Meeres – Kämpfen im Dunkeln

Die Wetterlage in den Mittagsstunden wurde sogar immer noch sonniger. Die schönsten Cumuli-Wolken hingen in frischer sonniger Luft. Der endlose Wasserspiegel breitete sich glatt wie ein kleiner Binnensee vor uns aus. Die durch Schaumblasen bezeichnete Windbahn hatte sich in der Zwischenzeit von Südost völlig gedreht und kam nun von Nordwest uns schlangenartig entgegen. Aus den dicken, im Sonnenlicht hängenden Cumuli-Wolken hingen weißliche Regenstreifen aufs Meer hernieder, die wir nicht durchsehen konnten. Aber wir konnten diese örtlich begrenzten Regenschauer gut umfliegen. Während manchmal auf meiner Seite die Sonne in die Maschine hereinbrannte, brachen auf der anderen Seite die kalten Luftströme von den Regen- und Schneeschauern herein, die an dieser Seite unfreundlich grau sich aufs Wasser niedersenkten.

Wir streiften sozusagen immer nur die Ränder dieser wolkenbruchartigen Gebilde, in denen Schnee- und Eismassen die Wogen peitschten, Wehe dem Piloten, der bei Nacht, ohne es zu ahnen, in diese eisigen, Gefahr bringenden Schnee-und Hagelstürme hineingerät. Ob er da verloren ist, oder ob es Mittel gibt, sich siegreich durch diese Barrikaden durchzukämpfen, wußte ich bis dahin noch nicht. Aber im Bewußtsein der kommenden drohenden mondlosen Nacht fiel mir diese Erwägung schwer aufs Herz. Es begannen jetzt um diese Zeit die ersten unangenehmen Einwirkungen des langen Fluges sich zu zeigen. Die Augen, die dauernd auf der spiegelnden Wasserfläche, in der Ferne am Horizont und in den lichten Wolken einen Halt suchten und dann wieder hineintauchen mußten in das Dunkel der Maschine, um am Kompaß immer wieder und wieder den Kurs festhalten zu können und zu verbessern, sie fingen an zu brennen. Je später es wurde und je mehr sich die Sonne uns entgegenneigte, um so greller waren die gleißend glühenden Strahlen, die aus dem Meere uns entgegengeschleudert wurden. Ich habe auf der linken Seite ganz besonders darunter zu leiden, und oft mußte ich meine Augen schließen, um sie auszuruhen. Ich hatte zwar eine dunkle Brille zum Schutz gegen die Sonnenstrahlen, aber auf die Dauer war auch dies nicht genug.

So war es allmählich fünf Uhr geworden, und ich lud Fitzmaurice zum Tee ein. Es war nicht so fein gedeckt wie sonst, aber der Tee aus unseren Original-Thermosflaschen war so heiß, wie er am Morgen hineingetan war, er erfrischte und schmeckte uns besser als sonst. Als Zugabe kam dasselbe, was wir mittags schon zu uns genommen hatten: belegte Brötchen, Bananen und Schokolade.

Nach dem Tee sahen wir erfrischt und froh dem kommenden Abend entgegen. Wir hatten Grund, glücklich zu sein, denn der Motor brummte emsig sein Lied, und es war nicht das geringste Zwischengeräusch zu vernehmen. Er schien wirklich jubelnd nach Westen zu streben, und glitzernd durchschnitt der metallene Junkers-Propeller die sonnigen Luftfluten. Unserer Freude und Anerkennung für den tapferen Motor gaben wir dadurch Ausdruck, daß wir Tourenzähler und Flugzeug liebevoll streichelten.

Wir machten um die fünfte Stunde auch eine neue Windmessung und konnten hier plötzlich recht starken Nordwestwind feststellen.

Demnach mußten wir unseren Kurs um 15° nördlicher verbessern und gingen auf niedrigste Höhe über den nunmehr dunkel gerunzelten blau-grauen Meeresspiegel.

Beim Flug in zehn Meter Höhe konnten wir dann an den Spritzern der schaumgekrönten Wellen das Anhalten dieser Westströmung immer wieder feststellen.

Die Beobachtung unseres Benzinverbrauchs war eine der wichtigsten Aufgaben unserer Navigation. Unsere Benzinuhren sind alle nicht gut, weil sie durchweg schlecht anzeigen. Es ist nach den Uhren wohl festzustellen, daß eine normale, regelmäßige Abnahme des Benzins stattfindet, aber das, was für solche Flüge besonders notwendig ist, die genaue Kontrolle möglichst durch direkten Augenschein der Benzinmengen, wird durch die Benzinuhren leider nicht ermöglicht. Auch ist niemals eine volle Gewähr dafür vorhanden, daß die Tanks auch wirklich leer geflogen sind. Unsere wesentlichste Benzinkontrolle bestand eigentlich darin, daß wir die Zeit feststellten, in der die verschiedenen Tanks leer geflogen wurden und dies in Vergleich brachten mit der durchschnittlichen Umdrehungszahl des Propellers. Aber genau waren auch diese Zahlen nicht, weil einmal in den vielen zusammengesetzten Tanks eine ganze Menge Benzin zurückbleiben konnte, so daß dies zu falschen Schlüssen führen konnte, und zweitens es ein recht erheblicher Unterschied im Benzinverbrauch war, ob wir mit mehr oder weniger Zusatzluft flogen.

Wir hatten in unserem Flugzeug in Flächen, Mittelgerüst und Kabine verteilt ein System von 14 Tanks, von denen wir immer aus zwei bis drei Tanks gleichzeitig fliegen konnten. Dadurch war eine verhältnismäßig gute Brennstoffverbrauchs-Kontrolle möglich.

Von 5.30 bis 9.35 vormittags hatten wir aus den beiden rechten Kabinentanks, die, wie aus dem Namen hervorgeht, in die Kabinen eingebaut waren, geflogen. Die in dieser Zeit geflogene durchschnittliche Tourenzahl betrug 1440 Touren. Aus diesen Tanks flogen wir hauptsächlich deshalb zuerst, weil wir dadurch die Gewichtsverteilung in unserem Flugzeug ausglichen. Wieviel aus den Tanks herausgeflogen wurde, konnten wir deshalb leider nicht feststellen und mußten uns mit den bisher gemachten Erfahrungen zufrieden geben. Es war hier schon eine erste Unklarheit eingetreten, die dann natürlich später, als aus dem Tank weitergeflogen wurde, sich entsprechend vergrößerte.

Um 9.35 hatten wir also diese beiden Kabinentanks ausgeschaltet, da nunmehr eine günstige Gewichtsverteilung im Flugzeug erreicht war. Wir schalteten um diese Zeit die vier Flügeltanks ein, die ein derartiges Fassungsvermögen hatten, daß sie nach unseren bisherigen Versuchen und Berechnungen etwa für 101/2 Stunden Flugzeit reichen konnten. Wir hatten also kurz nach unserer Teestunde noch zwei Stunden aus diesen Tanks zu fliegen. Da jedoch mit der Möglichkeit gerechnet werden mußte, daß die Tanks schon wesentlich früher zu Ende gingen, so mußten wir diesen Termin eben recht scharf im Auge behalten und unsere Aufmerksamkeit auf das Leerwerden der Tanks richten. Eine halbe Stunde vor der errechneten Zeit, um 7.20 irischer Zeit, fiel dann auch im Benzinkontrollglas plötzlich das Benzin, das Benzinkontrollrad, welches durch das Überlaufen des Benzins angetrieben wurde, hörte auf, sich zu drehen. Wir mußten die Flügeltanks nun abstellen und erneut drei Kabinentanks einschalten. Um den Falltank wieder voll zu bekommen, pumpten wir mit unseren Handpumpen das fehlende Benzin nach. Nach drei Minuten Arbeit war auch hier wieder der regelmäßige Lauf der Benzinversorgung eingetreten. Die Kabinentanks mußten nach meiner annähernden Berechnung nun etwa für 14 Stunden ausreichen. Mit rotem Tintenstift zeichnete ich auf meiner zweiten Borduhr die Stunde an, in der nunmehr mit einem Leerwerden der Tanks gerechnet werden mußte. Um ganz sicher zu gehen, zeichnete ich allerdings die 4 Stunden vorher auch schon mit einer roten Erinnerungsmarke an, damit wir in den Nachtstunden rechtzeitig auf das mögliche Ausfliegen der Tanks und das notwendige Umschalten aufmerksam gemacht wurden. Es war dieses nämlich notwendig, da wir sehr stark mit der Müdigkeit rechnen mußten. Auch konnte es leicht vorkommen, daß im nächtlichen Kampf mit den Elementen durch Unachtsamkeit plötzlich dem guten Motor der Betriebsstoff ausging und er dadurch zum Stehen gebracht wurde.

Nach meinen bisherigen Berechnungen hatten wir nun statt in 101A Stunden schon in 9 Stunden 45 Minuten die Flügeltanks leer geflogen. Diese kleine Differenz machte mir vorläufig noch keine Sorgen, da wir ja nach gutem Fliegerausdruck die ganze Zeit über eine „Affenfahrt" mit unserer Maschine hatten.

Die Sonne stand nun schon in den späten Nachmittag-stunden. Ich war am Tage vorher in Baldonnel mit Schünzinger auf den höchsten Punkt des Flugplatzes gegangen und sah die Sonne im Westen verschwinden. Dies war 7.45 am gestrigen Tage, und um 9.30 war dann in Baldonnel völlige Dunkelheit eingetreten. Heute um 7.20 stand sie aber noch recht schön hoch am Himmel. Wir waren so froh darüber, daß sie uns nicht so gut nachgekommen war. Von 7.15 ab rechneten wir nun von vier zu vier Minuten, die wir weiter im Sonnenlicht dahinflogen, die Grade, die wir nun westlicher gekommen waren. Wir hofften, daß wir eine recht ansehnliche Zahl davon zusammen bekämen, bis die Sonne dann unter den Horizont tauchte. Dadurch hätten wir dann eine schöne Ortsfeststellung gehabt für unseren Weiterflug in der Nacht.

 

Aber es sollte leider Gottes anders kommen! Nach 11/2 Stunden wurde plötzlich unsere Aufmerksamkeit von diesem Gradzählen von vier zu vier Minuten recht erheblich abgezogen. Was da vor uns auftauchte, war uns nicht so recht angenehm, wir hatten das noch nie gesehen!

Der glühende Streifen, der weit bis an den Horizont von der Sonne auf dem Wasserspiegel gemalt war, war wie abgeschnitten. Ein weißlicher Streifen, der sich am Horizont verlor, schien ihn unterbrochen zu haben. Dort war Schluß.

Hinter diesem weißlichen Milchstreifen türmten sich gigantische Wolkenberge auf, die nördlichen wirklichen Bergen glichen, dunkel und dräuend, soweit das Auge von Nord nach Süd reichte. Ich sah durch das Fernglas und konnte dabei erkennen, daß es sich nicht um Land und Berge handelte, sondern um schlimme, schlimme Wolkengebilde, die am Horizont in -vielen 1000 Metern Höhe aufstiegen, so hoch, daß sie wohl kaum zu überfliegen waren.

Nach meinen in Tempelhof in großen Höhen gemachten Wolkenflügen war es mir klar, daß wir dort, wenn wir über diese hohen 'Wolken nicht hinwegkamen, in eisig kalte Nebel hineinstoßen mußten, in denen unser Flugzeug bestimmt so vereisen würde, daß wir zum Niedergehen gezwungen sein würden.

Der ganzen Wolkenart nach handelte es sich um die Begegnung mit einem ausgedehnten Tief, das schneller als die Tiefs sonst hier in Erscheinung trat. Meine bisherigen Annahmen befestigten sich nun doch, daß bei einem Ost-West-Flug ein Flugzeug es wohl in den seltensten Fällen vermeiden kann, durch ein Tief hindurchzumüssen. Glücklich der, dem dieses Tief am Tage begegnet. Wehe dem, der nicht über ein glänzendes Flugzeug und die besten Instrumente verfügt, dem so ein Tief bei Nacht sich in den Weg drängt. Und uns schien letztere Gefahr zu blühen.

Meine Gedanken befaßten sich deshalb mit unserer braven „Bremen", ob sie hier wohl durchhalten würde, ob sie diese gewaltige Probe bestehen könnte. Denn meiner Ansicht nach war dieses Tief nach Westen hin auf Hunderte von Meilen ausgedehnt. Sicher war es nicht, daß wir hier durchkamen. In solche Wetterlagen war ich bisher weder bei Tag noch bei Nacht hineingeraten. Nach unserer Handhabung hatte ich auf unseren Nachtstrecken in solchen Fällen kehrtgemacht oder vorsichtigerweise zwischengelandet. Hier war Kehrtmachen nicht mehr möglich. Wir waren zu weit von der rettenden Küste Europas entfernt und wahrscheinlich schon nahe der Küste Neufundlands. Und diese letzte Tatsache verstärkte sogar noch die Gefährlichkeit der vor uns sich auftürmenden Schlechtwetterwolken. Denn wir konnten vielleicht bald mit dem Auftauchen des Landes unter uns rechnen und mußten so hoch gehen, daß wir auf keinen Fall gegen eine Anhöhe bei Nacht und Nebel stießen. Ich hatte wohl schon manchen Sturm bei Nacht und ohne Mondlicht durchgekämpft, aber das war doch im Vergleich zu dem, was uns hier nach 20stündigem Flug drohte, ein Kinderspiel. Meine Hoffnung, daß wir ungeschoren durchkämen und hinter den dicken dunklen Wolkenbergen wieder eine klare Sternennacht finden würden, war sehr, sehr schwach.

Nun hieß es alles fertig machen zum Gefecht. Unsere einzige Waffe für diesen Kampf waren unsere zwei Askania Wendezeiger. Der eine hatte während des 20stündigen Fluges bisher gearbeitet. Von dem zweiten hatten wir, um Luftwiderstand zu sparen, die Luftdüse noch nicht aufmontiert. Wir hatten dadurch, wenn auch nicht viel, so doch etwas mehr Geschwindigkeit mit unserem Flugzeug erreicht. Fitzmaurice montierte nun diese zweite Luftdüse auf, eine Arbeit, die in vier Minuten erledigt war. Dies war für uns beide das Zeichen zum Kampf. Ebenso, wie wir uns vorher über die bisherige frohe Fahrt oft in jubelnder Freude die Hand geschüttelt hatten, so taten wir dieses jetzt in eisernem Ernst„ Beim Schütteln der Hände trafen sich unsere Augen, und wortlos gelobten wir uns in diesem Augenblick, tapfer durchzuhalten, komme was kommen wolle, und treue Kameradschaft bis zum letzten Augenblick. Ich dachte auch schon daran, jetzt mehr nach Süden auszuweichen, aber wir hatten noch immer starken Nordwind. Ich fürchtete, dadurch zu weit südlich in die Wasserwüste zu geraten und dann allenfalls nicht mehr das Land zu erreichen. Meiner Schätzung nach mußten wir 200 bis 300 Meilen vor den Neufundlandbänken sein. Es begann nun ein Kampf mit den entfesselten Elementen, mit Nacht und Nebel, wie ich ihn mir in meinem Übermut eigentlich oft gewünscht hatte. Gar oft hatte ich bei den Vorbesprechungen zu unserem Fluge dies mit den Worten ausgedrückt, daß bei Mondschein und Sternenhimmel jeder fliegen könnte, und daß mich nur Nacht und Nebel noch reizten. Nun, nach ermüdendem Tagfluge, war es so weit und mir war doch etwas bänglich zumute. Da aber Angst das letzte war, was mir helfen konnte, so gab ich mir die größte Mühe, ein Lächeln auf meinem Gesicht erscheinen zu lassen.Die liebe gute Sonne, die uns so lange angeleuchtet hatte, konnten wir nicht weiter in ihr tägliches Sonnengrab verfolgen. Sie verschwand noch hoch am Himmel hinter grauem Dunst, und eisige Wolkenschatten umkrallten unsere tapfere „Bremen". Der zunächst ganz auf dem Wasser liegende unabsehbare Nebelstreifen kam näher und näher. Als er unter uns war, schien er sich zu uns zu erheben. 'Wir gaben deshalb unserer braven „Bremen" etwas mehr Brennstoff und versuchten zunächst nach oben auszuweichen. Nach einer halben Stunde Fliegens, als wir uns zwischen den Wolkenbergen durchschlängelten, traten plötzlich Wolkenlöcher auf, die uns einen Durchblick auf die Wassermassen unter den Wolken gaben. Wie verändert waren jetzt die tänzelnden Wogen des Weltmeeres. Weiße Striche von Gischt auf hohen Wellenkämmen rollten vom Winde getrieben dahin, in unaufhörlicher Folge, als wollte das Meer ein Meer gebären. Da drunten schien die Hölle los zu sein. Wir flogen schon in 2000 Meter Höhe, und immer noch war es nicht möglich, über die aufsteigenden Wolkentürme hinwegzukommen. So schlängelten wir unshindurch. Nicht lange mehr war dies möglich; denn hoch über uns war eine zweite geschlossene Wolkendecke, die sich mit unseren Wolken in nicht allzuweiter Ferne zu vermählen schien.

Es war nun der Moment gekommen, wo wir in all dieses Unsichere und Ungewisse hinein tauchen mußten, hinein in die Nebelwolken unter uns. Da wir vorher durch die Wolkenlöcher das stürmende Meer beobachtet hatten, nahmen wir an, daß der untere Wolkenrand mindestens 30 bis 40 Meter hoch über den Wellenbergen sich befand. Die Wolkenlöcher aufzusuchen und durch diese nach unten durchzustoßen, erschien mir nicht ratsam, da sich dieselben inzwischen längst geschlossen haben würden und wir dadurch nur in unserem Vorwärtskommen aufgehalten worden wären. Es ging also hinein in die Wolken. Mein Herz klopfte zwar, aber ich war doch voller Vertrauen. Noch hatten wir nicht ganz die Hälfte unserer Benzinmenge ausgeflogen, so daß die Nebelfahrt mit der schweren Maschine für mich doch etwas ganz Neues war. Aber es ging gut. Ganz vorsichtig verloren wir Höhe. Wir waren in 2000 Meter Höhe in die Wolken hineingeflogen. Allmählich sank der Höhenmesser, und er war schon auf Null angekommen, als plötzlich aus ,dem dunklen Nebel graue und schwarze Zacken und weiße Striche auftauchten. Wir waren 70 Meter über dem wogenden Meer.

Der Höhenmesser zeigte 150 Meter minus an, wir waren also in ein richtiges Tief hineingeraten. Dicker Regen peitschte an die geschlossenen Fenster. Das Meer war so vom Sturm zerwühlt, wie ich es mir in meinen wildesten Phantasien nicht hätte vorstellen können. Aufgewühlt in seinen tiefsten Tiefen streckte es gischtspritzend seine dunklen Zungen nach uns, lechzend nach neuen Opfern, nach uns, die wir zwischen zwei Elementen als winzige Lebewesen um unser Leben kämpften. Unser Flugzeug zitterte buchstäblich in allen Fugen, die Flügel schwangen und bogen sich und das Steuer erhielt Stöße von ungeahnter Heftigkeit. Tiefe Wellentäler wechselten mit heranrollenden Bergen von Wasser, deren Spitzen in weißem Strudel in sich zusammenbrachen. Ich muß hier schon eingestehen, daß mir bei diesem Anblick nicht ganz wohl war. Als kleiner schwacher Mensch gegen diese Naturgewalten anzukämpfen, erschien mir vermessen. Wie sollte das enden? Nun ging's um Leben und Tod. Aber solange noch Leben in uns war, wollten wir schon kämpfen.

Wie einst draußen im Felde im unerbittlichen Kampfe, so fühlte ich auch jetzt und überwand völlig jedes Gefühl der Angst. Wenn es schon sein mußte, dann wollte ich bis zum letzten Moment dieses gewaltige Erleben in mich aufnehmen. Herumgeworfen und geschüttelt vom Sturm konnte ich meinem Freunde Fitzmaurice kaum noch die Hand reichen. In dieser Not betete ich und die Ruhe kam völlig wieder. Es schien mir allmählich, als ob die „Bremen" diesem Kampfe doch gewachsen war, und wiederum schüttelte ich hoffnungsvoll meinem Kampfgenossen die Hand und wieder schworen wir uns, durchzuhalten bis zum Untergang.

Stundenlang tobte so der Sturm um uns, und wie man sich an alles gewöhnt, so gewöhnte ich mich auch an diese Art des Fluges. Die Hauptsache bestand nunmehr nur noch im Kompaßhalten. Der Kompaß schwankte und stieß unter den Böen, aber er zeigte an, und noch war es so hell, daß ich Richtung halten konnte in den dunklen Wolken, die vorbeiflogen, und den Wellenkämmen. Immer wieder verglich ich mit dieser Richtung den Kompaß und verbesserte dementsprechend. Es war jetzt nicht leicht, die Richtung zu halten, und oftmals wurden wir bis zu 30° aus dem Kurs geworfen. Solange es noch hell war, ging es. Die anfänglich recht schwache Hoffnung, Sieger im Kampf mit den Elementen zu sein, wuchs in mir, und durch Händedruck leitette ich dieses Gefühl weiter an Fitzmaurice und winkte Hünefeld einen frohen Handgruß in die Kabine.

Da trat etwas Unerwartetes ein, das geeignet schien, uns die letzte Hoffnung zu nehmen. Es war immer noch so hell, daß wir die Kontrollgläser sehen konnten. Wir hatten vor Stunden den Reserveöltank geöffnet und neues Öl in den Motortank laufen lassen. Das Schauglas war vor einer halben Stunde voll geworden, und wir hatten den Reservetank wieder abgestellt, damit nicht zu viel Öl in den Haupttank am Motor liefe. Und nun! Nach einer halben Stunde war das Niveau im Ölschauglas schon wieder so weit gesunken, daß es fast wieder dort stand, wo es vor dem Nachfüllen gestanden hatte. Es schien kein Zweifel zu sein, daß wir Öl verloren. Mit Rotstift schrieb mir Fitz die folgenden Worte auf einen Zettel: „Wir scheinen Öl zu verlieren." An der Tourenzählerwelle war den ganzen Tag schon etwas Öl herausgetreten, an dem Instrumentenbrett heruntergelaufen und hatte sich unten im Führersitz angesammelt. Fitzmaurice stieg im schüttelnden Sturm in die Kabine, legte sich auf den Boden und suchte mit der elektrischen Taschenlampe unter dem Führersitz herum. Er glaubte, da dort alles verölt war, seine Meinung bestätigt zu finden, daß wir irgendwo ein Leck in der Ölleitung oder im Öltank hätten und das unentbehrliche Öl zu schnell verloren. Da wir auf unserem Fluge von Berlin nach Baldonnel-Field am Hauptöltank ein leichtes Leck bekommen hatten, so mußte ich mich dieser Meinung anschließen. Als Fitz mit ziemlich hoffnungslosem Gesichtsausdruck wieder auf seinem Sitz war, schrieb er mir unter die Bemerkung von vorher: „Versuche so schnell wie möglich zu landen, wir verlieren schrecklich viel Öl."

Ein fades, ekliges Gefühl kroch in mir hoch. Wie schade, bisher war alles so glänzend verlaufen, der Motor hatte so treu und bieder durchgehalten, im Nebel und im Sturm hatte sich die „Bremen" bewährt, und wir waren Herr geblieben über die Elemente, und nun sollte ein kleiner Fehler in der Ölleitung uns den Sieg entreißen und den Flug zum Scheitern bringen?

 

 In dieser Zeit kam die Nacht heran. Ich hatte eigentlich die Absicht gehabt, beim Einbruch der völligen Dunkelheit meinen Kurs mehr südlich zu verlegen und auch die ganze Nacht über dem Ozean zu bleiben, um dann bei Anbruch des nächsten Tages wiederum nordwestlicher vorzustoßen, bis ich die Küste erreicht hätte. Diese Absicht war nun durchkreuzt. Wir hatten zwar im Reserveöltank hoffentlich noch viele Kilo Öl, aber bei dem eben beobachteten schnellen Ölverbrauch im Schauglas konnte es höchstens noch für wenige Stunden reichen. Allzuweit ab vom Land glaubte ich auch nicht mehr zu sein. Das einzige Mittel war also, einen Kurs zu fliegen, der uns auf alle Fälle so bald wie möglich an Land brachte. Ich muß sagen, daß ich eine derartige Eventualität bereits in Baldonnel erwogen und mir dafür den bestmöglichen Kurs bereits auskalkuliert hatte. So flogen wir denn diesen Kurs weiter. Es schien aber trotzdem hoffnungslos zu sein. Doch dort, wo die Not am größten ist, ist Gott am nächsten. Und wiederum betete ich und schüttelte, wie schon einmal, Fitzmaurice die Hand, mutig auszuhalten. Ich muß sagen, es tat mir der Gedanke an sein Weib und Kind recht weh; denn ich hatte damals in Baldonnel zuerst das Wort zu Hünefeld gesprochen: „Wir nehmen ihn mit." Nun war es dunkel geworden. Windfeststellungen waren nicht mehr möglich. Ich hoffte nur, daß wir früher oder später an die Rückseite des Tiefs, in dem wir uns immer noch befanden, kämen, in dem Nord- und nordöstliche Winde vorherrschten, und wir wären dann durch diese Winde an Land getrieben worden, über Neufundland weg nach Labrador hinein. Aber da wir an Land wollten, so war ich mit mit dieser Möglichkeit vollkommen zufrieden. Wir nahmen deshalb den Kurs noch etwas nördlicher. Das Fliegen ohne jede Sicht im Sturm konnten wir nun. Aber noch etwas Unangenehmes trat hier ein: Die elektrische Lichtleitung zum Kompaß fing an so schwach zu werden, daß der Kompaß nicht mehr genügend beleuchtet war, und deshalb wurde das Kompaß-Kurs-Fliegen unendlich schwierig. Wir mußten die Taschenlampe, die wir bei uns führten, zu Hilfe nehmen. Von Zeit zu Zeit leuchtete ich den Kompaß an, und leider Gottes mußte ich dabei immer wieder feststellen, daß wir durch den Sturm aus der Kompaßrichtung geworfen waren. Es war nicht so einfach, dann immer wieder den richtigen Kurs zu bekommen, und ein dauerndes Aufleuchten der Taschenlampe begann nun die Nacht über.

Wie weit wir durch den Sturm nach Süden oder Norden verschlagen waren, konnte ich jetzt nicht feststellen; ich hoffte, durch Einhalten des genau westlichen Kurses trotzdem vorwärts zu kommen und mit der Zeit Land zu erreichen. Vielleicht stießen wir auch auf unserem Westflug auf die Leuchttürme und konnten dann die Küste entlang nach Süden weiterfliegen. Bei dem herrschenden Wetter mußten wir uns aber vorsichtshalber in größerer Höhe halten und konnten dann, im Nebel fliegend, die Leuchttürme verfehlen. Wahrscheinlich war, daß wir uns bei Tagesgrauen, nach meiner Seekarte zu urteilen, über Labrador befinden konnten, da ich mit nördlichen Winden, wie vorher schon bemerkt, rechnete.

Durch das Öffnen des Reserveöltanks war inzwischen der Ölstand im Schauglas wieder etwas gestiegen und damit die Hoffnung, daß wir doch noch längere Stunden mit unserem Ölbestande auskommen würden. Zwölf Uhr nachts irische Zeit hatten wir, als es völlige Dunkelheit um uns war; danach waren wir doch schon recht stark nach Westen gekommen. Aber diese Feststellung war durch die dicken Wolken und den Nebel, in dem wir schwebten, doch recht ungenau geworden.

Mit unserer Absicht, bis Mitchelfield zu kommen, war es, meiner Ansicht nach, vorbei; wir würden wohl die Leuchttürme von Amerikas Ostküste nicht zu sehen bekommen. Und wenn wir diesen Punkt nicht sahen, dann mußten wir in den Wolken in Nacht und Nebel weiterfliegen, bis der Tag graute, dann erst konnten wir aus dem Nebel herabtasten und den Erdboden suchen. Offen blieb bis dahin die Frage, wohin wir trieben, woher der Wind kam und wie stark der Wind war.

„Kaffee" rief ich Fitz zu, und er gab es an Hünefeld weiter. Der wußte, was es bedeutete. Es war das letzte Mittel zum Durchhalten. Nun ging's hart auf hart. Der Kaffee belebte mich, ich kämpfte weiter im Nebel.

Der Kompaß war nicht beleuchtet. Immer wieder kontrollierte ich ihn mit der Taschenlampe. Der vertraute Askania arbeitete wunderbar. Im Anfang drehte die „Bremen" langsam rundum. Aber die langen Stunden Nebelflugübung machten sich bezahlt. Es ging doch immer wieder geradeaus, ich wußte nur nicht, wohin. Jetzt wäre Funkentelegraphie gut, sehr gut gewesen. Das wußte ich vorher, aber die Ausrüstung war so schwer, und ich hatte meine Sicherheit auf viel Benzin gestellt; damit hoffte ich auf alle Fälle zum guten Ende zu kommen. Die praktische Probe des Nebelfluges war schon nach der ersten Stunde erfüllt, mein Zutrauen wuchs. Wir hatten immer noch Öl - aus dem Reservetank kam viel! Die Ölgefahr schien mir vorüber, Zeit zu einer Aufklärung blieb mir nicht. Fitz kontrollierte immer die Instrumente und gab mir Kaffee, er trank selbst auch welchen. Ich war schon wieder froher und hoffnungsvoller, wenn ich auch noch nicht wußte, wie dies ausgehen sollte. Ich suchte öfter Fitzmaurices Hand und drückte sie — so waren wir doch zu zweien im Kampfe.

Share