FRIEDENSARBEIT

 

So plötzlich wie die Revolution über Deutschland hereingebrochen war, so überraschend kam auch für mich das neuartige Leben. Die ersten Tage in der Heimat   in Ulm, in Stuttgart und in Berlin - ich konnte es einfach nicht begreifen, ich verstand die Menschen nicht mehr. Sie regten sich über Nichtigkeiten auf, vergaßen über dem Kleinkram des Tages alles Große. Nur die Partei, nur das eigene Ich regierten. Hatte man sich damit abgefunden, daßDeutschland zu einer Nation zweiter Klasse geworden war ?

Auch bei meinem alten Pionierbataillon hatte sich vieles verändert. Ein großer Teil der Kameraden war nicht mehr zurückgekommen aus dem großen Völkerringen, und die meisten Aktiven hatten nach dem Zusammenbruch ihren Abschied genommen. überall herrschten noch völlig ungeordnete Verhältnisse, und niemand wußte so recht, welche Formationen weiterbestehen bleiben würden. Mir wurde, als ich mich zurückmeldete, die Aufstellung eines Scheinwerferzuges übertragen. Aber das dauerte nur ein paar Tage, denn ich erhielt kurz darauf die Mitteilung, daßich bei der württembergischen Polizeiwehr eine Polizeifliegerstaffel führen sollte. Da wir damals noch hoffen konnten, daß uns die Entente derartige Formationen gestatten würde

, nahm ich den Posten an und begab mich nach Böblingen, wo ich aus den dort herumliegenden Trümmern meine Staffel aufzubauen begann.

Das war keine dankenswerte Aufgabe; es gab viele Differenzen mit dem dort liegenden Reichswehrfliegerhorst, der in uns eine unerwünschte Konkurrenz sah. Ein harter und aufreibender Kampf begann nun für mich, wenigstens das Notwendigste für meine Staffel aufzutreiben, und als sich mir bei der Aufstellung des 150000-MannHeeres die Möglichkeit bot, wieder zur Truppe zu kommen, griff ich mit beiden Händen zu.

Bevor ich dann aber zur Reichswehr übertrat, machte ich noch die endgültige Auflösung unserer einst so stolzen Fliegerwaffe mit. Wir versammelten uns im Kriegsministerium zu Berlin, wo die Aufteilung der Formationen und die Überführung ihrer Angehörigen in andere Truppenteile verfügt wurde. Das war ein schwarzer Tag für uns deutsche Kriegsflieger: mit allen unseren Kräften hatten wir uns aufgelehnt und versucht, wenigstens etwas zu retten. Aber der Feind wünschte die Vernichtung unserer Fliegerei. Es half nichts —wir mußten uns dem Diktat fügen, denn das deutsche Volk war uneinig geworden und zerfleischte sich selbst, statt zusammenzuhalten ...

Kurze Zeit tat ich dann noch als Hauptmann beim Stabe einer Kraftfahrabteilung Dienst, bis man mich bei der Redu zierung unserer Reichswehr auf das 100000-Mann-Heer vor die Wahl stellte, Kraftfahrer zu bleiben oder zur Infanterie hinüberzuwechseln. Ich zog das letztere vor und kam zum Schützenbataillon des 13. Infanterieregiments nach Ludwigsburg, wo ich bald die 7. Kompanie übernahm. Als Kompaniechef hatte ich viel zu tun, denn wir brauchten wieder möglichst schnell vollwertige Truppenteile. Aber Spaßmachte diese Arbeit, und ich freute mich, wieder in der schwäbischen Heimat Soldat sein zu können.

Als meine Kompanie richtig zusammengestellt und durchgebildet war, fand ich auch Zeit, mich um etwas persönlichere Dinge zu kümmern. Ich war alt genug geworden und fand es an der Zeit, mir unter den Schönen des Landes die Schönste auszusuchen. Nach vielen Irrfahrten auf diesem Gebiet landete ich schließlich bei meinem Peterle; aber so einfach, wie ich mir das vorgestellt hatte, ging die Heiraterei doch nicht. Ein Mädchen, das zu heiraten es sich lohnte, hatte ich wohl gefunden, es mußten jedoch noch eine ganze Reihe von Hindernissen überwunden werden, ehe ich ans Ziel kam.

Um keinen Irrtum aufkommen zu lassen, erklärte ich dem Peterle gleich am zweiten Tage unserer Bekanntschaft frisch und fröhlich, daßich sie heiraten wolle, ohne zu erwarten, daßmir die junge Dame, die gerade aus der Pension gekommen war, gleich begeistert um den Hals fiel. Gut Ding will Weile haben ... das wußte auch ich, aber ich sagte mir, daßes gut sei, wenn sie von Anfang an wüßte, was ihr bevorstünde. Vorsichtshalber hatte ich —allerdings ohne ihr Wissen auch ihren Eltern geschrieben, welches Attentat ich auf ihr Töchterlein beachsichtigte.

Wenn ein so alter Krieger wie ich sich etwas in den Kopf setzt, dann versteht er auch, den Hebel an der richtigen Stelle anzusetzen, und da der Frontalangriff hier nicht am Platze schien, beschloßich einen Umgehungsversuch zu machen, um, wenn auch auf Umwegen, doch die belagerte Festung zu erobern. Nun —das ist mir schließlich auch gelungen.

Mitten in der Inflation feierten wir unser Hochzeitsfest, und wenn ich nicht auf der anschließenden Hochzeitsreise trotz des „jungen Glücks" einen kühlen Kopf behalten und gleich in Innsbruck die Rückfahrkarte gekauft hätte, dann wären wir bestimmt nicht wieder nach Haus gekommen. Es waren schon verrückte Zeiten, die wir damals durchlebten. Ein Trost, daßich einen Zentner Mehl und zwanzig Pfund Butterschmalz mit in die Ehe gebracht hatte und immer in der Lage war, von einem Metzger auf der Schwäbischen Alb stabile Dauerwürste zu besorgen, —sonst wäre Schmalhans oft bei uns Küchenmeister gewesen.

Weit, weit hinter mir lag die Fliegerei. Nur manchmal, wenn die Fachzeitschriften kamen oder ich mit den alten Kameraden zusammentraf, regte sich in mir der Wunsch, wieder einmal hinter dem brausenden Propeller hoch in der Luft durch die dunkle Nacht zu ziehen. Aber der Pakt von Versailles hatte unsere militärische Fliegerei zerschlagen, und nur sehr zaghaft und unsicher begann man, aus ihren Trümmern einen zivilen Luftverkehr aufzubauen.

Uns Kriegsflieger hatte das Schicksal auf andere Posten gestellt. Uns waren die Hände gebunden. Jedoch vergessen ... das konnten wir nicht; wir blieben sprungbereit, denn einmal mußte ja der Tag kommen, an dem die Nachtraben wieder aufstiegen zum nächtlich dunklen Himmel. Vier Jahre führte ich meine Kompanie, vier Jahre war ich glücklich als Soldat, aber mit tausend Fäden zog es mich doch immer wieder zur Fliegerei, die keinen losläßt, der ihr einmal verfiel.

Im Jahre 1923 traf ich mit Gotthart Sachsenberg zusammen, dem Manne, der den Junkers-Luftverkehr aufzog und in richtiger Erkenntnis der Erfordernisse eines wirtschaftlichen Verkehrsflugbetriebes auch an die Einführung des Nachtfluges dachte. Unter seinen zähen Händen erhob sich allen Widerständen zum Trotz aus den Trümmern von Versailles etwas Neues. Die furchtbare Vernichtungswaffe des Weltkrieges wurde friedlicheren Aufgaben dienstbar gemacht. Als ich ein Jahr später von Ludwigsburg nach Ulm zu den Pionieren versetzt wurde, beteiligte sich mein Bataillon an einer Übung in Klausdorf bei Zossen. Von dort aus besuchte ich Sachsenberg in Berlin, und wir kamen überein, den Versuch zu machen, die erste deutsche Nachtflugstrecke einzurichten.

Anschließend an die Klausdorfer Wasserübung nahm ich den mir zustehenden Sommerurlaub, den ich später sogar um vierzehn Tage verlängern ließ, und arbeitete bei Junkers-Luftverkehr. Wenn meine neue Tätigkeit auch viel Ähnlichkeit mit dem Dienst draußen im Felde hatte, denn viele alte Fliegerkameraden schafften mit uns zusammen, so war es doch ein ganz anderes Arbeiten als im straffen militärischen Betrieb. Man war freier und selbständiger, aber dafür strengte der Dienst um so mehr an. Ich war selig, wieder in der Luftfahrt tätig zu sein und freute mich, daßich zusammen mit meinem Nachfolger im Felde, dem Hauptmann v. Schröder, der dann leider im Jahre 1929 beim Rückflug von den Kanarischen Inseln gemeinsam mit meinem tüchtigen Flugzeugführer Albrecht bei Neuruppin im Nebel strandete und verbrannte, hier den ersten Grundstein zur Entwicklung des Nachtflugverkehrs legen durfte.

Leider ließen sich die organisatorischen Vorbereitungen auf dieser ersten Nachtstrecke, die von Berlin zunächst bis nach Warnemünde führen sollte, nicht so rasch bewerkstelligen, wie ich gehofft hatte. Wochenlang war ich auf meinem Fahrrad durch die Mark und das mecklenburgische Seengebiet gefahren, um die notwendigen Vorbereitungen zu treffen, Streckenlichter zu placieren und brauchbare Notlandeplätze auszukundschaften. Viel zu rasch ging mein Urlaub vorüber. Ich erlebte nur die allerersten Flugversuche, die dann nach meiner Rückkehr zur Truppe sehr bald wieder eingestellt wurden.

Die freiwillige Betätigung während der Urlaubstage hatte mir einen Weg in die Zukunft gewiesen. Die Entwicklung des zivilen Nachtflugverkehrs war eine Aufgabe, die ich gern gelöst hätte. Blieb ich weiter Soldat, so hatte ich wohl die besten Aussichten, bei der Reichswehr weiterzukommen, aber die Möglichkeit, fliegerisch tätig zu sein, fiel vollkommen fort. Die Liebe zur Fliegerei und das Bewußtsein, daßich im Dienste des Luftverkehrs wertvolle Arbeit zu leisten vermochte, waren stärker als die Bande, die mich an die sichere militärische Position fesselten. Mein Entschlußstand fest: wenn sich mir eine Gelegenheit bieten sollte, würde ich mich ganz der Luftfahrt verschreiben. Schon im nächsten Frühjahr war es soweit, nur mußte ich dazu noch einmal rasch nach Berlin fahren, um dort mit den maßgebenden Stellen Fühlung zu nehmen.

Mein damaliger Kommandeur zeigte für meine Pläne und Absichten keinerlei Sympathien. Er wollte es nicht, daßich mich einstweilen zur Fliegerei beurlauben ließ, und da er mir selbst für die kurze Reise schwerlich Urlaub erteilt hätte, verschwand ich still und heimlich nach einer Geländeübung, die in der Nähe von Ludwigsburg stattfand. Ich setzte mich in den D-Zug, fuhr nach Berlin und war zur rechten Zeit wieder in Ulm. Niemand hatte diesen Ausflug bemerkt: nur die Dienststellen, mit denen ich in Berlin verhandelt hatte, erwähnten ihn zufällig in einem Schreiben an meinen Kommandeur.

Er ließmich kommen, um mir gründlich den Kopf zu waschen. Seltsam —da stand ich wieder einmal vor meinem Pionierkommandeur in dem alten und mir recht vertrauten Dienstzimmer, und wieder fielen fast die gleichen Worte, die ich im Jahre 1914 zu hören bekommen hatte, als ich       auch damals durch mein eigenmächtiges Handeln —meine Versetzung zur Fliegerei durchzusetzen versuchte. Mein Kommandeur sprach mir sein „tiefstes Mißfallen" aus, aber in dem Kampf mit den militärischen Dienststellen siegte ich schließlich doch.

Im April verabschiedete ich mich von meiner Kompanie, verließdie Kaserne in meiner Geburtsstadt Neu-Ulm und zog nach Berlin, wo ein gewaltiges Schaffen begann, dessen Erfolg sich bald zeigte, als die erste Nachtstrecke Berlin—Warnemünde—Stockholm sich glänzend bewährte. Nun reichte ich meinen endgültigen Abschied ein. Er wurde mir bald bewilligt, und jetzt war ich der Fliegerei wieder mit Haut und Haaren verschrieben. Wenn ich an die erste Zeit der Aufbauarbeit zurückdenke, so möchte ich fast sagen, daßsie der schönste Teil meiner fliegerischen Tätigkeit gewesen ist. Ich konnte frei und selbständig arbeiten, und die großen Fortschritte, die der Nachtflug in diesen Monaten machte, waren der schönste Lohn für die durchwachten Nächte und die Tage, die ich auch nicht schlafend verbrachte.

Sachsenberg unterstützte mich in jeder Hinsicht; auf dem Flughafen Tempelhof, wo nun ein paar Bretterbuden als Vorläufer der heutigen Pracht standen, fand ich viele tüchtige Mitarbeiter, und wir fügten Stein auf Stein, um den Aufbau des Nachtfluges, der in bezug auf Sicherheit dem am Tage abgewickelten Verkehr in nichts nachstehen sollte, zu vollenden.

Leicht war es nicht im Anfang. Immer wieder quälte uns die Sorge um die Wirtschaftlichkeit des Betriebes und die Herbeischaffung der notwendigen Mittel. Was uns an Gelde fehlte, ersetzten wir durch den guten Willen und die Hingabe an die gemeinsame Arbeit.

Als ich damals mein Amt als Nachtstreckenleiter antrat, kam ein kleiner, untersetzter Mann auf mich zu, in dessen klugen und verständigen Augen die ganze Hoffnungslosigkeit unseres jungen Unternehmens zu lesen war. Der Werkmeister Goller musterte mich mißtrauisch und erklärte : „In vierzehn Tagen ist der ganze Zauber hier aufgeflogen!" Das war die Begrüßung. Aber nach vierzehn Tagen war der Zauber nicht aufgeflogen, im Gegenteil, wir kamen vorwärts, und der kleine Pessimist ist mir im Laufe der Zeit ein guter Freund und ein treuer Helfer geworden, nachdem er sein angeborenes Mißtrauen begraben hatte. Wäre der Meister Goller nicht gewesen, wir hätten so manches Mal Bruch machen müssen, denn er war es, der die Motoren unserer Nachtmaschinen betreute, die wichtigsten Teile unserer Maschinen, auf die sich gerade der Nachtflieger ganz besonders verlassen muß.

Goller hat damals schnell umgelernt und erkannt, wie notwendig der Nachtflug für die Verkehrsfliegerei ist. Aber nicht nur er, auch die Piloten zeigten anfangs wenig Neigung, unter die „Nachtschwärmer" zu gehen. Wer 1924 die ersten Versuchsflüge mitgemacht hatte, war laurig geworden, und von den alten und bewährten Verkehrsfliegern dachte niemand daran, zum Nachtflug mit seinen Unbequemlichkeiten hinüberzuwechseln. In der ersten Zeit mußte ich mich darum meist mit jungen neueingestellten Piloten begnügen. Noch heute bin ich glücklich darüber, daßwir trotz der mißlichen Verhältnisse im Anfang wenig Bruch machten. Keiner von denen, die mit mir arbeiteten, büßte bei diesen nicht ungefährlichen Versuchen sein Leben ein.

Bald waren jedoch die Kinderkrankheiten überstanden. Wir führten die Funkentelegraphie ein, stellten Richtungslichter auf, entwickelten besondere Nachtfluggeräte und richteten auf den Hilfslandeplätzen Flugwachen ein, die zur Abgabe von Wettermeldungen angehalten wurden. Sehr rasch schon bewies die Streckenstatistik, daßunsere Nachtstrecke ebenso regelmäßig zu befliegen war wie die Tageslinien. Nun wandte sich das Blatt, und als die Direktion in richtiger Erkenntnis der Wichtigkeit des Nachtfluges die Kilometergelder für Nachtflüge verdoppelte, befreundeten sich auch die alten und bewährten Flugzeugführer mit dieser neuen Sparte des Luftverkehrs. Heute ist es so, daßnur die besten und verdientesten Piloten beim Nachtflug Verwendung finden.

Neben unseren bewährten offenen Junkers-Flugzeugen erprobten wir auch reine Verkehrsmaschinen. Schon gegen Ende der Flugsaison 1925 stellten wir die erste dreimotorige Junkers G 24 in Dienst, die sich ganz besonders bewährte. Als im Jahre darauf Junkers-Luftverkehr mit dem Aero Lloyd zusammengeschlossen wurde und die neugeschaffene Deutsche Luft Hansa die Durchführung des gesamten deutschen Luftverkehrs übernahm, bekam ich dort die Nachtflugleitung. Was nun kam, war eigentlich nicht mehr so schwierig. Der Grund war gelegt, die notwendigen Erfahrungen waren vorhanden, und bis heute hat sich kaum etwas wesentlich geändert. Daßder Ausbau des Streckennetzes vorwärts ging, daßdie technischen Hilfsmittel Schritt hielten mit der immer weiterstrebenden Funktechnik, daßdie Nachtfluggeräte und Landebeleuchtung verfeinert wurden, das war eine zwangsläufige Entwicklung, nachdem sich der Nachtflug durchgesetzt hatte.

Aber Nachtflug ohne Nebelflug blieb eine halbe Sache. Hier mußte ich also meine Arbeit fortsetzen, und Schritt für Schritt, wie ich den Nachtflug entwickelt hatte, wollte ich jetzt den Nebelflug, der für die Regelmäßigkeit des Verkehrs von größter Bedeutung ist, als Ergänzung meines bisherigen Schaffens einführen. Jedoch ... meine Vorschläge fanden bei der neuen Gesellschaft wenig Verständnis. Meine Stellung machte im Laufe der Zeit einen Wandel durch. Ich flog kaum noch und mußte meine Tage am Schreibtisch verbringen.

Das war ein böses Leben. Ich wollte doch helfen, unsere Fliegerei vorwärts bringen, wirklich positive Arbeit leisten und mußte statt dessen Akten führen und Berichte schreiben. Sehr ernsthaft spielte ich mit dem Gedanken, meinen Posten aufzugeben und mir ein anderes Tätigkeitsfeld zu suchen. Aber wo ? —In Deutschland war dies kaum möglich. Und in Amerika ...2 Nein, davon hielt mich wieder meine Liebe zum Vaterland ab, denn ich wollte nicht mir, sondern der deutschen Fliegerei helfen.

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