Schuljahre — Bei den irischen Nationalfreiwilligen Kriegswolken im Westen — Kriegsfreiwilliger — Die erste Beförderung — Auf nach Frankreich
Es ist eine eigene Sache um eine Selbstbiographie. Während ich hier sitze und in Ruhe kaleidoskopartig mein bisheriges Leben — kurze dreißig Jahre - vorüberziehen lasse, da frage ich mich, ob es möglich sein wird, die Gesamtbilder meines Tuns getreu wiederzugeben.
Mein Leben, ein ruheloses Teilchen in der stürmischen See eines aufgewühlten Europas, stand ganz im Zeichen der Zeiten. Ich war noch nicht 21 Jahre alt, da hatte ich schon in die glasigen Augen gefallener Soldaten gestarrt, war über blutgetränkte Felder geschritten und immer noch schaudert mich, denke ich an die ungeheuren Streiche, unter denen die Welt zitterte. Noch ehe der Flaum an meinen Wangen dem sprossenden Bart des Mannes Platz gemacht, mußte ich lernen, daß über das Grauenvolle des Krieges in den kurzen Pausen zwischen den schrecklichen Kämpfen nur hinwegzukommen ist, wenn man mit Gewalt Zerstreuung sucht. — Ist es sonach möglich, in einfache Worte zu fassen die Selbstbeschreibung eines Lebens, das erst begonnen hat, und das doch, schaue ich zurück auf die vorübergleitenden Geschehnisse, mir so wirr vorkommt, daß ich nur schwer einen Anfang finden kann?
Geboren bin ich in der Stadt Dublin um die Mittagszeit des 6. Januar 1898. Mein Vater, Michael Fitzmaurice, der Sohn eines Landmannes in Limerick, war Beamter, und meine Mutter — eine geborene Mary O'Riordan — die Tochter eines Bauern in Limerick County.
Der Familiengeschichte zufolge verbrachte ich die ersten drei Jahre meines Lebens in der Stadt Dublin, worauf wir nach dem Queens County zogen und uns in Maryborough niederließen. Hier empfing ich das bißchen Erziehung, deren ich mich brüsten kann, in der Schule der Christlichen Brüder und brachte die Zeit bis zu meinem 16. Lebensjahr dort zu. Friedvolle Tage, weite kühle Flächen grünen Grases im Schulgarten, Wälder, in denen wir Vogelnester aushoben, und freundliche Schulmeister, die immer mit der Mahnung, fest zu lernen, zur Hand waren all das sind vage Bruchstücke aus der Erinnerung an meine Knabenzeit. Verbotene Besuche des Süßigkeitenladens und die Vollführung mancher anderer Lausbubenstreiche brachten die unvermeidlichen Schulstrafen. Aber diese Schläge waren lediglich vorüberziehende Sommergewitter und weit entfernt davon, meinen Weg von dem eines jeden anderen Schuljungen. meiner Zeit zu unterscheiden. Ich muß zugeben, ich war keine sehr hervorragende Persönlichkeit. Soweit ich mich erinnern kann, war ich stets der Letzte in der letzten Bank einer jeden Klasse, durch die ich ging und schlug mich durch die verschiedenen Prüfungen gerade immer so durch. Das Ende eines jeden Quartals mit dem unumgänglichen Führungszeugnis erfüllte mich stets mit dunklen Vorahnungen; denn meine Eltern glaubten augenscheinlich nicht, daß ich genügend persönlichen Stolz besäße, um über die Noten bekümmert zu sein, die ich da erhielt, und trugen zur Entwicklung des Gefühles für meine Schande gewöhnlich mit einer Lektion hintenauf bei.
Zu Beginn des Jahres 1913 schickte man mich nach der Stadt Waterford, um einen allgemeinen Handelskursus mitzumachen. Die Vorstellung, daß ich mich dem Geschäftsleben zuwenden sollte, hatte damals etwas Abschreckendes für mich, und ich kam in dieser Anstalt aus beständigen Schwierigkeiten aller Art nicht heraus. Den Höhepunkt erreichten diese nach Ablauf etwa eines Jahres, als ich mit Schimpf und Schande als unverbesserlich zu meinen Eltern nach Hause geschickt wurde.
Der Verlauf dieser Handelsschulzeit glich sehr stark meiner früheren Schulerziehung. Ich schlief in einem großen Schlafsaal mit einer Anzahl anderer Jungen meines Alters und jeden Abend um 9 Uhr hieß es: „Lichter aus". Gewöhnlich hatten wir während des Tages bereits irgendeinen teuflischen Streich ausgeheckt und unverzüglich nach dem Signal „Lichter aus" schritten wir zur Ausführung unseres Planes. Jener besonders schlimme Streich, welcher meinem Studium des Handelswesens ein frühzeitiges Ende setzen sollte, entsprang einem Komplott, das den Angriff auf einen benachbarten Schlafsaal zum Ziele hatte. Mein napoleonisches Strategentalent machte, daß sich die Insassen meines Schlafsaales unter meinem Oberbefehl zusammenfanden; der Angriff war für Mitternacht festgesetzt. Ein Fehler aber unterlief uns: wir übersahen nämlich, daß die gute alte Haushälterin in einem Zimmer unmittelbar unter dem Schlafsaal, auf den sich unser Angriff richtete, schlief. Als die Geisterstunde herankam, schlichen wir lautlos den langen dunklen Gang entlang. Gespenstisch fiel das bleiche Mondlicht durch die Fenster auf die Nachthemden unseres nicht durchwegs so mutigen Überfallkommandos. Verstohlen öffneten wir die Tür, sammelten uns und warfen uns dann auf die Betten unserer ahnungslosen Opfer. Die Schlacht war im höchsten Gange, da meldeten unsere Kundschafter plötzlich, daß die Anstaltsleitung die Treppe herauf käme um nachzusehen, was los sei. Eine schnelle Warnung ging von Mund zu Mund, und ein allgemeines Rennen nach unserem Saal hub an. So strategisch unser Vormarsch war, unser Rückzug, wie ich zugeben muß, war jämmerlich vorbereitet. In einem Knäuel von Bettüchern kugelte ich grotesk auf dem Fußboden herum, und als ich eben merkte, daß meine Kameraden der höheren Macht bereits gewichen waren, da schnellte ich wie ein Pfeil geradewegs gegen den Magen eines wohlbeleibten Hausbeamten. Am folgenden Morgen teilte mir ein sehr düster blickender Direktor mit, daß die Zimmerdecke auf die in ihrem Bette schlummernde Haushälterin heruntergekommen, und die gute Frau darüber vor Schrecken fast um den Verstand gekommen sei. Er teilte mir ferner mit, daß meine weitere Anwesenheit im Hause für die Aufrechterhaltung der bestmöglichen Disziplin unter den anderen Studenten nicht förderlich sei. Ich erhielt eine Fahrkarte in die Hand gedrückt, mein Bündel ward geschnürt, und ich trat die elendeste Eisenbahnfahrt an, die ich je in meinem Leben mitmachte.
Zu gleicher Zeit, als ich zu Hause ankam, erhielten meine Eltern einen langen Brief von der Schule, in dem Einzelheiten über meine schmachvolle Aufführung standen. Eine sehr ernsthafte Lektion war die Folge, aber nach mehrere Tage dauernden Verhandlungen zwischen meinen Eltern und der Leitung der Handelsschule durfte ich wieder zurückkehren, um meine Studien fortzusetzen.
In jenen Tagen wurde die irische Selbstverwaltungs-Gesetzesvorlage im britischen Parlament ernsthaft erwogen und die irische Nationalpartei unter der tüchtigen Führung des nun verstorbenen Mr. John Redmond sah den Traum von Jahrhunderten, ein freies Irland, sich bereits verwirklichen. Die Unionistenpartei im Norden unter dem nicht minder tüchtigen damaligen Sir Edward, jetzigen Lord Carson, wurde unruhig und entschied sich in unsinniger Weise für eine Politik des bewaffneten Widerstandes. Es bildeten sich im Norden Freischaren zu dem Zwecke, das Durchgehen des Selbstverwaltungsgesetzes zu verhindern. Der Fehdehandschuh war hingeworfen. Mehr um sich selbst zu sichern, appellierte Redmond an die Jugend Irlands und forderte sie auf, sich zu bewaffnen, und falls es notwendig sein sollte, zu kämpfen für die Freiheit unseres Volkes. Mir gefiel der Ruf zu den Waffen, und als einer der ersten meldete ich mich zum Waterford Bataillon der irischen Nationalfreiwilligen. Inzwischen machte die britische Militärbehörde alle Anstrengung, diese Organisation zu unterdrücken. Je mehr man aber versuchte, uns niederzuhalten, desto begeisterter und stärker wurden wir. Paraden fanden statt, es wurde instruiert und exerziert, und alles im geheimen. Meine Verbindung mit dieser freiwilligen Militär-Organisation schrieb das Wort „Finis" unter meine Handelsstudien. Nahezu jeder Junge unserer Zeit hat ein oder das andere Mal in seinem Leben sich danach gesehnt, im Geheimdienst für sein Vaterland eine Rolle zu spielen. So wird man es verstehen können, wie die Teilnahme an diesen geheimen Zusammenkünften meinen Sinn entzündete, wie wir glühend hofften, „handeln oder sterben" zu dürfen für Irland.
Ich war in meinem kindlichen Ehrgeiz eben dabei, ein großer Held zu werden, da brach im August 1914 der europäische Krieg aus, und der große Lord Kitchener stellte seine Armee zusammen. Ein Aufruf für freiwillige Truppen wurde erlassen und der nun verstorbene John Redmond — immer zur Hand, wenn es galt, Bedrängten Hilfe zu bringen, seien es auch seine Widersacher — appellierte an die Jugend Irlands, sich Englands Armeen anzuschließen. Dies war für mich die Gelegenheit; ich ließ mich hineinziehen in den Strudel eines modernen Krieges.
Finstere Wolken zogen sich rapid an der Westfront zusammen. Wilde Gerüchte über den unaufhaltsamen Vormarsch der deutschen Armeen entflammten meine Phantasie, und in den ersten Kriegstagen meldete ich mich zur Kadettenkompagnie des 7. Leinster Regiments. Meine Dienstzeit in diesem berühmten Regiment war äußerst kurz; denn meine Eltern wandten sich an den kommandierenden Offizier, wiesen mein Geburtszeugnis vor, und da ich beträchtlich unter militärdiensttauglichem Alter war, behielt man mich nicht.
Drei Monate später aber erfüllte sich mein heißer Wunsch, den großen Krieg mitzumachen, doch; ich schlich mich in aller Stille davon und trat als Reiter bei den 17.Lanzenreitern ein, die damals unter dem Namen „Tod-oder-Sieg-Jungens" bekannt waren und als eines der besten Regimenter der britischen Kavallerie galten. Meine Eltern schienen sich nunmehr mit meinem Wunsche, die militärische Laufbahn einzuschlagen, abgefunden zu haben. Sie beschlossen deshalb, mich in dem Regiment zu belassen, schickten aber doch mein Geburtszeugnis zu dem kommandierenden Offizier und fügten bei, daß ich nicht ins Feld geschickt werden dürfte, ehe ich nicht das 19. Jahr erreicht hätte, das Mindestalter für den Frontdienst. Die Guten — sie nährten eine Hoffnung gegen die meine, nämlich, daß der Krieg enden würde, bevor ich so alt geworden wäre — während ich wiederum stets fürchtete, es möchte mir nicht mehr gelingen, am Kampfe teilzunehmen.
Jugendliche Begeisterung, verbunden mit einer natürlichen Liebe für das Soldatenleben, brachte mich schnell durch die Rekrutenzeit. Das Reiten, eines meiner Steckenpferde von Kindheit an, machte mir keine Schwierigkeiten, und bald wurde ich eine führende Nummer meines Berittes in der Reitschule. Natürlich fiel es nicht immer ganz leicht, und arbeitsreiche Stunden mußte ich auf dem Übungsfeld und in der Reitbahn zubringen, bis ich soweit war und die Kunst des Lanzenschwingens, den Umgang mit Säbel und Gewehr beherrschte. Meine Mühe ward belohnt; denn kurz nachdem ich ausgebildet war, wurde meine Beförderung zu der schwindelerregenden Höhe eines überzähligen Unteroffiziers im Regiments-Tagesbefehl bekanntgegeben. Ich war wirklich stolz und glücklich. Es schien mir, als ob der Streifen an meinem Ärmel heller strahlte als die liebe Sonne. Meine Probezeit in diesem Range dauerte drei Monate. Dann wurde ich augenscheinlich als würdig erachtet, zu bleiben was ich war, und mein Rang bestätigt. Dies war außerordentlich wichtig, denn meine tägliche Löhnung bestand bisher in einem Schilling und zwei Pence, sicherlich ein großartiges Einkommen für eine harte Tagesarbeit. Die Bestätigung meines Ranges aber bedeutete eine Lohnerhöhung von 3 Pence pro Tag.
Kurz darauf erlitt ich beim Zureiten junger Pferde im Remontendepot einen ernsten Unfall. Aus dem Lazarett entlassen, wurde mir vom Militärarzt leichte Arbeit verschrieben, und ich sah mich auf einmal zum außerordentlichen Aufsichtsbeamten über die Kellner im Unteroffizierskasino bestellt, mit anderen Worten: ich war Oberkellner. Diese Art Beschäftigung kam mir ganz abscheulich vor, aber Befehl war Befehl und mußte ausgeführt werden. Ziemlich rasch wurde ich wieder für diensttauglich erklärt, und obwohl ich immer noch unter 18 Jahre alt war, stand plötzlich mein Name auf der Überseeliste für Dienst in Frankreich. Es war daran ohne Zweifel irgendein Irrtum im Ordonnanzzimmer schuld, aber ich wäre der letzte gewesen, diesen Irrtum richtigzustellen. Nicht lange dauerte es, dann marschierte ich mit den anderen hinaus aus dem Lager mit der Bestimmung „Frankreich" und dem Lied „Come back to Erin" auf den Lippen.