HEIMKEHR

 

Da meine Kleider noch nicht ganz trocken waren, wurden sie gebügelt. Inzwischen machte ich mir schnell aus meiner Wickelgamasche ein Käppchen, und mit diesem etwas merkwürdigen Kopfputz marschierte ich neben meinem Brigadier zur Haltestelle der Straßen bahn, die nach Genf hineinführte. Dort sollte ich bei der Kommandantur abgeliefert werden.

Im Dorf hatte es sich schon herumgesprochen, daßein Flüchtling des Nachts über die Rhöne geschwommen war. Die Leute standen vor den Häusern und starrten mich an, als wir vorübergingen. Viele freundliche und anerkennende Blicke trafen mich. Aber so mancher musterte mich finster und verbissen. Es war schon gut gewesen, daßich mich unter amtlichen Schutz begeben hatte.

In der Straßenbahn saßich am Fenster. Immer weiter wichen die Höhenzüge des französischen Jura zurück. Und mein Gesicht strahlte vor Glück, ein Ausweis für mich ... besser als alle Pässe der Welt, die ich hätte bei mir haben können.

Auf der Kommandantur wurde ich einem Kapitän vorgestellt, der meine Personalien aufnahm

und das deutsche Generalkonsulat verständigte. Nicht lange darauf erschien ein freundlicher Herr unserer Genfer Vertretung und übernahm mich zur Zurückleitung in die Heimat. Der Kalender zeigte den 16. September. In Montoire war ich am neunten entflohen. Ich hatte mich also genau eine Woche lang mit all den Schwierigkeiten und Gefahren herumzuschlagen gehabt.

Im Generalkonsulat, wo der damalige Generalkonsul Geißler, ein liebenswürdiger und hilfsbereiter Mann, amtierte, mußte ich natürlich noch einmal alle Daten zu Protokoll geben, denn es kam vor, daßLeute auf dem Konsulat erschienen, die in Wirklichkeit gar keine entflohenen Kriegsgefangenen waren, sondern Schwindler, denen es auf eine Unterstützung ankam. Aber meine Angaben waren leicht nachzuprüfen. Da ich aus Montoire kam, wußte ich selbstverständlich auch von Menckhoff zu erzählen, der vor mir geflohen und etwa zehn Tage vorher durch das Konsulat in die Heimat überführt worden war.

Menckhoff hatte die französische Grenze in der gleichen Gegend wie ich überschritten, jedoch war es für ihn leichter gewesen, weil er noch vom Frieden her mit den örtlichen Verhältnissen vertraut war. Man glaubte mir, und plötzlich war ich wieder der Hauptmann Köhl. Nicht mehr der gehetzte und getriebene Flüchtling.

Das Glück der nächsten Tage zu beschreiben, diese Seligkeit das ist nicht möglich. Diese Tage in Genf waren der Höhepunkt meines Lebens. Wer nie Gefangener war, wer nie die stets so als selbstverständlich betrachtete Freiheit sich bitter hat zurückerkämpfen müssen, der versteht es nicht. Der kann sich diese gewaltige Freude nicht vorstellen, der weißnicht, wie schön das Leben ist, nur weil man eben wieder frei ist. Wenn später in meinem Leben mir einmal dunkle Wolken die Sonne verdeckten, dann brauchte ich nur an die Gefangenschaft zurückzudenken, und dann erschien selbst die trostloseste Situation erträglich.

Zwei Tage mußte ich in Genf bleiben, ehe mein Paßfertig war und ich alle notwendigen Formalitäten erfüllen konnte. Dann brachte mich die kleine deutsche Kolonie noch auf den Bahnhof. Händedrücke, Hüteschwenken, und nun rollte ich entlang den herrlichen Gestaden des Genfer Sees, durch das schöne Schweizer Land der Heimat zu.

Der Zug hatte schwer zu arbeiten. Es ging die Schweizer Höhen südlich vom Bodensee hinauf. Gleich mußte man das schwäbische Land sehen können. Dann waren wir oben auf den Höhen. Gierig suchten die Augen in der Ferne die Heimat. Silbern glitzerte der See, und dahinter verschwommen im Dunst ein dunkler Streifen. Das war ... Deutschland. ——-

Mir gegenüber saßein Bauernmädchen. Es sah mich ganz erschrocken an, als mir plötzlich die Tränen aus den Augen schossen und in breiten Bächen über die Wangen rannen. Fühlte sie, daßes Freudentränen waren ...?

Der Zug rollte über die Grenze. Wir fuhren ein in Konstanz und mußten aussteigen. Die Paßrevision war überstanden, aber dann kam der Zoll.

Ich hatte in Genf gehört, wie schlecht es in der Heimat drüben aussah und daßes nichts zu essen gab. Da man mir außer meinem Fahrgeld zweiter Klasse auch noch ein Zehrgeld von zehn Franken mit auf den Weg gegeben hatte, verzichtete ich lieber auf die weichen Polster im Zuge und kaufte statt dessen ein wenig Schokolade, etwas Kaffee und ein paar Schweizer Stumpen, die ich den Lieben zu Hause bei meiner Rückkehr nach so langer Abwesenheit mitbringen wollte.

Ich hatte ja kein weiteres Gepäck und glaubte nicht, daßman mir dieser Kleinigkeiten wegen Schwierigkeiten bereiten würde. Aber ich hatte vergessen, daßtrotz der großen Umwälzungen, die Deutschland erlebt hatte, der Amtsschimmel munter weitergaloppierte. So mußte ich für das kleine Mitbringsel aus anderthalbjähriger Gefangenschaft über 20 Mark Zoll entrichten —einen Betrag, der den Rest meiner Barschaft ziemlich auffraß. Das war der erste Grußder Heimat.

In Konstanz begab ich mich in das Übergangslager, wo man mich freundlich empfing. Da die Züge in Deutschland damals nur sehr spärlich und keineswegs fahrplanmäßig verkehrten, mußte ich dort übernachten und nahm mir vor, am Abend zum ersten Male in Deutschland auszugehen. Es kam aber nicht dazu. Ich hatte mich auf mein Bett gelegt, schlief ein, und als ich erwachte, guckte der Morgen schon zum Fenster herein.

Jetzt gab ich das erste Telegramm an meine Angehörigen auf und fuhr hinein ins schwäbische Land —Ulm, meiner Heimatstadt, zu. Abends um acht Uhr kam ich dort glücklich an und suchte eine befreundete Familie auf, bei der ich in meiner Leutnantszeit viele schöne Stunden verlebt hatte. Als ich vor der Wohnungstür stand, drückte ich, wie ich es immer getan hatte, zweimal ungestüm auf den Klingelknopf. Drin, wo man beim Abendessen saß, auch mein Bruder, der kurz zuvor aus Deutsch-Ostafrika zusammen mit Lettow-Vorbeck zurückgekommen war, fielen die Worte : „Das ist Hermann !"

Das Mädchen, das mich gut kannte, öffnete. Wie rißsie die Augen auf, als sie mich plötzlich vor sich sah! Sie war sprachlos und konnte sich nicht vorstellen, daßich, der ich doch in Gefangenschaft war, so urplötzlich auf der Bildfläche erschien. Im Zimmer drin hörten sie meine Stimme und schmissen vor Schreck alles um, was auf dem Tisch stand.

Wirklich, der Hermann I Mein Telegramm war nämlich noch nicht eingetroffen. Zu jener Zeit, da Deutschland noch unter den Nachwehen der Revolution und den Streiks, die allerorts an der Tagesordnung waren, erzitterte, funktionierte auch die Post nicht mit der gewohnten Pünktlichkeit.

Natürlich telephonierte ich nun auch gleich mit meinem Vater in Pfaffenhofen. Der alte Herr geriet vor Freude fast aus dem Häuschen. Da ihm kein Gefährt zur Verfügung stand, wollte er durchaus die 16 Kilometer lange Strecke nach Ulm noch in der Nacht marschieren. Es kostete viel überredung, ihn davon abzuhalten. Am nächsten Tage wollte ich ja sowieso zu ihm hinausfahren.

Es war ein herrlicher Abend. Die ganze Nacht hindurch erzählte ich. Als wir, trunken von Glück und Wein und Wiedersehensfreude, den Schlaf suchten, graute draußen bereits der Morgen ...

Am nächsten Tage trieben wir einen Krümperwagen auf, und nun ging es zu Vater und Mutter. Von dem Elternhause flatterte die größte Fahne, die mein Vater sich hatte besorgen können. Aufs tiefste erregt lagen wir uns in den Armen ... vieles, was ich in der Jugendzeit verbrochen hatte, all die Kümmernisse, die ich meinem Vater durch meinen jugendlichen Leichtsinn bereitet hatte, sah man jetzt in einem anderen Licht. Nun zeigte es sich, wie gut es gewesen war, daßich während der Schulzeit durch meine Streiche auch noch manches andere gelernt hatte, denn dies war es nicht zuletzt gewesen, was mich meinen Sieg erringen ließ.

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