Die „Bremen" macht eine Verbeugung — Abgeschlossenheit auf Greenly Island — Das Hilfsflugzeug — Versuche, die Bremen" wieder flugfähig zu machen -Auf in die Zukunft

 

Im Schneesturm von Greenly Island erreichten wir den amerikanischen Kontinent. Durchfroren, ermattet und hungrig landete die „Bremen"-Crew, nachdem sie schon beinahe die Hoffnung aufgegeben hatte, jemals wieder mit menschlichen Wesen sprechen, in behaglichen Häusern sitzen und am knisternden Feuer sich wärmen zu können. Unser Eintreffen auf diesem kleinen Inselehen entbehrte nicht, wenn wir zurückdenken, einer gewissen Komik, die durchaus unfreiwillig war. Zunächst machte die Maschine eine tiefe Verbeugung. Diese Verbeugung kostete uns den Propeller, der restlos verbogen wurde. Die erste Eisschicht des Wasserbehälters, auf dem wir glaubten, glatt landen zu können, war schon brüchig geworden. Der Last der Ma­schine weichend, gab sie nach, und während Köhl schwer den Kopf auf das Steuerrad aufschlug, so daß ihm das Blut über das ganze Gesicht lief, Fitzmaurice mit einem gewal­tigen Ruck davon kam, stand ich auf dem Kopf. Aber die Landung war nun einmal bewerkstelligt, der Ost-West-Flug geglückt. Wir begannen auszusteigen. Einen derartig hemmungslosen Sturm, wie er uns empfing, hat wohl keiner von uns je vorher erlebt. Dieser Sturm warf jeden Einzel­nen von uns beinahe glatt wieder um, und innerhalb der ersten Sekunde nach der Landung nahm ich mein erstes Bad auf amerikanischem Boden, indem ich in ganzer Länge in das Eiswasser unseres Landungsplatzes fiel. Köhl, der in ein jubelndes Gelächter ausgebrochen war, saß im selben Moment, vom Sturm umgeworfen, ebenfalls im Eiswasser, während Fitzmaurice sich mit Mühe und Not an der Ma­schine halten konnte. Der Empfang seitens der Elemente war nicht gerade sehr herzlich. Um so freundlicher kamen uns die wenigen Bewohner dieses verlassenen Plätzchens entgegen. Der Leuchtturmwärter von Greenly Island, Mr. Templier, der mit seiner zahlreichen Familie hier seines schweren und im Winter besonders harten Amtes waltet, hat von dem ersten Augenblick unserer Landung ab eine derartig große Gastlichkeit und Herzensgüte bewiesen, (laß wir auch heute nur noch mit dem Gefühl aufrichtigster Rührung daran zurückdenken können.

Zunächst glaubten die Bewohner der Insel, wir wären von Quebec gekommen. Auf unsere Mitteilung, daß wir un­mittelbar von Europa kämen, war die Verwunderung groß und Templier sagte das Wort, das uns alle drei unausge­sprochen in diesem Augenblick im tiefsten Innern bewegte: Der gute Gott hat sie geführt und sicher gerettet.

Eine seltsam angezogene Gesellschaft versammelte sich eine gute Stunde nach der Landung im kleinen Wohnzimmer des Leuchtturms. Köhl und Fitzmaurice hatten noch ver­sucht, mit Hilfe einiger Bewohner der Insel die Maschine aus dem Becken, in dem sie festsaß, herauszuziehen. Der Sturm, die Kälte und die überstandenen Strapazen verhin­derten ein planmäßiges Vorgehen, und so brach das Fahr­gestell bei dem Versuch der Bergung in wenigen Augen­blicken. Nunmehr kamen auch Köhl und Fitzmaurice ins Haus, in dem ich mich schon aufhielt, um nach dem er­frischenden Bade zu verhindern, daß mir sämtliche Kleider am Leibe anfroren. Außerdem hatte ich die letzten sieben Stunden des Fluges, um die Maschine zu erleichtern, zwi­schen den beiden Tanks gelegen, ein Platz, der für einen

Mantel nicht Raum läßt. Pelzstiefel und Handschuhe hatte ich außerdem in Baldonnel vergessen. Finger und Füße waren so erstarrt, daß ich mich bei den ersten Bergungs ­arbeiten nicht helfend beteiligen konnte.

Nun saßen wir also alle zusammen vor dem brennenden eisernen Ofen, hatte alle möglichen Kleidungsstücke der ganzen Familie Templier an und freuten uns, daß wir noch da waren. Das schnell fertig gemachte heiße Essen, das aus Kartoffeln mit Corned Beef gemischt bestand, schmeckte herrlich, dann aber kam schnell und rasch die große Müdig­keit. Die ersten Telegramme an die harrenden Familien wurden aufgesetzt. Zufälligerweise war ein Bote des zwei Meilen entfernten kleinen Ortes Long Point zugegen, der im Begriff war, mit seinem Hundeschlitten über die Belle-Isle­Straße hinüber zu fahren.

Long Point besitzt nämlich eine Telegraphenstationl Dieser Umstand wurde in unserem Leben auf Greenly Island von ausschlaggebender Bedeutung. Ohne diese Telegraphen­station wären wir gänzlich von der Kultur abgeschnitten gewesen und geblieben, und unzählige verstümmelte und unverstümmelte Telegramme sind in jenen zehn Tagen, die Greenly Island unser Aufenthaltsort war, über Long Point gegangen. Mr. Cornier, der liebenswürdige Postmeister die­ses kleinen Ortes, dessen Familie mit ihm später darum wetteiferte, uns die letzten Tage vor unserem Weiterflug angenehm zu gestalten, hat uns später erzählt, daß er vor diesem Ansturm beinahe zusammengebrochen wäre. Wir haben das im vollsten Umfang verstehen können, da die ganzen telegraphischen Einrichtungen für einen Verkehr von 8 bis 10 Telegrammen im Monat, aber nicht für 100 bis 200 Telegramme täglich, eingerichtet waren. Die Leistungen Herrn Corniers, hinter denen der gute und ehrliche Wille zur Hilfe stand, dürfen nicht gering eingeschätzt werden.

Frau Templier, deren sechsköpfige Kinderschar uns neugierig, aber nicht aufdringlich betrachtete, hatte schnell Betten für uns zurechtgemacht. In einem breiten Bett ka­men Köhl und ich unter, während Fitzmaurice für sich allein eine Ruhestätte erhielt. Schon beim Essen waren wir nahezu eingeschlafen, und nachmittags um 4 Uhr gingen wir in aller Form zur Ruhe. Das war ein Schlaf, wie wir ihn schöner und tiefer höchstens im Felde genossen haben!

Um 3 Uhr nachts wachte Köhl zuerst auf. Die Petro­leumlampe in unserem kleinen Zimmerchen war brennen ge­blieben, da sie gleichzeitig als Ofen diente. Köhl greift zu seinen Karten, die ihn selbst ins Bett begleitet haben, um die Stelle zu suchen, an der wir uns befinden. Darüber wachen wir anderen auf und das erste, was Fitzmaurice und ich tun, ist, uns die letzten beiden Zigaretten, die wir be­sitzen, anzustecken. Wer Nichtraucher ist, kann nicht die Gefühle verstehen, die Fitzmaurice und mich bei dieser bei­nahe heiligen Handlung beseelten. Ein Ozeanflug von 36 Stunden mag anstrengend sein, 36 Stunden Rauch­verbot während des Fluges ist indessen nicht nur anstren­gender, sondern eine Qual! Das können aber, wie gesagt, nur wirkliche und passionierte Raucher begreifen.

Fitzmaurice, der zuerst den Leuchtturm entdeckt und für ein eingefrorenes Boot gehalten hat, versichert immer wie­der, es wäre „ein gutes Boot, auf dem wir uns befänden, und es wäre ein schönes Boot". Als Namen dieses Bootes haben wir das Wort „Greenly Island" zwar verstanden, aber vor dem Einschlafen waren wir nicht mehr richtig in der Lage, festzustellen, wo dieses Greenly Island sich befände. Also wird gesucht. Wir finden, daß im St.-Lawrence-Strom, in dessen Golf wir uns zweifelsohne aufhalten, ein „Green Island" verzeichnet ist. Dieses Green Island liegt etwa 300 Meilen von Quebec entfernt. Außerdem geht dicht bei ihm eine Eisenbahnlinie vorbei. Wir werden demnach in etwa 2-3 Tagen in New York sein, denken wir. Köhl be­ginnt Aufzeichnungen über Erlebnisse des Fluges auf die Karte zu schreiben, Fitzmaurice und ich schlafen wieder ein, So kommt der nächste Morgen.

Dieser brachte eine Überraschung, die der Enttäuschung nicht ganz unähnlich war. Während Fitzmaurice und ich noch in Gesprächen beim Frühstück sitzen, ist Köhl zur Maschine geeilt, uni bei Tageslicht zu sehen, wie groß die durch die Landung entstandenen Beschädigungen sind. Nach kurzer Zeit kehrt er zurück und macht folgende sen­sationelle Mitteilung: „Wißt ihr eigentlich, wo wir sind, Kinder? Wir sind nicht in Green Island, sondern in Greenly Island!" Im selben Augenblick liegt die Landkarte auf dem Tisch. Köhls Fin­ger zeigt den Punkt unseres augenblicklichen Aufenthaltes. Das sieht allerdings anders aus, als wir es uns in der Nacht hatten träumen lassen! Eisenbahnlinie? Nur ein Phantast konnte glauben, daß sich in der Nähe von Greenly Island Eisenbahnlinien befinden. Also wird die nächste Verbin­dung für uns der Hundeschlitten bleiben.

Gute Feldherrn müssen Kriegspläne schmieden. Wir vereinbaren, daß Köhl, den das Herz doch immer wieder zu der zerbrochenen Maschine treibt, die nächsten Stunden die Fürsorge für unseren Vogel übernehmen und versuchen soll, ihn mit Hilfe der interessiert herumstehenden Inselbewoh­ner aufzubocken. Fitzmaurice und ich werden während dieser Zeit im Hundeschlitten nach Long Point hinüberfah­ren, daselbst das Terrain rekognoszieren, etwaige weitere Hilfe beordern, und vor allen Dingen Telegramme aufgeben, die schleunigste Hilfe herbeirufen. Vor allen Dingen muß die Junkers Corporation of America wissen, was wir an Er­satzteilen brauchen, damit die Reparaturen der Maschine, die in diesem Moment das Wichtigste scheinen, möglichst schnell vorgenommen werden können. So wird an Fräulein Hertha Junkers in New York die Bitte um Beschaffung eines neuen Propellers und eines möglichst vollständig neuen Fahrgestells gedrahtet.

Kohl hat noch einige Pfund irischen Geldes in der Tasche. Fitzmaurice und ich hatten keinen Pfennig mitge­nommen, da wir im Falle des Mißlingens des Fluges Geld in den Wellen des Ozeans für überflüssig hielten. Also muß auch an den Norddeutschen Lloyd in New York neben der Ankunftsmeldung die Bitte um Geld telegraphiert werden. Wenn Greenly Island auch außerhalb der „Kultur" liegt, Geld ist überall vonnöten, und Kabel und Telegramme müssen bezahlt werden. Die Fahrt über das Eis bietet für Fitzmaurice und mich neue Sensationen. Keiner von uns beiden ist bisher jemals im Hundeschlitten gefahren, und das schnelle Dahingleiten auf diesen schmalen und nicht sehr komfortablen Gefährten mit den laut bellenden Hunden davor bietet neuartige Reize. Wenn man auch bei den ersten Unebenheiten des Schnees und Eises zunächst einmal un­sanft mit der Erde in Berührung kommt, was schadet das gegenüber dem Gefühl, unbekannte Dinge erleben zu dürfen.

In Long Point werden wir beide herzlichst begrüßt und ganz besonders warm von der Familie Cornier aufgenommen. Die nötigsten Telegramme, Meldungen an die irische und deutsche Regierung von der glücklichen Ankunft, Mit­teilungen an den Senat der Patenstadt des Aeroplanes, werden abgesandt. Ganz besonders wird aber an die Regierung Kanadas telegraphiert, um ihr unsere Landung zu notifi­zieren. Was diese Regierung dann in unglaublich kurzer Zeit an Fürsorge für uns getan hat, läßt sich kaum in Worte fassen. Inzwischen treffen aber auch die ersten Telegramme als Antworten auf die bekannt gewordenen Nachrichten unserer glücklichen Landung ein. Eines der Glückwunsch-Tele­gramme, die wir in Empfang nehmen, ist vom Präsidenten der Vereinigten Staaten unterzeichnet und in die wärmsten Worte der Begrüßung gefaßt. Doch zurück zu der ersten Exkursion nach Long Point! In Lang Point erfahren Fitzmaurice und ich, daß Hebebäume und zwei Kräne zur Verfügung ständen, die evtl. dazu helfen könnten, die Maschine leichter aus ihrer unbequemen Lage zu befreien. Also werden diese Gegenstände angefor­dert und dann gehen wir beide unter Führung des jungen Cornier, eines Mannes, der seine Freundlichkeit dadurch krönte, daß er aus seinem eigenen geringen Zigarettenvorrat der „Bremen"-Crew Tabak und Zigaretten zur Verfügung stellte, obwohl diese Dinge im Winter schwer zu haben sind, in die kleine, während der Wintermonate leer stehende Kirche des Ortes. Es sollte nur eine Besichtigung sein, die von den auf ihr Gotteshaus stolzen Bewohnern des Örtchens vorgeschlagen war, aber unwillkürlich knien wir beide nieder und in getrennter Sprache, getrennten Konfessionen angehörend, aber eins im Glauben an Gott und erfüllt von Dank für die Hilfe, die er der „Bremen" und ihrer Besatzung zuteil werden ließ, sprechen wir ein kurzes, aber inniges Gebet.

Köhl hatte inzwischen eine Anzahl Hilfskräfte geworben, die sich für die Reparaturarbeiten der „Bremen" zur Ver­fügung gestellt hatten. So konnte auch dieses wichtige Werk bald begonnen werden, und dieser Tag geht mit den notwen­digen Vorbereitungen, mit dem Lesen und Schreiben von Telegrammen, zu Ende. Der 15. April ist ein Sonntag. Ab­gesehen davon, Köhls vierzigster Geburtstag. Eine seltsame Gratulationscour morgens in dem kleinen Schlafzimmer. Wir halten uns länger beim Plaudern und Anziehen auf, und ganz unwillkürlich kommen wir auf den Krieg zu sprechen, den wir ja an verschiedenen Fronten mitgemacht haben. Später hat Köhl oft in seinen Reden bei der Tour durch die amerikanischen Städte daran erinnert, wie wir an diesem seltsamen Sonntagmorgen uns gegenseitig die Narben un­serer Wunden zeigten, die wir im Kriege erhalten hatten.

Gute Feinde können gute Freunde und Kameraden werden, wenn die Schlacht zu Ende ist. Die „Bremen"-Crew darf wohl den Anspruch darauf erheben, den praktischen Beweis für die Richtigkeit dieses Wortes erbracht und gezeigt zu haben, daß nach dem Friedensschluß alte Soldaten Seite an Seite für gemeinsame Ziele eng verbunden fechten können.

Eine besondere Geburtstagsfreude erwartet uns beim Frühstück. Der Canadian Trans-Continental Airways aus Quebec teilt mit, daß ein mit Schneekufen versehenes Flug­zeug nach Greenly Island auf dem Wege sei und nachmittags eintreffen würde. Während wir beim Mittagessen sitzen, ertönt Propellergeräusch. Die Bewohner des Leuchtturms mit ihren Gästen stürzen auf das Eis. Ein Flugzeug kreist über der kleinen Insel und landet sicher auf dem gefrorenen Strom.

 

Ein kurzer Moment des Erinnerns zuckt durch unser Hirn. Hätten wir doch dieser Eisfläche mehr getraut, als dem uns aus der Luft sicherer erscheinenden Wasserbehälter. Die Tür des Flugzeuges öffnet sich und als erster erscheint der Mann, dem wir dann später auf Köhls Anregung den Beinamen „Der liebe Gott von Kanada" gegeben haben, Dr. Cuisinier. Über ihn wird in diesem Abschnitt noch viel zu sprechen sein; denn was ein Mensch dem anderen an Freundlichkeit, an praktischer, an moralischer und auch ärztlicher Hilfe zuteil werden lassen kann, das hat dieser ganz seltene Charakter uns allen erwiesen. Ihm folgt der treue Mechaniker Thibaut und der Führer des Flug­zeuges, der als Original in weitesten Kreisen bekannte Duke Schiller. Der gute Doktor greift in die Maschine zurück. Ein Korb mit Bierflaschen erscheint. Jubel bei der „Bremen"-Crew, der in Worten gipfelt: das schönste Geburtstags­geschenk für den aus Bayern stammenden Köhl.

Die neuen Gäste der Insel werden im Triumph zum Leuchtturm geleitet und gar bald ist, während Madame Templier einen heißen Tee serviert, das Frage- und Antwort­spiel im Gange. Wie lange werden wir hier bleiben müssen? Was denkt man von uns? Sind Nachrichten von drüben ge­kommen, und wie sieht die Welt im übrigen aus? Nur wenige Tage sind seit unserem Start vergangen, aber schlicht haben wir uns ganz in diese Abgeschiedenheit hineingelebt, die uns umgibt. Beinahe schmerzlich berührt einen zeitweilig der Gedanke, daß man wieder in den Strom des Lebens hinaus muß. Hier sind wir in dem Bewußtsein des ge­lungenen Fluges glücklich, hier hat man Zeit zum Nach­denken und es kommen Gedanken, die in dein Treiben und Hasten der Welt sich kaum an einen herantrauen. Aber so. sonderbar ist das menschliche Herz. Gleichzeitig sehnen wir uns doch wieder hinaus in das tätige Leben, und gleichzeitig brennt die Frage in unserem Herzen und in unserem Hirn, wie können wir am schnellsten die Verbindung mit eben dieser Welt aufnehmen. Lächelnd, das Englische mit dem Französischen ab­wechselnd sprechend, erzählt uns Dr. Cuisinier, der Doktor der Medizin an der Pariser Sorbonne war, der nunmehr Di­rektor der Canadian Airways seit Jahren ist, alles das, was wir wissen wollen, und er erzählt noch mehr. Er macht den Vorschlag, daß einer von uns seinen Platz in der Maschine auf dem Rückflug einnehmen soll, um persönlich bei der Hilfsexpedition für unsere Maschine mitzuwirken. Eine Selbstverständlichkeit ist es, daß die Wahl auf Fitzmaurice fällt. Er ist der einzige von uns, der die englische Sprache wirklich beherrscht. Köhl und ich haben erst in Baldonnel Studien gemacht und können uns nur mühsam verständigen. Außerdem hat Fitzmaurice zu kanadischen Fliegerkreisen von der Kriegszeit her vortreffliche Beziehungen. Nachdem diese Vereinbarungen getroffen sind, stellt sich heraus, daß es für den Start am Abend zu spät geworden ist, und so werden die neuen Ankömmlinge auch noch im Leuchtturm untergebracht; wo Dr. Cuisinier die Nacht geschlafen hat. wo Thibaut sie verbrachte, wissen wir heute noch nicht. Duke Schiller teilte das Bett mit Fitzmaurice. Der gute Doktor, denn das ist er für uns geblieben, nahm sofort selbst alle Arrangements in die Hand. Mit immer gleich gütigem Lächeln, das diesem hünenhaften Mann einen so besonderen Reiz und Charme verleiht, versichert er uns, daß er für alles sorgen würde, daß wir uns um nichts zu kümmern hätten. und so kamen wir überhaupt nicht dazu, uns um die Be­quemlichkeiten der Leute zu kümmern, die uns die erst; Hilfe brachten und eigentlich unsere Gäste sein sollten.

Dieser Sonntagabend wird wohl jedem von uns unver­geßlich bleiben. Cuisinier erzählt, nachdem die wichtigsten Tagesfragen besprochen sind, von den Zeiten, da er noch mit Bleriot in Paris flog, erzählt uns von der Größe und der Ein­samkeit der Wälder von Labrador, die er selber im Sommer durchstreift hat, und wie das Bild eines Wikinger aus alten vergangenen Zeiten, steht, ohne daß der Sprecher es selbst sieht oder beabsichtigt, die Gestalt dieses Mannes vor uns. Im Laufe dieser Erzählungen aber wird uns das eine immer klarer: wie durch ein Wunder sind wir den Schrecken Labradors entgangen. In dieser Eis- und Schneewüste hätte keine menschliche Hilfe uns je erreichen können. Mit dem letzten Tropfen des Brennstoffes wäre auch die letzte Hoff­nung auf Hilfe für ewig dahin gewesen. Schweigend sahen wir drei in die dämmernde Abendröte über den Eisschollen der Belle-Isle-Straße. Schweigend betrachten wir die schlum­mernden Wälder Labradors — noch wurden sie nicht unsere Begräbnisstätte, und ebenso stumm streift der Blick das Bild des Kreuzes, das als schönster Schmuck über der Tür in dem kleinen Wohnraum der Familie Templier hängt.

Am nächsten Morgen startete die „Oxilla" mit Fitz­maurice nach Murray Bay, dem Hauptquartier der Canadian Airways, in dein auch Fräulein Hertha Junkers fieberhaft tätig war, um Hilfe für uns und unsere Maschine zu be­schaffen. Der Flug wurde mühsam und beschwerlich, da die Maschine auf dem Rückflug in Schneestürme geriet und erst nach drei Tagen, statt nach acht Stunden, am Bestimmungs­orte landete.

In der Zwischenzeit blieben Köhl und ich allein in Greenly Island zurück. Mit uns aber blieb Dr. Cuisinier und damit hielt ein guter Schutzgeist seine Hand über die beiden deutschen Flieger. Nie ist der Geist des fairen Sports klarer zutage getreten, als in diesen Tagen in Greenly Island. Das ..fair plag" des Sportes bringt die Mitglieder einzelner Natio­nen, die ihr eigenes Vaterland lieben und achten, auf der Grundlage der Sportskameradschaft einander näher, als tausend Konferenzen an grünen Tischen es vermögen.

Die inzwischen herbeigeschafften Kräne und Hebebäume wurden aufgerichtet, traten aber niemals in Tätigkeit. Dr. Cuisinier half bald die umherschweifenden Bewohner zu einer Schar arbeitswilliger Leute zu sammeln, und damit kam System in die bis dahin ziemlich systemlose Arbeit. Die Sprachschwierigkeiten waren ja auch nicht zu unterschätzen gewesen. Hier war ein Mann, der die Sprache und die Ge­wohnheiten des Landes und seiner Bewohner aufs genaueste kannte. Er hatte ein leichtes Arbeiten und vor allen Dingen, er hatte den guten Willen und die nötige Energie, um seinen %Villen in aller Freundschaft, aber mit ruhiger Festigkeit. durchzusetzen. So kam der Tag heran, an dem die „Bremen­ aufgebockt nur noch der Stunde harrte, da ein neuer Pro­peller und ein neues Fahrgestell der Maschine selbst die Seele einflößte. Unermüdlich schaffte Köhl mit Hilfe der an­sässigen Bevölkerung und unter dem treuesten Beistand des wackeren Obermechanikers Thibaut.

Mich hatte unterdessen ein neues Mißgeschick betroffen. Durch eine Vergiftung lag ich mit hohem Fieber drei Tage fest im Bett. — Hier trat der Arzt Cuisinier in die Erschei­nung, der mit freundlichem Lächeln und guten Mitteln aus seiner Hausapotheke helfend eingriff. Meine Bitte an Köhl, im Falle meines demnächst zu erwartenden Todes ein Loch in das Eis zu hacken und meinen Körper in einem mit Steinen beschwerten Sack in der Belle-Isle-Straße zu ver­senken, wurde lächelnd abgelehnt. Spötter gestand dann Köhl,

daß Dr. Cuisinier und er diesen Ausgang für gar nicht un­wahrscheinlich gehalten hatten.

Allmählich fanden sich immer mehr Besucher auf der entlegenen Insel ein, die inzwischen eine gewisse Berühmt­heit errungen hatte. Abgesehen davon, daß eines schönen Tages ein zweiter Aeroplan der Canadian Transcontinental Airways von Mr. Vachon gesteuert auf dem Eise landete und zwei Vertreter von Kinofirmen und Illustrationszentralen mitbrachte, traf der Paramount-Film sogar noch vorher mit einem eigenen Flugzeug ein. Nun wurde fleißig gedreht, die Maschine in allen Richtungen aufgenommen und selbstver­ständlich mußten die beiden Deutschen im Kreise der Fa­milie Templier, vor der „Bremen", auf dem Hundeschlitten, kurz in allen Stellungen und in allen Lebenslagen verewigt werden.

Ein Besuch ganz eigener Art traf aber in der Person des deutschen „Friedrich" ein, der in Südlabrador mit seiner Familie lebt und es sich nicht hatte nehmen lassen, seine Landsleute aufzusuchen, um ihnen Tabak und Zigaretten und alle möglichen schönen Dinge zu bringen. Vor allem aber wurden die Abende und Nachmittage, die Friedrich in Greenly Island weilte, zu wunderschönen Plauderstunden, in denen man so manches Neue über das Leben und Treiben der hart um ihr Leben und ihre Existenz kämpfenden Ein­wohner Labradors erfuhr. Er erzählte auch von den magneti­schen Feldern, die tief in den Bergen schlummern, die die Kompaßnadeln ablenken, und so Irrtümer schaffen, die be­sonders für jedes Flugzeug gefährlich, ja verhängnisvoll werden können.

Die Tage gingen, und immer noch trafen Telegramme ein, die von den Vorbereitungen für die Hilfsaktion sprachen, die aber nicht klar erkennen ließen, wann nun eigentlich die erwartete Maschine eintreffen würde. Schneestürme wech­selten mit warmer Witterung und langsam, aber sicher ge­wann die Sonne von Tag zu Tag an Kraft. Diese ihre Wirkung betrachteten wir mit nicht geringer Besorgnis. Die Eis­decke, die sich über die Belle-Isle-Straße breitete, fing an, Risse zu bekommen und wenn nicht ein baldiger Start in Frage kam, würden die Ersatzräder, die wir erwarteten, wirkungslos bleiben. Am 22. April meldete der Draht, daß eine dreimotorige Fordmaschine, die Commander Byrd zur Verfügung gestellt hatte, unterwegs sei. Unsere Spannung stieg aufs Höchste. 24 Stunden später traf diese Maschine an einem schönen Mittag auf Schneekufen ein. Die Stadt. New York halte in Gemeinschaft mit der New York World eine Expedition ausgerüstet, und der großen Maschine ent­stiegen zuerst ein Monteur der Junkerswerke, Ernst Köppe, der Vertreter der New York World, Mr. Murphy, und schließ­lich die beiden Leute am Steuer, Major Fitzmaurico und Bernt Balchen, der junge ehemalige norwegische Seeoffizier, der schon die große Ozeanreise Byrds im Sommer 1927 mit­gemacht hatte. Das Wiedersehen zwischen uns drei Kameraden war ein überaus herzliches und die Freude, Balchen kennen zu lernen, eine ganz besondere. Wer diesem Mann jemals in die strahlenden blauen Augen gesehen hat, die den Fjorden seiner nordischen Heimat ähneln, muß ihn vom ersten Augenblick an liebgewinnen und vergißt ihn nie wieder. Diese Augen in dem typisch nordischen Gesicht trügen nicht. Balchen ist einer unserer besten und treuesten Freunde ge­worden und geblieben. Von ihm erfuhren wir auch die trau­rige Nachricht von der plötzlichen Erkrankung Floyd Ben­netts, der in Quebec mit einer schweren Lungenentzündung die Maschine, die er hatte mitsteuern wollen, verlassen mußte, um das Krankenhaus aufzusuchen. Aus dem Kran­kenhaus in Detroit war er gekommen, wo er an einer schwe­ren Grippe darniederlag, als der Ruf um Hilfe zu ihm drang. Keinen Augenblick hatte sich dieser treue Kamerad und hundertprozentige Sportsmann durch sein eigenes Leben abhalten lassen, mit der letzten verlöschenden Kraft anderen Hilfe zu bringen. Zwei Tage nach der Landung Balchens in Greenly Island sehloß Floyd Bennett für immer die Augen. Die Erinnerung, die nicht nur wir ihm in unseren Herzen bewahren, wird eine bleibende und unauslöschliche sein! Nie werden wir die Stunde vergessen, in der wir in dem kleinen, von Sonne durchfluteten Zimmer der Familie Cornier saßen und Murphy mit der telegraphischen Nachricht eintrat „Floyd -Bennett ist gestorben". Ein Schatten fiel mitten in unseren Kreis, und über diesen Schatten des Todes hinüber wuchsen unsichtbare Hände auf, die sich einander entgegenstreckten. Der Geist der Sportsgemeinschaft fragt nicht nach Verhand­lungen der Diplomaten. Der freie Mensch reicht dein freien Menschen die Hand! Dieser Tod besiegelte vielleicht für immer einen Anfang, der in dem Buch der Menschheit ge­schrieben wurde. Über trennende Gräben hinweg trägt der Kampf für die Idee die Bruderhand der Bruderhand ent­gegen. Die Liebe und Achtung vor der eigenen Nation wird zum Respekt vor der anderen. Floyd Bennetts Tod schrieb mit unauslöschlichen Lettern in die von Haß und Krieg zer­setzte Geschichte der Völker das Wort: „Guter Wille".

In ungeahnten Mengen entquellen dem riesigen Vogel Kisten über Kisten. Zunächst der blitzende neue Stahl­propeller, den die Junkers Corporation of America von ihrer eigenen „F 13" geopfert hat. Kisten mit Wein und Bier kamen zum Vorschein, Lebensmittel und Zigarren, kurz, alles, was auf der kleinen weltentfernten Insel so begehrt ist. Über diese guten Dinge vergaßen wir aber nicht die Arbeit. Mit Eifer ging man sofort ans Werk. Die „Bremen" hatte in kurzer Zeit eine neue Mittelachse, neue Räder mit breiten Reifen, die vielleicht den Start auf dem Eis noch ermöglichten, und dann begann die Fahrt auf dem Greenly hinab auf das Eis der Belle-Isle-Straße. Inzwischen wurde versucht, den Propeller der „Bremen" wieder gerade zu biegen, Schmiedfeuer und Lötlampen lohten. Der sinkende Abend sah eine hoffnungsfreudige Gesellschaft in dem Eß­zimmer des Leuchtturmes versammelt. Dr. Cuisinier bereitete einen delikaten Salat, und früh trennte man sich, da für den nächsten Morgen der Aufbruch in Aussicht genommen war.

Dieser Morgen dämmerte herauf. Er brachte neue Ent­täuschungen. Den ganzen Tag bemühten wir uns, auf dem Eise den Motor in Gang zu bringen. Die Maschine war von dem ebenfalls mit dem Ford-Flugzeug herbeigeführten Benzol voll getankt. Keine Zündung! Die Stunden verrannen und der Abend begann zu nahen. An einen Aufbruch für diesen Tag war nicht mehr zu denken. Nun aber zeigte sich die Wirkung der Sonne, die an diesem Tage besonders heftig vom Himmel herabgesehen hatte. Am Abend erkann­ten wir, daß an einen Start nicht mehr zu denken war. So wurde die „Bremen" wieder auf Schlitten gesetzt, und lang­sam mit Hundevorspann und von Menschenkraft gezogen, bewegte sich ein trauriger Zug nach Long Point.

Wir wußten, an einen Start war in absehbarer Zeit nicht mehr zu denken. So wurde denn schweren Herzens der Entschluß gefaßt, die „Bremen" unter der Obhut des auf­opfernden Dr. Cuisinier und seines treuen Thibaut zurück­zulassen, und wir selber wollten mit Balchen und seiner Ford­maschine nach Murray Bay fliegen, wo man uns sehnlichst erwartete. Aber wieder verstrich ein Tag, Schneestürme wechselten mit Sonnenschein, die Wettermeldungen auf der Zwischenstrecke waren so schlecht, daß ein längeres Ver­bleiben zur Pflicht wurde. Unter Dr. Cuisiniers Führung be­sichtigten wir einen Platz, auf den die „Bremen" hinauf­geschafft werden sollte, damit sie vom Lande aus starten konnte. An diesem Platz ist dann später der erste Start­versuch gemacht worden, nachdem der unerschrockene Pilot Fred Melchior der Junkerswerke im Fallschirm den Start-und Landeplatz erreicht hatte. Dieser Start führte zu dem völligen Bruch der Maschine.

Es gibt Dinge, über die zu schreiben schwer ist. Die Ge­fühle, die uns bei der Nachricht von dem endgültigen Zu­sammenbruch unserer Maschine bewegten, lassen sich in Worte nicht fassen. Es war jedem Einzelnen von uns, als ob ein eigenes Kind gestorben wäre. Mit diesem Unfall zu­gleich war für die Besatzung der „Bremen" der festgehegte Plan, im Flugzeug nach Europa zurückzukehren, zur Un­möglichkeit geworden. Nur der Sportsmann wird ermessen können, was für uns diese Nachricht und diese Tatsache bedeutet.

Am 26. April morgens früh startete die Fordmaschine aus der Bucht auf Long Point. Nicht leichten Herzens schieden wir von diesem Platz, der uns in dem zehntägigen Aufenthalt vertraut und lieb geworden war. über uns lag die Ungewißheit der Zukunft. Hinter uns lag ein Erlebnis son­dergleichen, das in dem Tode Floyd Bennetts einen er­schütternden Abschluß gefunden hatte. Unsere Gedanken zogen zurück zu der Maschine, die uns in den schwersten Stunden unseres Lebens Halt und Schutz gewesen war, und die wir nun zurücklassen mußten. Gewiß: die Hilfe eines der edelsten Menschen, die wir je kennen gelernt haben, betreute diesen unseren treuen Vogel, aber was würden die nächsten Tage, was würden die nächsten Wochen bringen? Der Ab­schied von dem guten Doktor war kurz und herzlich. Ebenso der Abschied von allen den Leuten jener Gegend, die uns in aufopfernder Gastfreundschaft Hilfe und Beistand in jenen ersten, so schweren und an Erleben doch so unendlich reichen Tagen gewährt hatten. Die drei Propeller singen ihr Lied. Vorwärts hieß es, vorwärts in die Zukunft. Was uns bewegte, das haben wir später immer wieder in die Worte zusammen­gefaßt: „Homage to Dr. Cuisinier."

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