Im Königlichen Fliegerkorps — Mein erster Flug — Allein zwischen Himmel und Erde — Kleinholz — Kunststücke in der Luft — Enttäuschung — Eine Kriegsromanze - Abrüstung

 

Ungefähr um jene Zeit wuchs sich der Luftkrieg an der Westfront zu einer sehr bedenklichen Angelegenheit aus; empfindliche Verluste gab es auf allen Seiten, und das Kriegsamt erließ einen Aufruf an die jungen Subalternoffiziere, sich im Fliegen ausbilden zu lassen und im Königlichen Fliegerkorps Dienst zu tun. Schon zuvor hatte ich einige erfolglose Anstrengungen gemacht, in das Königliche Fliegerkorps aufgenommen zu werden; ich packte deshalb hocherfreut die Gelegenheit beim Schopf und war einer der ersten Freiwilligen in dem genannten Korps. Die ärztliche Untersuchung wurde bestanden, auch sonst wurde ich vom Auswahl-Komitee als geeignet zum Flieger erachtet und sogleich zur Militär-Fliegerschule in Reading kommandiert. Nach zwei Monaten eingehenden Studiums der theoretischen Flugtechnik bestand ich meine Prüfung in Flugtheorie und wurde zu einem praktischen Flugkursus nach dem Eastborne-Flugplatz kommandiert, welcher damals die 206. Übungsstation war, später aber zur Übungsstation Nr. 50 umnumeriert worden ist.

Niemals werde ich meinen ersten Flug vergessen! Unser erster Unterricht wurde an Gnome-Avro-Trainingmaschinen erteilt, und ich muß zugeben, diese ölbespritzten, schwächlichen Dinger sahen nicht sehr vertrauenerweckend aus.

„Alles in Ordnung, mein Junge?" Es war Kapitän Freddy Mills, mein Lehrer. „Werde Ihnen jetzt einen kleinen Schwung geben, um Ihr Luftgefühl auszuprobieren!" Angetan mit Fliegerhelm und Brille und den Sicherheitsgürtel um meinen Leib geschnallt nickte ich Kapitän Mills zu. Mit plötzlichem Dröhnen sprang der Motor an, die Maschine zitterte und begann über den Flugplatz zu rollen. Ich hielt mich an der Seite des Sitzes fest und warf vorsichtig einen Blick auf die Erde. Sie schien fortzugleiten und die Gebäude zusammenzuschrumpfen. Wir waren in der Luft — endlich flog ich! Wie frisch und sauber kam mir das vor nach dem zäh haftenden Schmutz der französischen Schlachtfelder! Kämpfen in der Luft — welch ein aufregendes Gefühl der Überlegenheit! Meine Gedanken überstürzten sich. — Plötzlich bemerkte ich, wie sich die Erde unter uns verschob. Wo ich einen Augenblick zuvor beim Herunterschauen noch winzige Häuser und sich krümmende Straßen gesehen hatte, da tauchte jetzt der Horizont und der Himmel auf. Ich klammerte mich fester an den Apparat, hatte aber keine Vorstellung davon, was geschehen war. Als ich jetzt hinunter blickte, sah ich den Himmel unter uns, und aufschauend über meinem Kopf erkannte ich den Flugplatz und die Gebäude.

Kapitän Mills überschlug sich, rollte und trudelte mit dem kleinen Avro, bis ich nicht nur betäubt, sondern so hoffnungslos durcheinandergerüttelt und verängstigt war, daß ich alles Gefühl dafür, wo wir waren, verloren hatte. Ich konnte nichts, als mich anklammern, war kaum mehr bei Verstand und dachte nur, was für eine Art von Übermensch man sein müßte, um ein Flugzeug zu steuern. Der gräßliche Gedanke, daß es mir nie gelingen würde, das Fliegen zu erlernen, überschlich mich. Mit einem dumpfen Schmerz des Bedauerns stieg ich aus der Maschine. Sogar meine Bewunderung für Kapitän Freddy Mills wurde gedämpft durch den schrecklichen Gedanken, daß sich mein Kämpfen schließlich doch in den Schützengräben würde abspielen müssen.

Die folgenden Flüge, die ich im Doppelsteuerflugzeug unternahm, wurden mehr und mehr Selbstverständlichkeiten und nach ungefähr fünf Flugstunden am Doppelsteuer vollführte ich meinen ersten Alleinflug mit Erfolg. Da saß ich allein im Avro und hörte den Mechaniker rufen „Kontakt aus — Betriebsstoff an — Ansaugen", während er den Propeller herumdrehte und den Motor anwarf. — „Kontakt!" Mit einem Knall setzte der Motor ein und der Propeller fing an, sich zu drehen. Die Maschine war vorher schon „aufgewärmt" worden und mein Fluglehrer gab das Zeichen zum Abflug. Während ich mich in den Wind einstellte und gegen die Mitte des Feldes zu richtete, gab ich Vollgas und schob den Knüppel sanft nach vorwärts, und als ich fühlte, daß die Steuerung reagierte, zog ich gemächlich zurück. Die Nase begann sich aufzurichten, nun ging's in die Luft! Dunkel schoß mir die oft wiederholte Instruktion „Laß die Nase drunten" durch den Sinn und ich schob den Knüppel wieder behutsam nach vorne. Jetzt flog ich in einer Geraden stracks gegen den Himmel. Von Stufe zu Stufe brachte ich die Maschine auf ungefähr 400 Meter, bevor mir zum Bewußtsein kam, daß ich ja allein im Flugzeug war und nun diese verwickelten Luftmanöver ohne die beruhigende Anwesenheit Kapitän Mills ausführen mußte. Es ist ein gräßliches Gefühl beim ersten Flug, allein zwischen Himmel und Erde zu hängen. Wie sehnsüchtig wünschte ich, könnte ich nur wieder drunten sein auf dem Flugplatz! Ich preßte meine Zähne zusammen, drosselte den Motor leicht ab und setzte zu meiner ersten Landung an. Die Nase immer weiter ganz langsam herunterdrückend, ging ich in einen sanften Gleitflug über, und nach einigen Augenblicken sehr kitzliger und sehranfängerhafter Reaktionen gelang es mir, die Maschine sicherzu Boden zu bringen.

Meinem ersten Alleinflug folgten noch etwa zwanzig Stunden des Alleinfliegens und zum Schlusse wurde ich in derBeherrschung der Maschine durch meinen Flugkommandeur, Geschwaderführer Grange, D.S.C., geprüft. Ich bestand alle meine Prüfungen und durfte nun die im Grade nächsthöhere Übungsmaschine, den Einzelsitzer Sopwith Pup, fliegen.

Meine Erfahrungen während der Zeit, in der ich die Übungsmaschine flog, waren nicht sehr aufregend. Mein erster und bis heute einziger Bruch ereignete sich an meinem ersten Überlandflug, den ich nach etwa siebenstündiger Erfahrung im Alleinfliegen ausführte. Ich hatte die Aufgabe, drei Flugplätze anzufliegen, Landungen zu vollführen und mir die Unterschriften des Flugplatz-Befehlshabers zu besorgen mit dessen Bemerkung, ob meine Landungen gut, schlecht oder mittelmäßig waren. Etwa 20 Meilen von meinem Flugplatz entfernt begann mein Motor sehr unregelmäßig zu arbeiten und setzte manchmal aus. Ich flog gerade in etwa 900 Meter Höhe über stark bewaldetes Land mit gar keinem geeigneten Landungsplatz in Sicht. Schnell suchte ich mir das einzige Fleckchen heraus, das möglicherweise zur Landung taugte, und ging in Spiralen herunter. Ich hatte ziemlich gut abgeschätzt, aber eine Leitung von Telegraphendrähten, die an dem Feld entlang lief, machte mir zu schaffen. Ich brachte es fertig, darüber hinwegzuhüpfen und wollte mich schon selbst zu einer glatten Landung beglückwünschen, da stellte ich fest, daß ich nicht nur einen sehr steilen Hügel hinunter landete, sondern auch mit dem Winde flog. Dies bedeutete eine erschreckliche Bodengeschwindigkeit, und dazu sah ich einen breiten Holzzaun und eine Tannenschonung im Hintergrunde auf mich warten. Ich war etwa noch drei bis vier Meter von dem Zaun entfernt, daließ ich die ganze Steuerung fahren und bedeckte das Gesicht mit meinen Armen, um mich vor ernsthaften Verletzungen zu schützen, im Falle ich nach vorne gegen das Instrumentenbrett geschleudert werden sollte. Der Holzzaun rasierte artig mein Fahrgestell und zugleich die beiden unteren Flügel weg. Das Flugzeug und ich aber sausten weiter, bis sich die Nase der Maschine zwischen zwei Tannenbäumen fing, die beiden oberen Flügel sich über meinem Kopf zurückschoben und wir zu einem plötzlichen Stillstand kamen. Als ich aus den Trümmern hervorkroch, sah ich zwei Leute vom kanadischen Roten Kreuz neben dem Flugzeug (ich würde besser sagen, neben dem, was früher ein Flugzeug war) stehen; sie hatten eine hübsche, behaglich aussehende Tragbahre bei sich. Außer zwei garstigen Quetschungen an meinen Schultern hatte ich aber keine Verletzungen erlitten, und so ist es wohl nicht nötig, erst zu sagen, daß ich von ihrer sehr liebenswürdigen Einladung, einen Ausflug nach dem Lazarett zu unternehmen, keinen Gebrauch machte. Es stellte sich heraus, daß ich unmittelbar neben einem kanadischen Erholungslager gelandet war.

Ich verständigte meine Vorgesetzten telephonisch von meinem Pech und wartete dann geduldig auf die Ankunft des Abräumungskommandos auf dem Schauplatze des Unfalls. Am selben Nachmittag kam ein Fluglehrer meiner Übungsschule per Flugzeug an. Er machte Anstalten zu landen und — obwohl ich es ja eigentlich nicht sagen sollte — es machte mir ziemlich Spaß zu sehen, wie er gleichfalls seine Maschine bei der Landung zusammenkrachte; ich wußte nun, daß sein Unfall mich von aller Schuld freisprechen würde. Fünfzehn Stunden Alleinflug in dem Sopwith Pup hatte ich hinter mir und sollte nun mein Dienstflugzeug, ein Sopwith Camel, bekommen Es tat mir eigentlich leid, daß ich von dem Sopwith Pup Abschied nehmen mußte, denn man konnte dieses feine kleine Flugzeug so famos in der Lufthandhaben, — aber dieser Typhatte als Kampfmaschine leider keinen praktischen Wert mehr. Schließlich kam dergefürchtete Tag, an dem ich meinen ersten Flug inmeinem Dienstflugzeug, dem Camel, auszuführen hatte. Ichhatte Frühdienst an diesem Tage, und das hieß, daß das Fliegen um vier Uhr morgens begann. So um diese unirdische Stunde also mußte ich mehr schlafend als wachend inmeinen Apparat klettern und geduldig sitzen, indes mein Lehrer, Kapitän Knight, besser bekannt als „der geräuschvolle Ritter", mir die Steuerung, die Instrumente und Besonderheiten der Maschine erklärte, was, nebenbei gesagt, mir nichts Neues war; denn schon früher hatte ich mich in Vorbereitung auf den jetzigen Augenblick stundenlang in diesen Flugzeugtyp gesetzt und mich mit allem vertraut gemacht. Die Camel war außerordentlich schwierig zu fliegen, sie war entsetzlich empfindlich an den Steuerungsorganen und hatte die garstige Angewohnheit, ganz plötzlich ins Trudeln zu kommen, wenn man nicht genau aufpaßte. Viele traurige Unglücksfälle waren hei diesen Maschinen auf den verschiedensten Übungsplätzen schon vorgekommen. Ich war deshalb ziemlich aufgeregt, meine Knie zitterten sichtlich, unddoch war ich sehr froh, als mir „Bahn frei" gegeben wurdeund ich starten konnte. Nachdem ich eine Zeitlang geradewegs nach oben geflogen war, hatte ich schließlich eine Höhevon annähernd 1200 Meter erreicht. In dieser sicheren Höhe führte ich einige gewandte Schleifen aus und fühlte dieenorme Schnelligkeit der Maschine mit Motor an und Motor aus. Weil ich meiner Sache nun ganz sicher zu sein glaubteund meine früheren Befürchtungen für unbegründet hielt, beschloß ich, einige Kunststücke zu versuchen. EinÜberschlag ist das einfachste, und so ging ich zuerst an diesen. Da ich jedoch an die außerordentlich feinfühlige Steuerung nicht gewöhnt war, brachte ich etwas zustande, was mir wie einundeinhalber Überschlag vorkam, und fand mich wieder auf meinem Rücken im Gürtel hängend, angeklammert am Steuerungsmechanismus, — ein entsetzlicher Augenblick. Sofort kam mir zum Bewußtsein, daß ich mich in einer Rückenspirale befand. Nun dachte ich, ist alles aus und ich müßte denselben Weg gehen, den so viele andere vor mir gegangen sind. Die Hoffnung aber gab ich nicht auf, ich versuchte alles mögliche mit der Steuerung, und auf einmal war ich in einer gewöhnlichen Spirale, hatte jedoch über 900 Meter Höhe verloren. Die Maschine war rasch wieder in eine Gerade gebracht, und ich beglückwünschte mich schon, da ging ich in eine Spirale nach der anderen Richtung. Jetzt aber konnte ich den Apparat schnell wieder aufrichten, ging äußerst vorsichtig zu Werke und vollführte nach einem Gleitflug eine ziemlich gute Landung auf dem Flugplatz. Ich rollte die Maschine hinüber zum Schuppen, stieg aus und fühlte mich sehr stolz darüber, mein Dienstflugzeug erfolgreich geflogen zu haben. Mein Fluglehrer beglückwünschte mich dazu, daß ich bereits an meinem ersten Alleinflug Kunststücke ausgeführt hatte. Ich hatte freilich nicht das Herz, ihm zu erzählen, daß das alles ganz ungewollt gekommen war und mir einen nicht geringen Schrecken eingejagt hatte. Mit zunehmender Erfahrung lernte ich die Maschine sehr schätzen, und nachdem ich alle meine Prüfungen in der Übungsschule hinter mir hatte, wurde ich zur Luftkampf-und Maschinengewehr-Schule Nr. 1 in Marske, Yorkshire, kommandiert. Von dort erfolgte mein Kommando zum Einsatz als Flugzeugführer in Frankreich, und ich sollte am 11. November 1918, der sich dann als Waffenstillstandstag erwies, abfahren. Es war eine bittere Enttäuschung für mich, als meine Kommandierung widerrufen wurde; denn ich brannte darauf, am Luftkrieg in Frankreich teilzunehmen. Ich wurde nun zu meiner ursprünglichen Formation in Eastborne versetzt und von hier kam ich zu einem Spezialkursus in Luftnavigation an dem Admirality Compass Observatorium in Datchet bei Windsor.

Infolge der schweren Verluste im Kriege und weil die grausame Notwendigkeit die Verwendung jedes irgendwie entbehrlichen Mannes im Frontdienst gebot, hatte England eine Anzahl Mädchen eingezogen und eine Formation, die W.R.A.F. (Women's Royal Air Force) gebildet. Während meiner Eastborne-Zeit geschah es, daß ich eine dieser hübschen kleinen Hilfsdiensttuerinnen kennenlernte und mich sofort in sie verliebte. Wie anziehend sahen sie doch aus in ihren schmucken Uniformen und mit welchem Ernst trug jede von ihnen dazu bei, denen zu helfen, die in erster Linie standen! — Unsere bald folgende Verlobung und schließliche Heirat war voll Romantik. Wir mußten uns heimlich treffen, denn die Vorschriften der königlichen Luftstreitkräfte untersagten den Offizieren den Umgang mit Hilfsdiensttuern, sowie, sich in der Öffentlichkeit mit ihnen sehen zu lassen. Es ist buchstäblich wahr, daß die Liebe mit den Hindernissen wächst, und unsere vielen Zusammenkünfte waren gerade deswegen interessant, weil wir uns allen Bestimmungen und Regeln zum Trotz liebten. Eine Schwierigkeit lag gerade auch darin, daß wir am selben Flugplatz stationiert waren.

An meinem 21. Geburtstage feierten wir im geheimen Hochzeit. Viele Monate später erst getrauten wir uns, dies öffentlich bekanntzumachen. Bill, wie alle ihre Freunde sie mit Vorliebe nennen, war meine beste Gefährtin vom ersten Tage unseres Zusammenseins an. Ihre Kriegserfahrung hat in ihr den tapferen Sinn entwickelt, den die Frau eines Soldaten haben muß. Immer hatte sie das größte Zutrauen zu mir oder meinem Glück, selbst im Angesicht äußerster Schwierigkeiten und Gefahren. Sie war es, die mich stets angefeuert hat, und ihr ist es zu einem großen Teil zuzuschreiben, daß meine vielen Abenteuer, die ich unternommen habe, glückten.

Nach Abschluß des Spezialnavigationskurses in Datchet und nach erfolgreichem Bestehen meiner Prüfungen wurde ich zum Geschwader Nr. 110 der königlichen Luftstreitkräfte als Geschwader-Navigationsoffizier kommandiert. Dieses Geschwader, unter dem Kommando von Major Stanley Clarke, M.G., hatte zu jener Zeit Versuche in Luftpostflügen zwischen Folkstone, Kent und Köln a. Rh. durchzuführen. Neben meiner Eigenschaft als Navigationsoffizier wurde ich auch als Postflieger verwendet.

Mein erster Flug nach Köln glückte mir nicht ganz. Ober Brüssel waren die Karten, an denen ich arbeitete, zu Ende und während ich versuchte, die Anschlußblätter aus der Kartentasche zu nehmen, gerieten diese in den Luftzug des Propellers und verschwanden über Bord. Ich war deshalb ohne Karte der Gegend von Brüssel bis Köln und kannte auch die Strecke nicht, die ich niemals zuvor beflogen hatte. Ich war der Führer einer Einheit von drei Flugzeugen und kreiste nun verschiedene Male, in dem Versuch, eine der anderen Maschinen zu veranlassen, die Führung zu übernehmen; aber diese verstanden meine Zeichen nicht und flogen brav immer hinter mir drein. Unter diesen Umständen blieb nur eins übrig, und zwar Richtung nach Osten zu behalten, bis wir auf den Rhein treffen mußten, der in Südnordrichtung läuft, und dann zu versuchen, uns zu orientieren. Unglücklicherweise gerieten wir nach etwa einer halben Stunde Fliegens in starken Regen, niedere Wolken und heftigen Wind. Im ganzen waren wir annähernd vier Stunden in der Luft; der Rhein hätte inzwischen bereits unter uns sein müssen. Da eine schwarze Wolkenwand in unserem Gesichtsfeld auftauchte, beschloß ich, so gut wie möglich auf einem Feld zu landen und unsere Lage festzustellen. Nur eine der anderen Maschinen war mir die ganze Zeit gefolgt, die andere hatte irgendwoanders eine Notlandung vollführen müssen. Ich befand mich über stark bewaldetem Gelände und suchte mir einen kleinen Platz heraus, der mir eine

 

Wiese zu sein schien, drosselte den Motor und schritt zur Landung. Dabei machte ich die Entdeckung, daß die Wiese ein schnittreifes Kornfeld war. Einige Bauern kamen herbeigelaufen, und sie konnten uns unter großen Schwierigkeiten schließlich erklären, daß wir die neutrale Zone überschritten und uns in der Nähe eines kleinen Dörfchens namens War-stein befanden. Es war dies ziemlich brenzlig, da wir Uniform trugen und unsere Maschinen Militärflugzeuge waren, und wir beschlossen deshalb, so schnell wie möglich hier wegzukommen, bevor uns die Behörden zu fassen kriegten. Mein Begleiter hatte das Glück, seine Maschine sicher in die Luft bringen zu können, während mir dieses nicht gelang, obwohl ich alles versuchte und sogar die ganze Länge des Kornfeldes hinuntersauste. Aber ich hatte eine zu schwere Last, und schließlich fing auch noch das Wasser im Kühler zu kochen an, und der Propeller wurde bös durch das Korn beschädigt. Ich mußte deshalb den Motor abstellen und die Entwicklung der Dinge abwarten.

Einige Augenblicke später war ich umringt von den sehr empörten Besitzern des Feldes und ich war froh, als die Dorfpolizei eintraf. Die Feldbesitzer wurden für den Flurschaden entschädigt, eine Polizeiwache an das Flugzeug gestellt und ich und meine Postsäcke zu der örtlichen Polizeistation befördert. Man kam mir hier außerordentlich freundlich entgegen; es wurde mir sogar erlaubt, die Nacht in dem Hotel des Ortes zu schlafen, allerdings unter polizeilicher Bewachung. Am folgenden Tage erschien ein Offizier und zwei Mann von der Garnisonstadt Soest. Ich wurde nach den dortigen Militärbaracken vor den Garnisonskommandeur gebracht, der mir sein Bedauern aussprach, mich festhalten zu müssen, bis er vom Kriegsministerium in Berlin Anweisung bekommen habe. Nach einer dreiwöchigen Haft durfte ich auf dem Luftwege nach Köln zurückkehren, von wo ich, ausgerüstet mit einem Paß, dann das Flugfeld aufsuchte, in dem ich mein Flugzeug zurückgelassen hatte. Inzwischen war durch ein eigens von Köln gekommenes Reparaturkommando ein neuer Propeller montiert worden. Mit Hilfe meiner militärischen Begleitung aus Soest brachte ich den Motor in Gang und war dann bald auf meinem Wege nach Köln. So hatte ich das wohl einzig dastehende Erlebnis, ein „Friedensgefangener" gewesen zu sein. — Ich habe dadurch das deutsche Volk besser verstehen und schätzen gelernt; denn was man mir während des Krieges von ihm erzählt hatte, widersprach gänzlich meiner jetzigen Erfahrung. Mit der größten Höflichkeit, Liebenswürdigkeit und Rücksicht bin ich behandelt worden.

Meine Beschäftigung im Postflugdienst beim 110. Geschwader dauerte bis gegen Ende des Jahres 1919. Die Erfahrung, welche ich mir bei diesem besonderen Zweig der Fliegerei aneignete, war von sehr großem Wert; denn wir mußten unter den unmöglichsten Wetterbedingungen verschiedene Flugzeugarten fliegen, um — dies war der ganze Sinn unserer Arbeit — eine genaue Unterhaltungskostenziffer zu bekommen und herauszufinden, ob es möglich wäre, einen regelmäßigen Luftpostdienst im Interesse der Wirtschaft durchzuführen. Während meiner Dienstzeit in diesem Geschwader vollbrachte ich als zweiter Pilot und Navigator den ersten Versuch eines Nachtpostfluges, den ersten in Europa. Wir benutzten eine De H. 10 Maschine Nr. 5541, ausgestattet mit zwei 400pferdigen Liberty-Motoren. Kapitän Barett AFG war der Chefpilot und Unterleutnant Oliver Beobachter. Wir flogen in Folkstone in der Nacht des 14. Mai 1919 um 10.15 ab und landeten nach einem ganz famosen Flug am 15. Mai um 1.20 früh auf dem Bickendorfflugplatz in einer Vorstadt von Köln. Wir waren von Luft-Vizemarschall Sir John Salmond, der damals die aktiven Luftstreitkräfte befehligte, für diesen Flug besonders ausgewählt. Man sagte uns auch, daß wir bestimmt seien, den Flug von London nach Kapstadt über Kairo, der damals geplant war, auszuführen. Leider ist daraus nie etwas geworden.

Nach Abschluß des Versuchsluftdienstes wurde ich zum Kommandanten der 6. Wing Working Party am Lympeflugplatz in Kent ernannt und während der drei Monate, welche ich in dieser Eigenschaft tätig war, hatte ich die Materiallager von sechs Flugplätzen aufzulösen, beziehungsweise wegzuschaffen. Ich gewann dabei eine beträchtliche Erfahrung in Lagerorganisation, Einrichtung und Verwaltung. — Im Dezember 1919 erfolgte mein Ausscheiden aus em aktiven Dienst und Überführung zur Reserve.

Share