Jugendjahre - Hinaus ins Leben - im Felde - Bombenflieger - Abgeschossen
In Greenly Island feierte ich meinen 40. Geburtstag. Das hatte sich mein Vater nicht träumen lassen, als ich am 15. April 1888 zu Neu-Ulm im bayerischen Schwaben als zweites Kind von insgesamt acht Geschwistern geboren wurde.
In diesem kleinen bayerischen Städtchen, dem südlichen Teil meiner weiteren Vaterstadt Ulm auf württembergischem Boden, verlebte ich meine erste Kindheit, dort wuchs ich auf unter dem gewaltigen Eindruck des Ulmer Münsters, dessen Größe und Schönheit sich meinem Kindergemüt unauslöschlich einprägte.
Meine ersten Schuljahre, die ich auf der Volksschule zu Neu-Ulm verbrachte, waren weder für mich noch für meinen Vater eine reine Freude. Dieser Zustand verbesserte sich keineswegs, als ich mich auf dem Gymnasium zu Ulm mit dem ersten Latein abzuquälen begann. Meiner freiheitsdurstigen Seele sagten wilde Räuber- und Soldatenspiele zum großen Mißfallen meiner Lehrer weit mehr zu, als stundenlang auf der Schulbank stille zu sitzen.
Als mein Vater, der damals Hauptmann und Batteriechef im I. bayerischen Fußartillerie-Regiment war, dann im Jahre 1897 nach München versetzt wurde, waren meine in Ulm erworbenen Kenntnisse leider nicht so, daß die Herren Professoren des Ludwigs-Gymnasiums in München gebührende Anerkennung dafür fanden, um mich in die nächsthöhere Klasse zu versetzen. Es gelang nur, zur P r o b e in die niedrigere Klasse aufgenommen zu werden.
In diesem rasenden Tempo machte ich noch einige Jahre weiter, bis mir das richtige Verständnis für die Notwendigkeit einer gründlichen Schulbildung allmählich aufging, und ich meine vielen Jugendstreiche etwas in den Hintergrund treten ließ.
Es erwachte in mir zu dieser Zeit die Sehnsucht, wie mein älterer Bruder auch die schöne bayerische Kadetten-Uniform tragen zu dürfen. Dies allein war wohl der Grund, weshalb ich mich einige Wochen vor der gefürchteten Aufnahmeprüfung ins Kadettenkorps zum ersten Mal in meinem Leben auf die Hosen setzte, um mir die erforderlichen Kenntnisse anzueignen.
Mein im Kriege gefallener Bruder Ludwig war mit mir damals in derselben Klasse im Luitpold-Gymnasium zu München. Mir selbst drohte in jenem Jahre das nicht ganz erfreuliche Los, die Kenntnisse des letzten Jahres erneut auffrischen zu müssen, während mein jüngerer Bruder recht gute Aussichten hatte, mich diesmal zu überholen. Die Tage vor und nach der Aufnahmeprüfung waren für mich Tage wirklichen ehrgeizigen Strebens. Ich wurde belohnt. Nachdem die ersten Wochen der schönen Ferienzeit mit Hangen und Bangen verstrichen waren, sickerte langsam die Nachricht durch, daß mein Bruder und ich die Aufnahmeprüfung für das Kadettenkorps zu München bestanden hatten. Ungeheuer stolz war ich jedoch, als ich erfuhr, daß ich unter den vielen Prüflingen als Neunter bestanden hatte, während mein so viel eifrigerer jüngerer Bruder der Einundzwanzigste und Vorletzte war.
Ich war recht stolz auf meine schöne blaue Kadetten-Uniform, wenn ich auch wenig Gelegenheit bekam, dieselbe sonntäglich meinen neidischen Freunden vorführen zu können; ich mußte recht viele Sonntagnachmittage im Kadettenkorps zubringen, da entweder meine silbernen Knöpfe nicht blank geputzt waren oder ich kein genügendes Verständnis für die große Unregelmäßigkeit der lateinischen Verben aufbringen konnte.
Mathematik und Turnen, das waren so meine Lieblingsfächer, zu denen sich im Laufe der Jahre dann auch noch das Zeichnen gesellte. In den Fremdsprachen wechselte ich alljährlich mit schlechten Zensuren ab, immer so, daß wenigstens noch das stark gefährdete Klassenziel erreicht wurde.
Ich muß schon eingestehen, daß ich gerade nicht einer von den bravsten und besten Schülern war. Trotzdem ist mir heute noch nicht die Zweckmäßigkeit einer von vielen Strafen klar geworden. Ich stand in der Saison für unregelmäßige lateinische Verben. Allwöchentlich mußte ich die vielen Worte der Reihe nach aufzählen. Seit vier Wochen bemühte ich mich vergebens, durch eifriges Lernen einen freien Sonntagnachmittag zu erhalten. In der fünften Woche wollte ich am kommenden Sonntag unbedingt ausgehen, da meine Eltern, die inzwischen nach Ingolstadt versetzt worden waren, den letzten Sonntag in München verbrachten. Es gelang mir tatsächlich, in dieser Woche dadurch, daß ich meine lateinischen unregelmäßigen Verben mit ins Bett nahm und nachts immer wieder hersagte, den Spitzfindigkeiten meines Latein-Professors zu entgehen.
Am Sonnabend wurden bei uns im Kadettenkorps mittags, wenn wir aus dem Hörsaal kamen, die Ausgangslisten ausgehängt, und im stolzen Gefühl meiner Tüchtigkeit wollte ich mich von der amtlichen Bestätigung überzeugen. Niederschmetternd war für mich, was ich dort las. Dort war nicht nur kein Ausgang für mich notiert, sondern ich stand auch noch unten auf der Liste derjenigen, die am Sonntag Kostbeschränkung hatten! Beim Appell wurde dann verlesen: „Bestraft wird Kadett Hermann Köhl mit vierzehn Tagen Ausgangsentzug und Kostbeschränkung wegen fortgesetzter schlechter Führung, zurückzuführen auf die Strafen der letzten vier Wochen." — Ich brauche hier wohl nicht besonders zu sagen, daß diese Art der Pädagogik sich für mein ganzes Leben eingemeißelt hat. Wenn mich Kameraden und Vorgesetzte später vielleicht als zu gut in der Behandlung meiner Untergebenen befunden haben, so ist dieser Mangel auf diese mir bis ins tiefste Innere als ungerecht empfundene Behandlung zurückzuführen.
Meine letzten Jugendjahre verbrachte ich in den Real-Gymnasien der schönen Städte Nürnberg und Augsburg. An diese Zeiten denke ich immer mit großer Freude zurück. Die ungleich größere Freiheit, welche ich außerhalb des Kadettenkorps genoß, bildete den schönsten Teil meiner Schuljahre. In all diesen Jahren war es natürlich mein sehnlichster Wunsch, ebenso wie mein Vater, Soldat zu werden. Als ich dann endlich nach vielen, vielen Schuljahren dies Ziel in greifbarer Nähe sah, setzte ich meine ganze Energie daran, um endlich die Pforten der Schule hinter mir schließen zu können. Im Juni 1909 machte ich meine Abschlußprüfung. Von der Schule weg trat ich bei den Ulmer Pionieren als Fahnenjunker ein.
In dem damaligen württembergischen Pionier-Bataillon Nr. 13 wurde ich der 1. Kompanie zugeteilt. Die ersten Ausbildungsmonate, die ich mit noch zwei anderen Fahnenjunkern durchmachte, waren kein reiner Genuß. Ich kam die ganze Zeit über nicht zur Besinnung. Früh morgens ging es zum Ausbildungsdienst, und spät abends fielen wir erschöpft auf unserem harten Soldatenlager in tödlichen Schlaf, aus dem wir morgens durch die Klänge des Wecksignals aufgescheucht wurden. Was ich in dieser Zeit alles an Strapazen durchmachen mußte, läßt sich kaum beschreiben. Wir mußten so angestrengt exerzieren und turnen, daß wir regelmäßig zwei bis dreimal am Tage, besonders während der großen Hitze, wie aus dem Wasser gezogen aussahen. — Aber diese harte Zeit dauerte nur, bis wir in die Kompanie eingereiht wurden, was kurz vor den Manövern erfolgte. Hier waren wir der strengen Aufsicht unseres ausbildenden Sergeanten entzogen und bekamen wieder mehr Freude für den Soldatenberuf.
Nach dem Manöver wurde ich Gefreiter und Unteroffizier und kam dann zur Kriegsschule nach Hannover.
Im Herbst 1910 kam ich von der Kriegsschule aus Hannover zurück und wurde bald darauf Leutnant. Die ersten Leutnantsjahre waren fast so anstrengend, wie die ersten Monate als Fahnenjunker. Um den Kompanie-Dienst richtig durchführen zu können, waren wir gezwungen, ungeheuer viel zu lernen. Die kurze Ausbildungszeit als Fahnenjunker und auch in der Kriegsschule war nicht dazu angetan, uns zu alten erfahrenen Soldaten zu machen. Indem wir uns auf unseren Dienst vorbereiteten, lernten wir selbst am allermeisten. Dazu kamen dann noch die vielen technischen und taktischen Offiziersaufgaben, welche uns das Leben sauer machten. Aber trotzdem lebten wir froh und vergnügt in den Tag hinein, und die vielen Feste, die wir in unserem Ulmer Kasino, auf unseren Sportplätzen, in der Kaserne und auf dem Wasserübungsplatze an der Donau verlebten, gehören mit zu den schönsten Erinnerungen meines Lebens.
Nach zwei Jahren Frontdienst wurde ich zur Militär-Technischen Hochschule in Berlin kommandiert. Hier sollte für zwei Jahre die Frontdiensttätigkeit mit einer Hörsaaltätigkeit abwechseln. Zum erstenmal sah ich die größte Stadt Deutschlands. Beides, Berlin und die Hörsaaltätigkeit, erweckten mein höchstes Interesse. In diesen Jahren hörte ich zum erstenmal Genaueres von der Fliegerei. Mein Wunsch, Flieger zu werden, war sehr groß, jedoch konnte es mir als Pionier niemals gelingen, dorthin zu kommen, da ich zuerst mindestens vier Jahre Dienstzeit hinter mich bringen mußte, bevor mein Bataillons-Kommandeur ein entsprechendes Gesuch meinerseits weitergeleitet hätte.
Zwei Jahre Ausbildungszeit waren für die Militär-Technische Hochschule in Berlin vorgesehen. Am Ende des ersten Jahres kehrten wir zu kurzer Frontdienstleistung zu unserem Bataillon zurück, und zwar fuhren wir von dort aus direkt zu einer Pontonierübung nach Straßburg. Von dieser Übung gerieten wir unmittelbar in den großen Weltkrieg hinein. Unter brausenden Kriegsliedern kehrten wir von Straßburg nach Ulm zurück. Dort wurde mobil gemacht.
Den ersten Gegner sah ich in den Vogesen. Dort erhielt ich auch meine Feuertaufe. Mit meinem Pionierzug marschierte ich meist an der Spitze der Division, um alle Hindernisse, die den Vormarsch aufhielten, aus dem Wege zu räumen. Dabei passierte es mir oft, daß ich mit einer kleinen Truppe meiner Getreuesten mich plötzlich mitten zwischen der Infanterie befand und alle Sturmangriffe begeistert an der Spitze der Infanterie mitfocht. Bei einem solchen Sturmangriff erhielt ich meine erste Verwundung. — Wir waren weit vorausgeeilt und sahen uns plötzlich ganz allein dem Feind gegenüber. Nach der Überquerung eines Baches, beim „Sprung auf marsch-marsch", erhielt ich einen Schuß in das linke Schienbein. Zu meiner größten Betrübnis war ich gezwungen, in die Heimat zurückzukehren. Aber das war mein Glück, denn mein heißester Wunsch konnte nun in Erfüllung gehen. Da ich momentan für die Fußtruppe untauglich war, meldete ich mich, um sofort wieder an die Front zu kommen, zu der damals im Aufschwung begriffenen Fliegertruppe. — Ganz einfach war es nicht, dahin zu kommen, da mein damaliger Ersatz-Bataillons-Kommandeur meine Kommandierung wohl befürworten wollte, aber etwas zu ängstlich war, die dazu notwendigen Telegramme mit dem General-Kommando zu wechseln. Ich griff hier zum ersten Mal selbständig in den Gang meines Geschickes ein, indem ich das Urteil für meine besondere Eignung und meine technischen Vorkenntnisse, das für eine schnelle Erledigung meines Gesuches notwendig war, selbst entwarf und an das General-Kommando telegraphieren ließ. Acht Tage vergingen, bis meine Einberufung zur Fliegertruppe eintraf. Die Zwischenzeit wurde durch die Vorwürfe meines Kommandeurs ausgefüllt, der über meine Selbständigkeit im Verkehr mit so hohen Behörden äußerst aufgebracht war und mir darüber sein tiefstes Mißfallen aussprach. Nur dem Umstand, daß dieser Kommandeur ein guter Freund meines Vaters war, verdanke ich es, daß ich damals einem Verweis entgangen bin.
Meine erste Fliegertätigkeit begann damit, daß ich mich auf dem Flugplatz Johannisthal bei der Flieger-Ersatz-Abteilung Adlershof meldete. Ich wurde als Flugzeug-Beobachter für die Flieger-Abteilung 41 vorgesehen. Eine Ausbildung als Beobachter gab es in der damaligen Zeit noch nicht. Ich setzte mich eben in jedes startende Flugzeug hinein, es war mir gleichgültig, wer flog, ob der Pilot seinen ersten Alleinflug machte, oder seine Prüfungs-Landungen. Mir kam es hauptsächlich darauf an, mal in die Luft zu kommen und von oben zu sehen, wie sich die Erde unter mir ausnahm und an Hand der Karten alle die vielen Wege, Häuser, Flüsse usw. auseinander zu halten und dementsprechend das Sehen aus der Luft zu lernen. Ganz besonders interessierte mich natürlich gleich der Verkehr auf den Eisenbahnen und auf den Straßen aus kleinerer und größerer Höhe.
Meinen ersten größeren Flug machte ich mit dem damaligen Leutnant Flascha nach Leipzig. Ich hatte mir Karten für diesen Flug besorgt und auf diesen Karten alles Notwendige eingezeichnet. Es war eine Albatros-Schulmaschine, mit der wir starteten. Damals war es uns noch nicht bekannt, daß es zweckmäßig sei, für solche Flüge Wettermeldungen einzuholen. Auf halbem Wege zwischen Berlin und Leipzig, bei Wittenberg, zog eine dicke Wolkendecke auf. Wir flogen nun nach der Uhr über den Wolken weiter. Als wir annahmen, daß wir nun in der Nähe des Flugplatzes Leipzig-Mockau wären, gab ich meinem Piloten das Zeichen zum Niedergehen. Er ging auch sehr tapfer durch die Wolken nach unten. Wir kamen ausgerechnet bei der Zeppelin-halle in Leipzig heraus. Es regnete in Strömen, so daß eine Orientierung fast unmöglich war. Da wir den Platz selbst nicht kannten und bei dem schlechten Wetter nicht finden konnten, landeten wir auf einem sehr günstigen Stoppelacker. Es stellte sich heraus, daß wir in allernächster Nähe des Flugplatzes gelandet waren. Als wir uns für den Weiterflug Benzin besorgt hatten, startete Flascha wieder. Am Ende des Flugplatzes war eine hohe Baumreihe. Eine starke Gewitterböe erfaßte uns kurz nach dem Start und wir rutschten über den Flügel ab. Der erste Bruch, den ich in meiner Fliegertätigkeit überstanden hatte. Außer dem Flugzeug war wenig kaputt. Wir packten unsere photographische Kamera usw. zusammen und zogen betrübt nach dem Bahnhof Leipzig ab.
Bald darauf machte ich mit Flascha nochmals einen Flug nach Leipzig, der uns auf dem Hinflug auch gut glückte, während wir auf dem Rückflug mehrmals wegen Motordefektes notlanden mußten, bis schließlich nach einigen Tagen Notlandung bei Windisch-Wilmersdorf das Flugzeug abmontiert werden mußte.
Dies war meine Ausbildung als Beobachter, die noch gekrönt wurde durch einen kurzen Aufenthalt in Schwerin bei den damaligen Fokkerwerken, wo wir in dem Anwerfen der Oberursel-Rotations-Motoren geschult wurden. Mit diesen Kenntnissen ausgerüstet kamen wir dann mit unseren Fokker-Eindeckern in Gent an. Dort wurde aufmontiert. Bei dem Überführungsflug nach dem Flughafen landete ich mit meinem Flugzeugführer als einziger auf dem vorgesehenen Flugplatz. Den anderen Flugzeugen gelang es zum Teil erst nach Tagen, sich am Bestimmungsort einzufinden. Zwei Flugzeuge mußten sogar mit Lastwagen herangezogen werden. Dadurch, daß es mir gelungen war, den Flugplatz sofort zu finden, erwarb ich mir schon in den ersten Stunden den Ruf einer Beobachter-Kanone, den ich dann auch im Verlauf der nächsten Jahre beibehielt.
Ich hatte Gelegenheit, auf allen Gebieten des Flugzeug-Beobachters Spezialerfahrungen zu sammeln, und die verschiedenartigen Zweige erfüllten mich mit allergrößtem Interesse. Dadurch gelang es mir auch, überall recht schöne Erfolge zu erzielen und mir die Zufriedenheit meiner Vorgesetzten zu erwerben. Ich kann ganz offen sagen, daß mir die ersten Aufklärungsflüge und die ersten Artillerie-Einschießen ziemliche Schwierigkeiten gemacht haben. Es war mir bei den allerersten Flügen nicht möglich, die vielen Straßen und Eisenbahnen, die sich vor Ypern kreuzten, auseinander zu finden. Es war mir fast nicht möglich, die unten feuernden Batterien räumlich festzulegen und gar noch unsere Batterie auf diese Ziele richtig einzuschießen. Im Anfang kam es oft vor, daß wir von unserem Artillerie-Einschießen mit recht negativem Erfolge zurückkehrten, vielfach lag es aber auch an der Artillerie, die zeitweise nicht geschossen hatte. Aber mit zunehmender Flugtätigkeit wuchs auch die Erfahrung. Am meisten hat mir zu der schnellen Ausbildung als guter Beobachter meine Tätigkeit als Bild-Offizier bei der Abteilung geholfen. Dort hatte ich reichlich Gelegenheit, mir auf der Photographie das anzusehen, was unten und drüben hinter der Front vom Flugzeug aus zu erkennen war. Ich arbeitete sozusagen Tag und Nacht an meiner Vervollkommnung als Flugzeug-Beobachter und mein größter Kummer war, wenn ich manchmal tagelang nicht eingesetzt wurde und zusehen mußte, wie mancher andere die Aufgabe, die uns durch das General-Kommando gestellt wurde, nicht erfüllen konnte, weil ihm dazu die nötige Erfahrung mangelte. Mein Wunsch, mich selbst als Flugzeugführer ausbilden zu lassen, scheiterte daran, daß ich als Beobachter unentbehrlich war.
Meine fliegerische Tätigkeit spielte sich zunächst hauptsächlich in Flandern ab. Die Somme-Schlacht brachte mich zum ersten Mal in eine andere Tätigkeitsart in die Gegend der Somme. Ich war inzwischen Oberleutnant geworden und wurde an der Somme zum Kampfgeschwader 4 als Staffelführer versetzt. Hier war ich zum erstenmal als Flieger in einer selbständigen Stellung und konnte nach bestem Ermessen meine Staffel einsetzen. Das Feld meiner Tätigkeit war eigentlich auf den Artillerie-Schutz unserer Artillerie-Flugzeuge beschränkt. Da mir das jedoch gar nicht zusagte und ich am liebsten selbst eingeschossen hätte, statt mit beobachten zu müssen, wie jüngere Artillerie-Beobachter günstige Wetterlagen zum Einschießen vorübergehen ließen, so wandte ich mich mit meiner Staffel einem anderen Aufgabenkreise zu, dem Nachtflug. Wir benutzten die schönen hellen Mondnächte und begannen hier systematisch die Entwicklung des Nacht-Bomben-Fluges. Durch die schönen Erfolge, die wir bei unseren gelegentlichen Nachtflügen hatten, wurden bald darauf die Kampfgeschwader in Nacht-Bomben-Geschwader umorganisiert.
Ich muß hier noch einflechten, wie ich trotz aller Widerstände meiner Abteilungsführer doch selbst Flugzeugführer wurde.
Mein erster Abteilungsführer hatte die Flieger-ErsatzAbteilung in Böblingen. Er lud mich ein, ihn bei meinem nächsten Urlaub zu besuchen. Ich sagte den Besuch unter der Bedingung zu, daß er mich während dieser Zeit bei der ihm unterstehenden Flieger-Abteilung schulen ließe. Auf die zusagende Antwort hin nahm ich sofort meinen schon längst fälligen Urlaub und fuhr nach Böblingen. Innerhalb von drei Tagen hatte ich in den Morgen- und Abendstunden ca. 40 Schulflüge hinter mir und machte anschließend daran meinen ersten Alleinflug, dessen Erfolg mich allerdings nicht sehr befriedigte. In den vorhergehenden Tagen hatte mein etwas ängstlicher und nervöser Fluglehrer mir eigentlich nie recht das Steuer überlassen. Nun war es doch ein recht bescheidenes Gefühl, so allein im Flugzeug zu sitzen und für alles, was nun geschah, selbst verantwortlich zu sein. Die Rettung sah ich darin, das Flugzeug auf starke Fahrt zu drücken, hatte dabei aber nicht gewußt, daß dadurch das Flugzeug schwer in die Kurve zu bekommen war. Meine erste Runde um den Flugplatz Böblingen bis zur ersten Landung ging deshalb in ziemlich scharfer Fahrt und scharfer Kurve vor sich. Bei der Landung kam ich auch nicht an den Punkt, an den ich kommen wollte. Ich fing zu hoch ab und da ich wußte, daß es in solchen Fällen notwendig ist, noch etwas Gas zu geben, gab ich nochmals Gas, allerdings etwa zwei bis drei Sekunden zu spät, so daß der Propeller nach Einknicken des Fahrgestells die Grasnarbe ordentlich beschädigte. Damit hatte ich meinen ersten Alleinflug hinter mir; wenn auch nicht gerade ganz glatt gelandet, so war doch die Beschädigung unerheblich. Am nächsten Morgen um fünf Uhr ging es dann wesentlich besser. Ich erledigte an diesem Tage noch meine Pilotenprüfung, die darin bestand, daß in einer Höhe von 500 Metern drei Achten geflogen werden mußten. Die Landungen waren von da ab alle recht gut.
Mit meinen enormen Flugkenntnissen kehrte ich von meinem Urlaub zurück. Es war mir aber nicht möglich, meine Flugkenntnisse aus dem schon oben erwähnten Grunde weiter zu vervollkommnen, so daß mir mein sehnlichster Wunsch, Jagdflieger zu werden, leider immer verschlossen blieb.
Erst jetzt, da ich Staffelführer war, bot sich mir Gelegenheit, meine unterbrochenen Flugstudien wieder aufzunehmen. Ich richtete mir bei meiner Staffel ein Schulflugzeug ein, machte wiederum einige Schulflüge und ging dann dazu über, alle Typen, die ich bei meiner Staffel hatte, selbst zu fliegen.
Ende des Jahres 1916 geriet ich über den Wolken mit zwei feindlichen Newport-Jagdflugzeugen in den Kampf. Dabei gelang es einem Flugzeug, mich in seine Maschinengewehrgarbe zu bringen.. Unser Flugzeug wurde so schwer getroffen, daß wir mit zerschossenem Motor sofort in die Wolken hineinfielen. Ich selbst bekam einen schweren Oberschenkelschuß. Es gelang uns, im Gleitflug gerade noch über die erste feindliche Linie hinwegzukommen hinter unseren ersten Graben, wo wir im Trichterfeld uns überschlugen. Nach zweistündigem heftigen Trommelfeuer auf unsere Maschine, bei dem ich durch den Druck der explodierenden Granaten hin- und hergeworfen wurde, schleppte ich mich in Deckung und wurde dann durch meinen unverwundeten Flugzeugführer und mit Hilfe der Grabenbesatzung zurückgebracht. Ein Vierteljahr lang lag ich im Lazarett. Mit zwei Stöcken meldete ich mich wieder bei meinem alten Geschwader zurück und bekam eine andere Staffel.
Wir hatten eben die ersten zweimotorigen Großflugzeuge bekommen. Die ersten davon waren nicht sehr brauchbar, aber die nachfolgenden waren doch schon recht gut, und mit ihnen marschierten wir weiter an der Spitze der Entwicklung dieser Flugzeugart und des Nachtfluges.
Anfang März 1918 war mein Jahrgang zur Hauptmanns-Beförderung an der Reihe, und auch ich wurde zum Hauptmann befördert und wurde am gleichen Tage zum Kommandeur eines Bomben-Geschwaders ernannt. Meine Tätigkeit als solcher dauerte nicht lange, da ich in der Nacht vom 20. zum 21. Mai auf einem Nachterkundungsflug infolge eines feindlichen Artillerieschusses zur Notlandung hinter den feindlichen Linien gezwungen wurde. Damit war für mich meine eigentliche Kriegstätigkeit abgeschlossen.