NACHTFLUG

 

Immer noch hämmerte das Trommelfeuer an der Front, immer noch marschierten im Abendgrauen die Infanteriekolonnen in die vordersten Linien, immer noch kamen am Morgen die Sanitäter mit den Verwundeten zurück und die Grabenbesatzungen —sonnengebräunt, ausgemergelt, in erdbekrusteten Uniformen. Unerträglich war dieser Anblick für mich. Wir mußten den Brüdern in den Gräben helfen, mußten noch mehr tun ... es genügte nicht mehr, nur Sperre zu fliegen, am Tage Bomben zu werfen oder unsere Artillerie-Flugzeuge zu begleiten. Während der Nacht stand unser wertvolles Maschinenmaterial nutzlos in den Hallen. Einmal, als einzelne Flugzeuge zur Verschleierung der Verdunoffensive

in Morsele zusammengezogen worden waren, hatte ich die Erlaubnis bekommen, zu einem Nachtflug zu starten. Ungeheure Möglichkeiten bot dieses Fliegen bei Nacht, und ich ging nun daran, den Versuch zu machen, mit einer Staffel die Kampftätigkeit auch nachts fortzusetzen, weil nur so eine restlose Ausnutzung des wertvollen Menschen- und Maschinenmaterials möglich war.

Als ich meinen Besatzungen von meinen Plänen erzählte, sah man mich schief an, einige platzten glatt heraus, aber zwei Flugzeugführer erklärten sich bereit, den ersten Start mit mir zu wagen. Das war damals keine ungefährliche Sache. In unseren „Walfischen" hatte man schlechte Sicht, und dem Piloten sauste der Frack vor der kommenden Landung. Wir hatten auch keine Ahnung, wie wir die Platzbeleuchtung einrichten sollten. Gewiß, es gab wohl Fackeln, die Flugzeugen, die sich verspätet hatten, in der Dämmerung den Platz zeigen sollten. Auch waren meine Flugzeugführer verflucht jung, hatten gerade erst Fliegen gelernt und konnten kaum bei Tage richtig landen. Trotzdem riskierte ich es. Der „Walfisch" wurde mit Bomben beladen, und wir zogen los.

Ein paar Runden um den Platz, damit wir uns die markanten Punkte in der Umgebung einprägten, um ihn später wiederzufinden, dann erst ging es über die Front hinweg. Der Gegner warf noch immer neue Verstärkungen in die große Schlacht und wollte nicht einsehen, daßes doch nicht vorwärtsging. Hier herrschte munteres Leben. Lagerfeuer, Scheinwerfer fahrender Autos, beleuchtete Wagenkolonnen und Truppenlager. Die Bomben sausten in die Tiefe, Notizen für die Meldung wurden gemacht, und schließlich ging es wieder zurück. Glücklich kamen wir herunter, landeten glatt und wurden begeistert empfangen. In der nächsten Mondperiode ging es schon besser; ich flog gleich mehrmals in der Nacht; auch die anderen bekamen Mut, machten mit, und schließlich war es ja auch ganz einfach, denn wir flogen anfangs nur in Nächten, in denen keine oder nur sehr hohe Wolken am Himmel standen.

Nicht nur beim Feind, der sofort reagiert hatte und nicht mehr alles so nett beleuchtete, war unsere Tätigkeit bekannt geworden ; sie sickerte auch nach rückwärts durch, erregte Aufsehen und Zustimmung, so daßden anderen Staffeln nichts anderes übrigblieb, als unser Verfahren ebenfalls einzuführen. Man mußte nur den Willen haben, etwas zu leisten, und die nötige Initiative aufbringen.

Auf Grund unserer Erfahrungen war die Start- und Landebeleuchtung wesentlich verbessert worden. An einer Reihe von Fackeln entlang wurde gestartet und gelandet —man brauchte keine Angst mehr vor der Landung zu haben, und je öfter wir flogen, desto mehr Freude hatten wir an unserer neuen Tätigkeit.

Eines Nachts —es war am 6. November 1916 —startete ich mit Leutnant Kalf. Wir flogen in Richtung Amiens die Römerstraße entlang, und ich wußte gar nicht so recht, wen ich in dieser Nacht mit meinen fünfzehn schlanken Zehnkilobomben bedenken sollte, die wir mitgenommen hatten. Ein paar waren bereits in eine Mulde und ein Wäldchen gesaust, in denen nach den Bildmeldungen ein Lager zu vermuten war. Sie platzten unten, aber weiter war nichts zu sehen. Da fiel mir ein, daßich in der vergangenen Mondperiode nördlich der Römerstraße sechs Bogenlampen hatte brennen sehen. Dort wollte ich hin. Das Ziel war bald erreicht. Unten im Tal schlängelte sich das silberne glitzernde Band der Somme durch dunstige Wiesen. Eine Brücke wurde schnell mit zwei Bomben bedacht, und dann sah ich die charakteristischen dunklen Parallelstreifen ... Truppenlagerbaracken. Wie eine graue Schlange, auf deren Rücken zwei Parallelstreifen gezeichnet sind, schlängelte sich eine Bahnlinie entlang, und daneben viele Schuppen und eigenartige Zelte. Das mußte mein Ziel sein. Hier hatten damals die Bogenlampen gebrannt.

Wir machten kehrt, drehten vorsichtig die Windrichtung witternd ein, durch den Zielausschnitt meines Wals sah ich wieder die Somme, schräg unten erschienen vier Schuppen —nun war es Zeit. Ich zählte die Sekunden, zog an den Hebeln der Bombenabwurfvorrichtung. Vier stählerne Leiber stellten sich auf den Kopf und verschwanden in der Tiefe. Wir waren nicht hoch. Wolken zogen von Westen herauf. Wir mußten an die Heimkehr denken. Weit beugte ich mich über den Bordrand hinaus, um die Einschläge zu beobachten. Unten, vor dem ersten Schuppen ein Blitz, die anderen sah ich nicht mehr explodieren, denn in diesem Augenblick tat sich unten aus dem Schuppen ein Licht auf, wurde heller und heller ... so grell, daßwir in der Maschine beleuchtet wurden. Und nun folgte ein Aufflammen nach dem anderen; unten gingen Munitionsschuppen in die Luft. Unsere Maschine wurde durchleuchtet ; deutlich sahen wir durch den Stoff die Spieren der Tragflächen, und über uns glühten die Wolken.

Kalf glaubte, daßwir von Scheinwerfern angeleuchtet würden. Er war geblendet und drückte in seiner Verzweiflung die Kiste, um möglichst rasch aus den Lichtkegeln herauszukommen. Kaum 150 Meter waren wir noch hoch. Ich mußte ihm helfen, damit wir nicht zu tief kamen, denn unten verschwamm alles im Dunst. Endlich hatte er kapiert, was los war. Rings um uns krachten die Granaten des Abwehrfeuers, dem unser hell beleuchtetes Flugzeug ein gutes Ziel bot. Aber —was scherte uns das: dort unten ging ein Munitionsstapel nach dem anderen hoch, und wir beide brüllten in unserer Begeisterung ungeachtet der um uns herum krepierenden Granaten laut hurra.

Nun aber nach Haus I Wir kehrten um und flogen unserem Heimathafen zu. Kurz vor der Landung schlug ich dem Piloten noch einmal kräftig ins Kreuz. „Saubere Landung 1" brüllte ich ihm in die Ohren, denn ich kannte ja meine Flugzeugführer. In der Aufregung vergaßen sie das Wichtigste, und es wäre nicht nett, den Erfolg durch einen Bruch zu verwässern. Als wir aufsetzten, war es gerade zwölf Uhr vorbei. Die ganze Staffel stand auf dem Platz. Man hatte die Explosionen hinter der feindlichen Front beobachtet, und alles wartete gespannt darauf, ob wir dieses Feuerwerk mit unseren Bomben ausgelöst hatten. Geschlafen haben wir nicht in dieser denkwürdigen Nacht.

Wir feierten das schöne Ereignis und gingen immer wieder auf den Platz hinaus, um am Horizont das Aufflammen zu beobachten und den dumpf grollenden Donner der Detonationen zu hören. Auch noch in den folgenden Nächten hatten unsere Artilleriebeobachter viel Unterhaltung. Die ganzen Munitionsstapel gingen im Laufe von drei Tagen in die Luft. Meine vier Bomben hatten einen furchtbaren Schaden angerichtet, und als wir das Trümmerfeld photographierten, konnte man tiefe Erdtrichter sehen, wo vorher die Schuppen und Zelte gestanden hatten. Am Tage darauf bekam Leutnant Kalf das E. K. I und ich den Hohenzollern. Was aber noch wichtiger war: meine Besatzungen waren jetzt wild darauf, nachts zu fliegen, und Schritt für Schritt kamen wir nun vorwärts.

Noch eine andere Anerkennung wurde uns zuteil . . . aber vom Feinde. Die Zerstörung des Munitionslagers Cerisy mußdrüben den Anstoßdazu gegeben haben, ebenfalls zum Nachtbombenkampf überzugehen. Anfang Dezember zerschmißman unser schönes Kasino. Wir hatten viel zu tun mit der Wiederherstellung unserer Fliegerbehausung, aber es hatte wenigstens keine Verluste gegeben. Trotzdem wollte ich mich aber drüben für diesen nächtlichen Besuch revanchieren. Das Wetter war verhältnismäßig gut, nur roch es nach Nebel. Schon als wir noch nicht gestartet waren, lag auf den Wiesen unter uns weißliche „Milch". Beim Starten brach rasend schnell der Nebel herein. Schon waren die Fackeln auf dem Platz nicht mehr zu sehen. Und wir hingen in der Luft, die Kiste voller Bomben ! Die Situation war brenzlich. Im Nebel fliegen konnten wir noch nicht. Damals . . .

Unter uns im Nebel lag der Platz, von oben schien der Mond auf die undurchsichtige Bescherung . . . was sollten wir tun ? Eine ekelhafte Geschichte. Es ging ums Leben. Jetzt durften wir die Ruhe nicht verlieren. Wenn wir nun noch etwas Höhe gewannen, dann nach Norden und dann nach Westen und Süden abbogen —in östlicher Richtung waren wir gestartet —, die Sekunden zählend, dann mußten wir unseren Flugplatz wiederfinden können, auch ohne etwas zu sehen. Ich zählte . . . wir flogen nach Norden, ich zählte . . . wir flogen nach Westen, bogen nach Süden ab und drehten schließlich nach Osten ein. Immer zählte ich. Jetzt mußten wir wieder den Platz vor uns haben. Da gab ich dem Führer das Zeichen : Gas weg —Landung. Tiefer —hinein in den Nebel. Scharf spähte ich nach unten . . . bums—der Vogel stellte sich auf den Kopf und überschlug sich. Es tat nicht sehr weh. Wir hatten den Flugplatz wirklich erreicht. Nur meine Leuchtpistole ging beim Aufschlagen los und beleuchtete den Beobachtersitz von innen. Ich trat die Flamme schnell aus, wir kletterten unter unserem Vogel hervor und schüttelten uns lachend die Hände —froh, daßalles so gut abgegangen war.

Dieser verunglückte Flug wurde für mich unendlich wertvoll. Ich hatte viel gelernt, wußte, was uns noch fehlte, damit wir in derartigen Fällen dem gefährlichen Nebel nicht schutzlos ausgeliefert waren, und dadurch wurde er zum Anlaß, daßich mich gründlich mit dem Nebelflug beschäftigte. Später haben wir bei meinem Geschwader solche Situationen sehr gut zu meistern verstanden.

Der kleine Gefreite, der seine Sache so glänzend gemacht hatte, wurde zum Unteroffizier befördert, aber leider schon zwölf Tage später hatte unser Zusammenfliegen ein Ende : in der Gegend von Peronne wurden wir über den Wolken abgeschossen. Ich kam schwerverwundet ins Lazarett, und als ich nach viereinhalb Monaten wieder beim Geschwader eintraf, sah ich nachts eine Maschine starten; noch über dem Platz ging sie in eine Kurve, rutschte über den Flügel ab, es gab eine fürchterliche Explosion, als sie unten aufschlug . . . alles war zerfetzt und zerrissen. So starb der Vizefeldwebel Rüger, einer meiner besten Piloten von den vielen guten, mit denen ich zusammen geflogen bin. Auch Leutnant Kalf sah ich nicht wieder. Er war Kampfflieger geworden und kam, um seine alte Staffel zu besuchen. Aus großer Höhe setzte er zur Landung an —in einer Spirale, aus der er sein Flugzeug nicht wieder herausbekam. Wir fanden ihn zerschmettert in seinem Einsitzer . . .

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