Mit Balchen nach Murray Bay — Die Zivilisation grüßt - Über Quebec und Montreal — Der Flug den Hudson hinunter — New York

 

Am 26. April klärte das Wetter nach dem Südoststurm des vorherigen Tages, der nicht allzufern vom Küstenstrich das Eis zum Brechen gebracht hatte, auf. Wir hatten am Morgen zunächst recht dicken Bodennebel, der aber nicht besonders hoch war und sich allem Anschein nach sehr bald verziehen konnte. Unser Start um 5 Uhr mußte deshalb verschoben werden. Aber gegen 7 Uhr morgens hob sich der Nebel völlig. Es war Flugwetter geworden. Wir wollten eben schon die Motoren anlaufen lassen, da kam Balchen, der nochmals auf die Anhöhe gestiegen war und von dort aus die Wetterlage beobachtet hatte, zurück und teilte uns mit, daß aus der Flugrichtung her doch so schlechtes Wetter mit Schneetreiben im Anzuge sei, daß der Start verschoben werden müsse. Tatsächlich begann es auch gleich darauf tüchtig zu schneien, und wir waren froh, daß wir noch nicht gestartet waren. Wir stiegen selbst noch mal alle auf die Anhöhe von Long Point und konnten dort feststellen, daß die Wetterlage sich wieder besserte. Der Schneesturm hatte aufgehört, und am östlichen Horizont leuchtete heller Sonnenschimmer durch.

Dieses untrügliche Zeichen der Wetterbesserung erleichterte uns nun den Entschluß zum Start. Wir hatten vorgesehen, an diesem Tage mit der Fordmaschine wenigstens bis Murray Bay zu kommen. Die Entfernung von Greenly Island bis dorthin beträgt etwa 700 Meilen. Es war inzwischen 1/29 Uhr geworden. Bei dem nicht allzu starken Gegenwind hofften wir noch am selben Tage Murray Bay zu erreichen. Wir starteten um 8.30. In der Maschine, deren eigentlicher Führer Balchen war, befand sich zunächst mein Freund Fitzmaurice am Steuer. Ich selbst und Hünefeld sowie unser Freund Murphy saßen in der engen Kabine, der Monteur befand sich hinten in dem Packraum, in dem die großen Benzintanks hintereinander lagen. Der Start ging mit Skiern auf der Eisfläche recht gut vonstatten. Wir hatten allerdings einen recht langen Anlauf.

Der Weg von Greenly Island bis Murray Bay führt dauernd entlang der Küste. Jetzt konnten wir uns erst die Gegend nach Norden ansehen, in der wir Tage vorher mit wütendem Sturm gekämpft hatten. Auf der langen Strecke befindet sich aber auch kaum ein einziger Platz, auf dem wir hätten landen können mit unserem mit Rädern versehenen Flugzeug. Hier können Flugzeuge nur mit Skiern niedergehen. Der Sturm vier Tage vorher hatte in die weiße Eisdecke ungeheure Spalten gerissen, die schwarz und drohend zu uns heraufblickten. Nur wenige, vereinzelte, meist an den zugefrorenen Flußmündungen errichtete Siedlungen grüßten zu uns herauf. Armselig und dürftig sahen diese Holzhütten aus. Dann kamen wieder 100 Meilen nur felsige Höhen, Eis und Schnee, nur ganz selten unterbrochen von kleinen bewaldeten Niederungen. Nirgends eine Spur menschlichen Lebens. Die Flugzeuge der Canadian Airways, welche während der Wintermonate mit Skiern ausgerüstet allwöchentlich zweimal diese Strecke bis Long Point fliegen, müssen für diese Tour immer einen eisernen Proviant für 8 Tage mitnehmen. Denn, wird ein Flugzeug hier zur Notlandung gezwungen, so kann es Wochen dauern, bis den Insassen menschliche Hilfe gebracht werden kann. Die Verbindung zwischen Long Point und Quebec, außer mit dieser einen Luftlinie der Canadian Airways, ist nur mit guten Schlitten möglich. Dazu benötigen die Fischer und Pelzjäger, deren Ansiedlungen fast nur an der Küste zu finden sind, die sogenannten Hundeschlitten. Diese brauchen dann zu der einfachen Reise nach Quebec einen vollen Monat. Der Weg selbst ist nur gekennzeichnet durch Telegraphenlinien und endet in Long Point.

Vom Flugzeug aus kann ich zeitweise ganz deutlich die Telegraphenleitung verfolgen. Ab und zu laufen mit dieser Telegraphenleitung in der Nähe der Ansiedlung Schlittenspuren parallel.

Stundenlang geht so der Weg entlang der Küste zwischen steinigen Bergen und den das Meer überdeckenden Eisschollen; ein unendlich großes Land, in dem immer noch winterliche Kälte herrscht. Inzwischen haben sich die letzten Wolken verzogen, und wir haben Sonnenschein. Im Sonnenschein malt sich die Landschaft unter uns viel schöner ab und es sieht aus, als zögen wir über unsere heimatlichen verschneiten Berge im Winter dahin.

Wir überqueren mehrere große Flüsse, so als ersten den River Matash-Qwan. Die Eisschollen auf dem Meer zeigen sich nicht mehr in den dicken aufeinander getürmten Massen, es treiben nur noch große Eisfelder in dem dunklen Wasser dahin, die sichtbar unter den Strahlen der glühenden Sonne in Auflösung begriffen sind. Bei dem guten Wetter sehen wir nun auch südlich weit draußen auf dem Meer die Umrisse der Insel Anticosti, deren Ufer immer näher zu uns heranstreben, bis wir sie in einer Entfernung von 50 Kilometer passiert haben. Dann ragen aus einer großen Meeresbucht sieben Inseln zu uns empor, die SevenIsland-Bucht. Es ist dieses ein Zwischenlandeplatz für die Flugzeuge, die nicht so viel Betriebsstoff mitführen können und mit Skiern ausgerüstet sind. Aber die Sonne hat hier im Laufe der Mittagsstunden schon so gearbeitet, daß es kaum mehr möglich sein wird, in einer Woche noch mit Skiern zu landen. Ein bis zwei Tage noch, und die Canadian Airways wird ihre Streckenflüge deshalb einstellen müssen. Zwei kleine Wohnhäuser sind alles, was wir an menschlichen Ansiedlungen dort erblicken können.

Jetzt geht unser Kurs nach Südwest. Die Berge werden wieder höher, schroff und steil ragen sie aus dem Meer empor. Große, fjordartige Einschnitte ziehen sich in nördlicher Richtung ins Land hinein. Soweit das Auge nach Norden und Westen reicht: hohe Berge, Eis und Schnee. Die einzelnen noch im Wasser treibenden Eisschollen haben jetzt aufgehört, aber das Land selbst ist noch von einer weißen Schneedecke verhüllt. Nur dort, wo der Wind die Felsmassen bestreichen kann, ragen die kahlen, dunkelgrauen Felsenzacken zu uns herauf und reichen oft bis 1000 Meter Höhe empor.

Wieder schiebt sich südlich der Wasserfläche ein dunkler Streifen am Horizont heran, die Südküste des Rivers Saint Lawrence, die näher und näher herankommt und uns nun auf unserem Wege nach Murray Bay begleitet. Mehrmals noch überqueren wir tiefe, eingeschneite Täler, in denen reißende Flüsse sich zu Tal wälzen. Und immer wieder nach Norden zu diese unendliche Häufung von Bergspitzen, die im Scheine der Sonne leuchten und glitzern. Die Ansiedlungen werden jetzt plötzlich häufiger. Kleinere Dörfer mit Kirchen grüßen zu uns herauf und zeigen uns, daß dort die Zivilisation kommt. Nun gehen die menschlichen Ansiedlungen auch weiter hinein ins Land. Dann taucht, an die Berge angeschmiegt, ein entzückendes Städtchen auf, reizende kleine und große Villen und unten im Tale Straßen, in engen Windungen sich um die Flußmündung schlängelnd. Es ist Murray Bay! Unser Landeplatz ist etwas über Murray Bay hinaus, der Lake St. Agnes. Dort steht ein Flughallengebäude und viele Flugzeuge. Wir umkreisen den Platz und landen, und zum Ersten Male überfällt uns der Sturm der Begeisterung, wie wir ihn von da ab tagtäglich erleben durften und mußten.

Nach all den herzlichen Begrüßungen geht es zuerst im Schlitten, später im Auto hinein nach Murray Bay. Dort werden wir in einer entzückenden kleinen Villa untergebracht, und zum ersten Mal seit Dublin können wir uns wieder nach erfrischendem Bad der Kultur in die Arme werfen. Ein kleiner, festlicher Empfang, Überreichung von Geschenken usw., füllt den Abend aus. Es geht viel zu spät ins Bett.

Am nächsten Morgen gegen drei Uhr ist großes Wecken in unserer Villa. In lieber Gesellschaft wird dann das Frühstück eingenommen. Die Dame des Hauses ist auch schon auf den Beinen und macht die Honneurs und schmückt durch ihre Anwesenheit mit Fräulein Hertha Junkers zusammen den Frühstückstisch.

Gleich darauf geht's im Auto und im Schlitten wieder zwei Stunden lang zum Flugplatz. Die Schlittenfahrt ist anstrengender als mancher Flug. Manchmal sind tiefe Furchen in die Schneedecke des Weges gegraben. Auf dem Flugplatz wiederum herzliche Begrüßung. Der tüchtige dreimotorige Ford ist kampfbereit. Balchen, blond, frisch und munter, ist bereits zur Stelle. Der Ozeanflieger Chamberlin, der gestern zur Begrüßung da war, hat sein Flugzeug auch bereits startfertig. Viel Hin und Her, viel Unordnung im Flugzeuggebäude. Man sieht noch so recht den Trubel vom letzten Tage. In allen Zimmern liegt alles Mögliche durcheinander. Erregung ist auf allen Gesichtern zu sehen, alles ist herausgerissen aus dem täglichen Einerlei und freudige Aufregung ist bei allen zu spüren. Man sieht es, daß alle fühlen, daß ein Markstein in der Geschichte der Eroberung der Luft gesetzt ist. Wir stehen herzklopfend im Mittelpunkt davon. Schon liegen die Stunden im Kampfe mit den Elementen weit hinter uns und vor uns tauchen nun die reifenden Früchte des Sieges auf.

Es ist inzwischen 7 Uhr geworden. Wir gehen zum Flugzeug, herzlicher Abschied wird genommen. Die Kurbelmänner arbeiten wieder fieberhaft. Wir winken und ziehen zum Startplatz über den hartgefrorenen eisigen Schnee. Wir brauchen zum Start den ganzen See, doch zuletzt ziehen uns die emsig arbeitenden Whirl-Wind-Motoren eben noch heraus aus dem engen Tal über die Höhen mit Tannen und Birken. Chamberlin, der zähe Luftkämpfer und Ozeanheld, folgt uns. Nach Osten geht die Fahrt. Das Ziel ist zunächst New York und dann Washington, wo heute ein Luftheld in die Erde gebettet wird, der uns Hilfe bringen wollte, und der nach uns verlangte im fiebernden Todeskampf, undder starb in dem Moment, als wir seinen Sitz, den er am selben Flugzeug auf seinem letzten Himmelsflug eingenommen hatte, in Greenly Island bestiegen.

Glück und Leid so dicht beisammen! Zu dir, dem toten Luftpionier und Bezwinger des eisigen Nordpols! Der Flug geht westwärts dem Saint Lawrence River entlang. Was gestern nur spärlich zu sehen war, heute wird es Ereignis. Seine Ufer sind voll menschlicher Wohnstätten. Vom einsamen Leuchtturm auf ferner Warte ziehen wir hinein in das Herz der Welt und hinweg über New York, dem Regierungssitz der Vereinigten Staaten zu. Um 8 Uhr haben wir Quebec erreicht, die erste große Stadt. Wir fühlen den Pulsschlag des Morgens über ihr und Brücken spannen sich jetzt von Ufer zu Ufer, Bahnen sind schnurgerade eingebettet in die Erdrinde und begleiten unseren Weg. In unserer Kabine sieht es aus wie nach einer durchwachten Nacht. In Mäntel und Decken gehüllt schlummern sie, denen nach den Ereignissen des letzten Tages die Erregung keinen nächtlichen Schlummer gönnte. Hertha Junkers schläft ermattet in meinen Mantel gehüllt. Mein lieber, guter Hünefeld liegt auf den großen Benzintanks auf einem weichen Lager aus nicht benötigten Fliegeranzügen. Mr. Murphy, der Berichterstatter, liegt auf dem Boden der Kabine. Er scheint wirklich gut und tief zu schlafen. Seiner flüssigen Feder entsprangen in nächtlicher Arbeit so viele Zeilen, die heute schon der Welt von uns erzählen. Am Steuer sitzt Fitzmaurice froh und frisch, trotzdem er nur eine Stunde geschlafen hat. Ihm ist auch nur wohl, wenn er mit sicherer Hand das Flugzeug dem fernen Ziel entgegenführen darf. Balchen sitzt neben ihm und paßt auf seinen lieben Vogel auf und seine Gedanken eilen voraus, seinem tapfern, toten Kameraden entgegen. Der Himmel scheint unser Beginnen zu fördern. Verschleiert leuchtet die Sonne in dunstigen, weißen Fernen. Ein reiner Wind bringt uns rasch zu unserem Ziele. Seit Quebec sind die blauen, schneeglitzernden Bergkuppen verschwunden. Weites, ebenes Land und riesige Waldstrecken dehnen sich vor uns aus, und Dörfer, langgestreckt, und rauchende Städte ziehen unter uns durch. Bebaute Äcker, die wie mit Linealen abgemessen sind, zeugen vom Fleiß der Bewohner. Schlangengleich windet sich Bach auf Bach der großen Wasserader des St.-Lawrence Stromes zu. Um 8,45 Uhr taucht westlich von uns rauchend und qualmend Montreal auf, Kanadas Millionenstadt. Südlich dieses grauen Rauchstreifens von Montreal dehnen sich, soweit das Auge reicht, die United States of America, mit ihrem Reichtum, ihrer Macht, und ihrem harten Willen dazu.

Südlich geht nun unser Flug, dem Herzen des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten entgegen. Punkt 9 Uhr passieren wir die amerikanisch-kanadische Grenze und im raschen Fluge geht es nun weiter. Es wechselt Hügelland mit fruchtbaren Ebenen, durch die immer mehr Verkehrsadern sich sternförmig auf einen Punkt zuschieben. Rechts und links von uns erheben sich hohe Gebirge, deren Spitzen noch mit Schnee bedeckt sind. Wir fliegen jetzt, ohne uns sehr um Orientierung kümmern zu müssen, die Schlagader dieses bewaldeten Landstriches, den Hudson entlang. Als erste große Stadt grüßt uns Albany, der Regierungssitz des Staates New York. Staunend sehen wir die ersten Hochhäuser in den Himmel ragen und Fabrik reiht sich an Fabrik, an deren qualmenden Schornsteinen der Fleiß der Bewohner zu erkennen ist. Nur noch eine Stunde Flug. Es tritt ein neues Bild zu uns herauf. Vielgleisige Bahnen winden sich den Fluß entlang. Berge schieben sich zusammen, durch die sich der Hudson schlänget und dahinter dehnt sich der ungeheuere Lebensnerv Amerikas: New York.


Zuerst üppige Villen mit grünen Golfplätzen und Parkanlagen, dann niedrige Häuser, die sich aneinanderreihen und zuletzt die Wolkenkratzer New Yorks. Ein überwältigender Anblick für uns, die wir zum ersten Mal dieses Schauspiel sehen. Es ist dunstig geworden. Südlich von New York ist schlechtes Wetter. Es regnet auch etwas. Wir entschließen uns, auf dem Curtiss Field zu landen. Der Vogel neigt sich in sanftem Gleitflug. Wir landen. Polizisten auf Motorrädern umkreisen das Flugzeug, Sirenen heulen, Auto brausen heran, dahinter stürmende Menge, die uns zu sehen verlangt, — wir sind in New York.

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