KRIEGSENDE

 

Der November kam heran. Mit banger Sorge verfolgten wir die Entwicklung an der Front im Spiegel unserer zensierten Zeitungen. Dumpf spürten wir, daßder Krieg einem entsetzlichen Ende entgegenging. überall waren dem Feinde Durchbrüche geglückt. Die Amerikaner kamen in Massen nach Europa, und was Belgier, Franzosen und Engländer nicht vermocht hatten —die gutgenährten und tadellos ausgerüsteten Söhne der Neuen Welt schafften es. Ein Zittern und Wanken ging durch die Front der Verbündeten ... das spürten selbst wir in unserem entlegenen Gefangenenlager.

Jetzt bekamen wir die Zeitungen täglich fast ohne jeden Ausschnitt, und sie waren voll von Siegesmeldungen und überschwenglichen Lobsprüchen auf die Amerikaner, die man als Retter in den Himmel hob. Wir ahnten Schlimmes. Kaum wagten wir noch miteinander darüber zu sprechen.

Dann aber kam der vernichtende Schlag. Als die Zeitungen im Lager eintrafen,

entspannen sich an der Wache lange Debatten, und als uns der Sergeant endlich das Blatt brachte, da lasen wir es: Revolution in Deutschland! Waffenstillstandsangebot !

Der Krieg war beendet, und wir hatten ihn verloren.

Jetzt überstürzten sich die Ereignisse. Der Kaiser ging nach Holland, drüben im Vaterland schwang der Bürgerkrieg seine Geißel ... nur etwas machte uns stutzig: hier im Herzen Frankreichs herrschte kein Jubel, hier gab's keine rauschenden Siegesfeierlichkeiten. Nichts. Und sie hätten doch Grund genug dazu gehabt.

Die Zeitungen brachten uns die Erklärung. Unverhohlen sprach die Sorge vor dem Kommenden aus ihnen. Man glaubte, die Revolution würde die letzten Kräfte mobilmachen, jetzt würden die Arbeitermassen zur nationalen Verteidigung schreiten. Noch hielten sie das Waffenstillstandsangebot für eine Finte, und ihre Angst war größer als die Freude über einen Sieg, dem sie noch nicht trauten.

Drei Tage blieb das so. Dann erkannten auch sie, daßdiese Revolution nicht letzten, verzweifelten Widerstand bedeutete wie im Jahre 1870 in Frankreich, sondern die restlose Selbstaufgabe eines Volkes war, das nichts mehr wissen wollte von Kampf und Verteidigung, das den nationalen Gedanken totgeschlagen und vernichtet hatte. Nur Frieden wollte man, Frieden um jeden Preis. Und Brot, und zu Weihnachten zu Hause sein ...

Jetzt brach ein frenetischer Jubel herein. Wochenlang wurde gefeiert. Mit Musik, mit lustig in die Luft prasselndem Feuerwerk. ——Wir aber saßen in diesen grauen Novembertagen still, in uns verkrochen, in unserem Lager. Wir trauerten um die Heimat und konnten nicht fassen, wie dieses Unglück über Deutschland hereingebrochen war.

Nun freute uns der Gedanke nicht mehr, daßder Frieden kam, daßman uns in die Heimat zurückschicken würde. Vielleicht behandelte man uns, nachdem die Feindseligkeiten eingestellt worden waren, auch besser ... Aber darin täuschten wir uns gewaltig. Jetzt erst erlebten wir die schlimmste Zeit unserer Gefangenschaft.

Alle Vergünstigungen, die auf gegenseitigen Abmachungen beruht hatten, fielen fort, seit es keine französischen Gefangenen, um deren Schicksal man besorgt war, mehr in Deutschland gab. Das Essen wurde noch schlechter, und von Tag zu Tag sank unser Mut, wenn wir neue Meldungen aus Deutschland bekamen, die in den französischen Blättern in ganz besonders gehässiger Weise wiedergegeben wurden.

Schließlich wußten wir überhaupt nicht mehr, was drüben in der Heimat los war. Wir erfuhren nur, daßman uns gräßliche Bedingungen gestellt hatte und daßwir sie angenommen hatten. Um uns noch mehr zu quälen, verfielen die Franzosen auf einen besonderen Trick. Die alten Bewachungsmannschaften wurden abgelöst und durch Soldaten ersetzt, die in Deutschland gefangen gewesen waren. Die sollten sich jetzt an uns schadlos halten.

Aber —genau das Gegenteil trat ein: diese zurückgekehrten Gefangenen, die in Deutschland sehr gut behandelt worden waren, viele Freiheiten genossen hatten und zum Teil auch deutsch sprachen, zeigten sich dankbar für das, was ihnen in unserem Vaterlande widerfahren war. Sie teilten ihre Zigaretten mit uns und räumten uns viele Vergünstigungen ein, die eigentlich verboten waren. Leider blieben sie nicht lange bei uns. Sie wurden rasch wieder abgelöst, als sich herausstellte, daßsie gar nicht daran dachten, uns zu quälen.

Der Winter verging. Die Friedensverhandlungen begannen. Ehe das Diktat, das man unserem Volke in Versailles aufzwingen wollte, unterschrieben war, sollten wir nicht freigelassen werden. Und dann ... dieses Friedensdiktat enthielt auch jenen schimpflichen Paragraphen der „Kriegsverbrecher", und so mancher der Lagerinsassen mußte fürchten, für Maßnahmen belangt zu werden, die er während des Krieges in seiner militärischen Stellung hatte treffen müssen.

Es war eine böse Zeit. Die Fluchtpläne waren begraben und vergessen. Man wußte ja nicht, was die Zukunft bringen würde. Aber als der Frühling kam und der Sommer, da brach auch der alte Wille wieder durch. Dort draußen außerhalb der Lagermauern winkte die Freiheit, und wenn es so weiterging wie bisher, würden wir noch lange Gefangene bleiben müssen.

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