Der erste Versuch mit zwei Flugzeugen — Durch Blitz und Donner — Zurück — Ein neuer Versuch — Warten

 

Mit dem Fluge Colonel Lindberghs von New York nach Paris hat die Geschichte des Verkehrs eine neue Seite begonnen. Was erträumt und von unendlich viel Leuten ersehnt war, ist damit zum erstenmal Wirklichkeit ge­worden: die erfolgreiche Überquerung des Ozeans. Waren Nungesser und Coli, die unvergeßlichen beiden Pioniere des Ozeanfluges, in ihrem letzten Erfolge auch nicht glücklich gewesen, so werden ihre Namen doch als diejenigen der Männer ewig fortleben, die an die Möglichkeit des Ost-West-Fluges zuerst glaubten und diesen Glauben mit ihrem Leben bezahlten. Seit Colonel Lindberghs wundervollem, exaktem Flug, der um so höher zu bewerten ist, als es sich hier um die Tat eines einzelnen Mannes handelte, der mit sich und seinem Glauben allein war, ist aber dennoch eine geraume Zeit vergangen, ehe neue Kräfte sich regten, um seinem Bei­spiel zu folgen.

Nachdem wir in Deutschland den Besuch der „Miß Co­lumbia" mit Chamberlin und Levine erlebt hatten, trat das Problem, das schon nach dem geglückten Finge Eckeners im Jahre 1924 akut geworden war, wieder scharf in den Vorder­grund des Interesses. Die Schwierigkeiten des Fluges von Osten nach Westen waren bekannt. Man war sich darüber klar, daß der Aktionsradius der für diesen Flug zu be­nutzenden Maschine erheblich größer sein mußte, als der

eines Flugzeuges, das in entgegengesetzter Richtung seinen Weg machte. Die Erdumdrehung in östlicher Richtung scheint — diese Ansicht wird von vielen Gelehrten ver­treten — die westlichen Winde auf dem Ozean zu der vor­herrschenden Luftströmung zu machen. Die Brennstoffe für eine in der Ost-West-Richtung fliegende Maschine müssen, wenn diesen Tatsachen Rechnung getragen werden soll, er­heblich größer sein, als die eines in umgekehrter Richtung startenden Flugzeuges. Nicht auf die Zahl der Kilometer, sondern auf die Zahl der Stunden kommt es an, die ein solches Flugzeug in der Luft bleiben muß, da durch die Ge­genwinde mit einer Verzögerung bis zu 100 Prozent und darüber hinaus gerechnet werden muß.

Im Frühling des Jahres 1927 schien es für einige ein­geweihte Kreise festzustehen, daß eine solche Maschine in der ursprünglich für Frachtzwecke gebauten Junkersmaschine W 33 vorhanden sei. Dieses Flugzeug, das als Wassermaschine gedacht war, konnte auf Räder gesetzt werden und dann, sofern eine geeignete Startbahn vorhanden war, erheblich mehr Brennstoff und Last schleppen, wie als Wasser­maschine. Die starke Saugwirkung des Wassers und die um­fangreichen Schwimmer hätten den Start einer in gleicher Weise beschwerten Maschine unmöglich gemacht. Ganz ab­gesehen davon vermindern durch den verstärkten Luftwider­stand die Schwimmer die Geschwindigkeit der Maschine nicht unerheblich. Die Aussichten für das Landflugzeug waren deswegen die bedeutend günstigeren. Hinzu kam, daß Professor Junkers soeben einen Motor konstruiert hatte, der zu den besten Hoffnungen berechtigte. Die Type L 5 seiner bisherigen Motoren war statt des üblichen Verdichtungs­verhältnisses von 1 : 5% in 1 : 7 umgeändert worden. Die für einen Ost-West-Flug erforderlichen Voraussetzungen schie­nen damit gegeben. In aller Stille wurden in Dessau die Vor­bereitungen getroffen. Die Auswahl der Piloten spielte natur­gemäß eine große Rolle. Erfahrungen im Nachtflug und Beherrschung der Navigation waren Voraussetzungen, die un­bedingt erforderlich waren. Der älteste Pilot im Nachtflug­betrieb war Köhl. Nach seinen Erfahrungen und Intensionen war der Nachtflugbetrieb der Junkers-Flugverkehr G.m.b.H. aufgezogen worden und nach der Verschmelzung dieser Ge­sellschaft mit der Luft Hansa war er als Leiter der Nachtflug­abteilung der Deutschen Luft Hansa tätig. So erschien er als der gegebene Mann für diesen Flug.

Ich hatte mich mit dem Problem des Ozeanfluges schon jahrelang beschäftigt und hörte durch meinen Freund, Dr. von Hodenberg, von den Dessauer Vorbereitungen. Per­sönliche Rücksprachen in Dessau führten dazu, daß ich unter Garantie des Norddeutschen Lloyd und der Darmstädter Nationalbank in Gemeinschaft mit dem Bremer Flieger Con­rad Edzard ein Flugzeug dieses Typs charterte.

Als Mann der Wissenschaft und der Praxis zugleich, hatte Professor Junkers die Bedingung gestellt, daß vor dem Antritt des Ozeanfluges ein Dauerrekord -Versuchsflug mit einer Maschine des für den Amerikaflug besonders einge­richteten Flugzeuges ausgeführt werden mußte. Inzwischen hatte die Hearstpresse ein weiteres Exemplar dieses Flug­zeugtyps gechartert und sich mit mir über einen gleich­zeitigen Start geeinigt. Die Namen dieser beiden Flugzeuge waren „Bremen" und „Europa". Im Juli des Jahres 1927 starteten beide Maschinen zu dem in Aussicht genommenen Dauerrekord. Die Besetzung des Flugzeuges war dieselbe, wie sie für den bevorstehenden Ozeanflug sein sollte. In der „Bremen" saßen Köhl und der Pilot der Dessauer Junkers-werke Lohse, während Edzard mit dem Junkerspiloten Risticz die andere Maschine teilte. Knickerbocker, der als Vertreter Hearsts in der „Europa" mitfliegen sollte, und ich, der den Flug in der „Bremen" antreten sollte, machten diesen Rekord­versuch nicht mit, um jede unnötige Belastung zu vermeiden. Die „Bremen" mußte wegen Motordefektes nach dreistün­digem Flug landen, wobei Köhl, der die Maschine vor der Landung von dem überflüssigen Benzin entlasten wollte, durch die ausströmenden Gase betäubt, sich schwere Ver­brennungswunden zuzog, da er beim Ohnmächtigwerden auf den mit Benzol gefüllten Boden der Maschine fiel. Die „Eu­ropa" erreichte den Rekord mit 52 Stunden und damals glaubte man, daß die Überquerung des Ozeans von Ost nach West gesichert sei.

Am 14. August starteten beide Maschinen. Die „Europa" geriet schon über der Nordsee in schweres Wetter, machte eine Notlandung in Bremen und wurde schwer beschädigt, während die Insassen der Maschine unverletzt davonkamen. Die „Bremen" mit Lohse, Köhl und mir an Bord setzte ihren Flug bis hinter Irland fort. Von dem damaligen ersten Flug­versuch der „Bremen" zeigt mein nachfolgender Bericht, der unmittelbar nach der Rückkehr nach Dessau geschrieben worden ist.

Eine kurze Abschiedsfeier im Verwaltungsgebäude der Junkers-Flugzeugwerke fand statt. Ministerialrat Branden­burg, Professor Junkers, Geheimrat Stimming reden kurze, schlichte und doch zu Herzen gehende Worte. Das Auto wartet. Mit Direktor Sachsenberg fahren wir weg zur Start­bahn. Die Besatzungen der beiden Flugzeuge tauschen gegen­seitig noch einen kurzen und herzlichen Händedruck. und wir nehmen unsere Plätze in der „Bremen" ein. Der Motor läuft mit Vollgas, und schon geht es über die Startbahn dahin und wenige Sekunden später sind wir mehrere Meter über dem Boden. Der Start war geglückt, trotz der großen Be­lastung, die die „Bremen" bisher geschleppt hat, und durch die schützende Kappe und die Oropaxschutzhülle der Ohren hindurch höre ich Köhl einen naturgetreuen Jodler in die Lüfte senden. Der Flug in die Weite hatte begonnen.

Nur ganz langsam schraubte sich die Maschine in eine größere Höhe hinauf. Aber selbst diese war nicht so bedeutend, daß man nicht das sonntäglich schlummernde Deutsch­land unter sich mit Klarheit erkennen konnte. Die Nachricht von dem Abflug unserer Maschine muß sich ziemlich schnell verbreitet haben; denn bei Magdeburg z. B. sah ich zahlreiche Ausflügler auf einem kleinen Hügel zusammengedrängt, die eifrig nach uns ausspähten und uns mit lebhaftem Winken begrüßten. Wir nahmen ja mit uns ihre Hoffnungen, und wir fühlten uns mehr denn je als ein Teil des deutschen Volkes und waren entschlossen, nach besten Kräften zu tun, was in unserer Macht stand, um den deutschen Namen mit Ehren zu tragen.

In der Tasche meines Rockes, der vor mir hing, knisterte ein Papier. Ich ziehe es heraus und sehe die guten Wünsche Paul Königs, des Führers des U „Deutschland". Wenige Mi­nuten vor dem Start war dieses Telegramm in meine Hände gelangt, das uns allen das beste Gelingen wünschte. Von Bord der „Bremen" wandern aber meine Gedanken nach der alten Hansestadt mit ihren wundervollen alten Türmen, mit ihren märchenhaft schönen Giebeln zurück. Hanseatengeist vermählt sich mit dem Junkersgeist, um hilfreich unsere Pläne zu unterstützen und zu fördern.

Einsam sinkt der Abend auf Deutschland herab. Noch einmal grüßen uns die schönen grünen Wälder. Leise ver­schwinden sie im Zwielicht und schon beschatten Wolken den Horizont vor uns. Der von Wolken verhüllte Himmel, durch den nur hier und da der stille weiße Vollmond sein Licht werfen kann, wird jetzt von lodernden Blitzen erhellt. Köhl und Lohse sind nicht gerade erbaut über das Gewitter, das mir vom künstlerischen Standpunkt aus einen besonderen Genuß gewährt. Vielleicht denkt Bressler, der mit Schnäbele zusammen die Begleitmaschine „G 31" führt, in diesem Augenblick an einen der aufregenden Flüge, die ich mit ihm zusammen gemacht habe. Ich war Anfang September 1925 nach einer Magenoperation aus der Klinik in Bremen ent­lassen worden und wollte mich bei meinen Eltern etwas er-

holen. Man hielt mich für verrückt, daß ich vom Kranken­hause unmittelbar auf den Flugplatz fuhr. Aber des Men­schen Wille ist nun einmal sein Himmelreich, und wem es das Fliegen angetan hat, kommt in keiner Stunde des Lebens von seiner Passion ab. Die nach Berlin verkehrende „F 13" war voll besetzt, aber mein Lieblingsplatz neben dem Piloten noch frei. Eine halbe Stunde nach dem Start kamen wir in zwei aufeinanderstoßende Gewitter hinein. Regen prasselte herab und verwandelte den Tag in tiefschwarze Nacht. Um uns zuckten Blitze und während ich meine alte Lieblings­beschäftigung als „Franz" übernehmen durfte und die Karte übersah, steuerte Bressler mit sicherer Hand durch das Ge­witter hindurch die wackere Junkersmaschine. Als wir uns wieder hier auf dem Platz trafen, galt das erste Wort, das Bressler mir sagte, den Erinnerungen an diesen Flug, der uns unwillkürlich beide einander näher gebracht hatte.

Vielleicht war diese Begegnung, die nun fast zwei Jahre zurückliegt, der Auftakt zu dem, was ich in diesen Tagen wieder durchleben sollte. Böe über Böe erschien und brauste um uns. Prasselnd schlug der Regen an die Maschine und Blitz um Blitz zuckte vom Himmel auf das Meer herab. Lohse und Köhl ließen sich nicht beirren. Ihr Wille ging als selbst­verständliche Ausstrahlung auf mich über. Wir werden es schon schaffen!

Englands Lichter leuchteten auf. Der mustergültig er­hellte Militärflugplatz blieb dicht unter uns. Der Sturm, der schon auf der Nordsee begonnen hatte, wächst von Mi­nute zu Minute. Unsere „Bremen" führt einen wahren Höllen­tanz auf. Aber der Wille ihres Erbauers vermählt sich mit dem ihrer Piloten. So schreitet die Nacht vorwärts. Wird ihr ein besserer Morgen folgen? Die Voraussagen erfüllen sich nicht. Statt abzuflauen, steigt der Sturm auf Windstärke elf bis zwölf. Englands und Irlands Küste, an der ich oft genug auf einem unserer Lloyddampfer vorübergefahren bin, habe

ich niemals derartig umtost gesehen, wie in diesen frühesten Morgenstunden.

Nun habe ich noch Zeit, einen Blick auf die schimmernde Insel zu werfen, über die Nebel und Wolken prasselnd hin-jagen. Vom Himmel herab sieht man erst, wie grün dieses Land ist. Man bekommt, ohne daß man sich selbst im Augen­blick darüber Rechenschaft geben kann, das Gefühl dafür, daß dort eine Bevölkerung lebt, die mit zäher Inbrunst an ihrem Mutterlande hängt, eine Bevölkerung, die mit Wind und Wetter täglich und stündlich zu kämpfen hat und die deswegen so fest mit ihrer Eigenscholle, mit ihrem Boden verbunden ist, wie unsere Grenz- und Inselvölker mit der ihren.

Wir müssen umkehren!

Noch haben wir die Hoffnung nicht aufgegeben. Wir versuchen den Sturm zu umgehen, nehmen südlicheren Kurs, um allen Wettern zum Trotz nach dem Ziel durchzu­stoßen. Vergeblich! Am frühen Morgen, da wir den Atlanti­schen Ozean erreicht haben, da die Maschine ihren wildesten Tanz begonnen hat und die Elemente toben, wie ich es in meinem Leben noch nicht erfahren habe, reicht mir Köhl einen Zettel, auf dem die lakonischen Worte stehen: „Wir können bei diesem Gegenwind nicht damit rechnen, Neu­fundland zu erreichen. Wir kehren nach Dessau zurück."

Ein einziges Wort kam unwillkürlich von meinen Lip­pen, als ich diese Nachricht, die mir nicht einmal über­raschend kam, las. Ich kann es nicht wiedergeben, denn es steht in keinem Lexikon der deutschen Sprache, aber es kennzeichnet, glaube ich, das Gefühl, das Lohse, Köhl und mich beseelte. Und trotzdem: keinen Augenblick war einer von uns im Zweifel, daß hier das Richtige geschah. Wir waren nicht aufgestiegen, um Abenteuer zu erleben, die viel­leicht zu einem guten Ende führen konnten, wir wollten siegen. Dazu gehört, daß man sich erst selber in die Zucht nimmt und daß man kein törichtes Wagnis eingeht, das

einem die Möglichkeit zum Siege für immer aus der Hand nimmt. Also den Kurs heimwärts gerichtet, für heute! In diesem Augenblick, da der Entschluß gefaßt war, lieber die unversehrte Maschine zurückzuführen und abzuwarten, in diesem Augenblick waren wir alle drei uns darüber klar, daß dieser erste Anlauf nicht der letzte gewesen sein dürfte.

Der Rückflug hatte begonnen. Auch er war ein einziger großer Kampf mit den Elementen, ein Kampf, der vielleicht die Nervenkraft der Führer mehr belastete als der Hinflug. Aber kein Schwanken hat sie überfallen. Der alte Junkers-geist, von dem ich wiederholt gesprochen habe, blieb auch diesmal siegreich; denn er half, der Pflicht gehorchen und das Menschenmöglichste tun, ohne durch das Wagen des Unmöglichen eine pflichtmäßig gestellte Aufgabe aufs Spiel zu setzen.

Die niederländische Küste tauchte auf. über Noordwyk und Scheveningen, die mir wohlvertrauten Badeplätze, geht der Weg. Wie oft habe ich bei lieben Bremer Freunden im Sommer 1919 schöne Stunden der Erholung gerade in Noord­wyk erlebt. — Wir sind allmählich in das Gebiet des Rücken­windes gekommen. In schnellem Fluge jagen wir über die Länder und wieder schimmert unter uns der deutsche Wald. Weiß man da unten wohl schon, was aus uns geworden ist? Und vor allem: Wie mag es den Kameraden in der „Europa" ergangen sein? Diese Frage quält uns vielleicht am mei­sten; denn wir haben das andere Flugzeug bei Be­ginn des Gewitters aus den Augen verloren. Dort wie hier ist derselbe Geist, der keine wahnsinnigen Speku­lationen zuläßt. Und trotzdem steigt die innere Un­ruhe, die erst später durch die Gewißheit gebannt wurde. Plötzlich dreht sich Lohse zu mir und zeigt mir seine fünf gespreizten Finger. Noch fünf Minuten und wir sind unversehrt gelandet. Man drückt uns die Hand. Die erste Frage galt der „Europa" und wir erfahren zu unserer aller Erleichterung, daß auch sie in Bremen gelandet ist, daß die Besatzung heil in einer Sondermaschine auf dem Wege nach Dessau ist.

Man wird auch in Amerika drüben uns das vergebliche Warten nicht verübeln; jenen Pionieren, die zuerst den Flug von Kontinent zu Kontinent mit der Maschine angetreten haben, hoffen wir in ihrem Vaterlande dennoch in kurzer Zeit die Hände drücken zu können. Wann das sein wird, läßt sich im Augenblick nicht ersehen. Aber der Wille in uns allen lebt und ist wach; stärker vielleicht, denn zuvor haben wir gesehen, daß wir uns auf unsere Maschinen verlassen können und wir haben das Bewußtsein, daß auch dieser 23-Stunden­Flug durch Nebel, Nacht und Sturm wieder ein Stück weiter gewesen ist in der Erfahrung, die uns dem endgültigen Ge­lingen nur näherbringen kann.

Über den Ozeanflugversuchen des Spätsommers 1927 schien ein Unstern zu walten. Ein neuer Startversuch der „Bremen" wurde durch die ungünstige Witterung immer wieder verhindert, und zahllose Todesopfer kennzeichnen den ergebnislosen Weg, den die Pioniere dieser Zeit unter Hintan­setzung ihres eigenen Lebens gegangen sind. Mit diesen To­desopfern zugleich trat aber in der gesamten Welt ein Um­schwung gegenüber der bisherigen Meinung ein. War noch im Hochsommer die Begeisterung für den Flug allgemein und nachhaltig gewesen, so wurden jetzt erst schüchtern, dann aber durch den Widerhall, den sie fanden, gestärkt, immer lauter werdend die Stimmen derer wach, die von neuen Versuchen dringend abrieten. Allmählich ging man sogar dazu über, direkte Verbote derartiger Flugversuche zu fordern, um neue unnütze Opfer an Menschenleben zu vermeiden. Auch diese Frage wurde ernsthaft diskutiert, und so menschlich begreiflich diese Stimmung auch sein mag, sachlich berechtigt war sie unseres Erachtens nicht.

Jeder neue Verkehrsweg fordert eine gewisse Anzahl von Opfern, und wer derartige Unternehmen überhaupt beginnt, muß auf das Schlimmste gefaßt sein. Doppelt dankbar zu begrüßen war daher die öffentliche Erklärung Col. Lind­herghs, der denselben Standpunkt vertrat, den wir alle im Stillen hegten. Auch er gab offen der Meinung Ausdruck, (laß man nicht durch amtliche Verbote Versuche, die in ihrem Endeffekt auf den Fortschritt der Menschheit hin­zielten, verhindern könnte und sollte, selbst, wenn noch mehr Opfer gebracht werden müßten. Aber selbst seine Autorität vermochte über die allgemeine Stimmung nicht zu siegen, wenngleich anerkannt werden muß, daß es zu offi­ziellen Verboten Gott sei Dank in keinem einzigen Lande gekommen ist.

Ein einziges Flugunternehmen des Herbstes 1927 war ähnlich verlaufen, wie das der „Bremen". In Irland von dem Baldonnel Field aus war der schottische Kapitän McIntosh mit dem Kommandanten der irischen Luftstreit­kräfte Fitzmaurice gestartet. Die Maschine, die zu diesem Zweck benutzt wurde, hieß Prinzess Xenia und war ein Fokker-Hochdecker von 550 Pferdekräften. Nach Errei­chung des Ozeans geriet diese Maschine ebenfalls in eine unerhört ungünstige Wetterlage und wurde am 16. Sep­tember zur Umkehr gezwungen. Auch hier beendete eine glatte Landung den ersten ergebnislosen Versuch. Dieser Flug hatte eine ganz besondere Bedeutung für die spätere Entwicklung der Dinge. Die Augen der Welt, und damit auch die der deutschen Piloten, waren zum ersten Mal auf den irischen Flugplatz gelenkt worden, und man war sich ohne weiteres darüber klar, daß an eine schrittweise Lösung der Aufgabe gegangen werden mußte, wenn sie gelingen sollte. Gegegeben war zu diesem Zweck zunächst der Weg Irland—Neufundland.

Die Versuche der damaligen „Bremen"-Besatzung, schon im Herbst des Jahres 1927 die Fühlung mit Irland herzu-

stellen, scheiterten an allerlei widrigen Umständen, unter denen in erster Linie die fortschreitende Jahreszeit die Hauptschuld trug. Die Nächte wurden länger, die Tage unfreundlicher und hinzu kam, daß Lohse aus der Besatzung dadurch ausschied, daß er an einem anderen Unternehmen, das mit einer dreimotorigen Junkersmaschine, der Type G 24, die als Wassermaschine über die Azoren nach den Vereinigten Staaten fliegen wollte, teilnahm. Diese Teil­nahme geschah nach Rücksprache mit Köhl und mir. Wir sahen durchaus ein, daß ihm als alten Marinepiloten das Angebot, an dieser Expedition teilzunehmen, zu verlockend schien, als daß er es hätte ausschlagen können. Schwierig­keiten anderer Natur lagen in der Versicherungsfrage be­gründet, da nach der Rückkehr der „Bremen" die Ver­sicherungsprämie verfallen und eine neue in der kurzen Zeit, die überhaupt noch zur Verfügung gestanden hätte, schwer­lich zu beschaffen gewesen wäre.

Es kommen die Ereignisse des Winters 1927-1928. Die mißglückten Unternehmungen der kühnen amerikanischen Pilotin Ruth Elder, wie der beiden Wassermaschinen, die von Deutschland aus über die Azoren ihren Weg nehmen wollten, trugen dazu bei, die feindselige Stimmung gegenüber den Ost-West-Flugversuchen erheblich zu verstärken. Diese Stimmung führte dazu, daß sich auch diejenigen Kreise, die das Unternehmen der „Bremen" und „Europa" in Deutsch­land unterstützt hatten, nicht mehr entschließen konnten, neue Opfer zu bringen, die unbedingt nötig gewesen wären, und so waren Köhl und ich darauf angewiesen, die Wege für einen neuen Flugversuch aus eigenen Kräften zu ebnen.

Köhl übernahm die Vorbereitungen der technischen Seite des Fluges. Die Flügel hatten schon nach dem ersten Versuch auf seine Anregung hin sogenannte „Eselsohren" erhalten. Leichte Ansätze, die nach oben biegen, geben dem Apparat heute bessere Stabilität bei nicht verminderter Schnelligkeit. Auf Grund seiner Erfahrungen im Nacht-

und Nebelflug erprobte er persönlich alle in Frage kommen­den Instrumente. Von nicht zu unterschätzender Hilfe waren die Arbeiten, die von den Askania-Werken in Berlin und Dessau auf Grund der Flugerfahrungen des letzten Sommers geleistet worden waren. Ganz besonders gute Dienste leistete uns dann später der Askania-Wendezeiger, der einen sicheren Flug ohne Bodensicht bei Nacht und Nebel gewähr­leistet. Nebenher gingen die Versuche, die er neuerdings im Landen und Starten schwerer Maschinen machte, da wir von vornherein mit den Schwierigkeiten des Startes in aller­erster Linie zu rechnen hatten. Wir wußten, daß nach dem Gelingen des Startes ein nicht zu unterschätzender Teil der Arbeit geleistet sein würde; denn dieses Mal würde uns nicht eine mit großen Unkosten und Zeitverlust gebaute Asphaltbahn wie in Dessau im Sommer 1927 zur Verfügung stehen.

Die organisatorisch finanzielle Seite der Angelegenheit übernahm ich. Eigene Mittel standen mir zur Durchführung dieser Aufgabe nur in beschränktem Umfange zur Verfü­gung. Daß ich sie restlos für diesen Zweck verwandte, ver­steht sich von selbst, und hier setzte ein ziemlich heftiger Kampf ein. Nur unter großen Schwierigkeiten und nach Er­halt sehr vieler Absagen und Ablehnungen wurden die Mittel für den Ankauf der Maschine aufgebracht. In erster Linie waren es Bremer Kreise, die sich beteiligten, und im ganzen waren es elf Geldgeber, die kleinere Anteile leihweise und zinsfrei zur Verfügung stellten. Der Ankauf der Ma­schine selbst stieß noch auf gewisse Schwierigkeiten, da unter dem Druck der öffentlichen Meinung der Welt zu­nächst ein Verkauf seitens der Junkers-Werke nicht in Be­tracht zu kommen schien. Der weitblickenden Einsicht des greisen Gelehrten und genialen Unternehmers, Professor Junkers, blieb es dann vorbehalten, selber ein Machtwort zu sprechen, so daß die Maschine im Februar 1928 mein Eigen­tum war.

Die „Bremen" wurde sorgfältig überholt und stand ab März 1928 zum Start bereit. Vorher hatten Köhl und ich die Fühlung mit Irland dadurch aufgenommen, daß wir mit einem der besten Kenner Irlands, dem Abteilungsleiter des Norddeutschen Lloyd, Waldemar Klose, nach der grünen Insel fuhren und uns die Startplätze und Startmöglichkeiten ansahen. Diese Fahrt, die in den letzten Februartagen des Jahres 1928 mit dem Lloyddampfer „Dresden" vorgenom­men wurde, stand unter dem Zeichen des freundschaftlich­sten Entgegenkommens seitens der irischen Behörde und der irischen Bevölkerung. Der geographisch günstige Punkt Galway, der auch in Aussicht genommen war, mußte leider fallen gelassen werden, da auf dem ehemaligen Flugplatz zu große Kosten für die Herstellung einer Startbahn erforderlich geworden wären, ehe man daran denken konnte, mit einer Maschine zu starten, deren Gewicht erheblich über das Maß des Normalen hinausging. In Baldonnel lagen die Verhält­nisse anders. Hier fand man einen Platz, der mit einigen Verbesserungen den Ansprüchen selbst einer Ozeanmaschine für den Start genügen konnte, und man einigte sich darauf, in wenigen Wochen in Baldonnel zu erscheinen, um dann den Start von diesem Platz aus zu unternehmen.

Am 26. März fand dann vom Tempelhof er Feld in Ber­lin aus in aller Stille der Start der „Bremen" statt. Nur ganz wenige Zuschauer hatten sich eingefunden, darunter der frühere Fluggast der „Europa", Knickerbocker, der sei­nen alten Kameraden vom Sommer das letzte Lebewohl sagen wollte. Die heimlichen Vorbereitungen waren not­wendig geworden, weil, wie schon oben erwähnt, die Stim­mung, die sich gegen die Ozeanflüge bemerkbar machte, immer stärker geworden war. Wenn auch mit keinem direk­ten Verbot zu rechnen war, so konnte man doch Schwie­rigkeiten erwarten, die unter Umständen Verzögerungen hervorrufen konnten, die dem ganzen Flug verhängnisvoll zu werden drohten. In weiten Kreisen hatte man Köhl und mich in der Öffentlichkeit als nicht mehr normale Aben­teurer hingestellt, die einen Selbstmordversuch in moderner Weise zu vollführen gewillt wären. Allgemein bedauert wurde Köhl, daß er sich von dem vollkommen abnor­malen, abenteuerlustigen Hünefeld hatte ins Schlepptau neh­men lassen. Die Stimmung ist dann später wieder umge­schlagen.

Einen kurzen bangen Augenblick halte die Besatzung der „Bremen" noch zu überstehen, als die Maschine beim Rollen auf dem Startplatz für einen Augenblick in dein bisher gefrorenen und seit wenigen Tagen aufgetauten Boden stecken zu bleiben drohte. Die schnell hinzuspringenden Monteure der Junkers-Werke, die sich ebenso wie sämtliche Arbeiter, leitenden Ingenieure und Angestellte mit leiden­schaftlicher Hingabe in den Dienst der Sache gestellt hallen, hoben mit einem Ruck die rechtsseitig eingesunkene Maschine aus der gefährlichen Fahrrinne. Der Propeller kam auf Touren und um 8.30 Uhr war der Start gelungen. Die Besetzung der Maschine bestand bei diesem Start aus Köhl, dem Hilfspiloten Spindel und mir. An Brennstoff waren 700 kg Benzol an Bord.

Die ersten beiden Stunden des Fluges gingen glatt von­statten. Das Wetter war sichtig und heller Sonnenschein zeigte den Weg. Hinter Hannover änderte sich die Lage. Tiefziehende Wolken zwangen zum Hochgehen der Ma­schine. Hier bewies die Praxis zuerst, daß die Erfahrun­gen der Nebelflüge keine leere Theorie waren. Sicher zog unter Köhls Führung die Maschine ihre Bahn. Der Askania­ Wendezeiger bestand seine erste Feuerprobe vorzüglich. Hinter Amsterdam klarte sich das Wetter etwas auf. Es war aber immer noch sehr dunstig. Die Küste von Calais war nicht zu sehen, so daß der Überflug des Kanals wie im Nebel stattfinden mußte; das im trüben Wetter sich ge­waltig ausdehnende London war wieder deutlich sichtbar. Bald tauchte die irische See auf, und genau 9 Stunden nach dem Start landete die „Bremen" glatt und sicher auf dem Flugplatz in Baldonnel.

In diesem irischen Flughafen vollzog sich dann die endgültige Zusammensetzung der „Bremen"-Besatzung. Köhl und ich sind von unseren irischen Kameraden in einer Weise aufgenommen worden, die zu dem Schönsten gehört, was wir je in unserem Leben erfahren haben. Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften wetteiferten miteinander, jede nur mögliche Hilfeleistung und Gastfreundschaft zu ge­währen. Als dann das möglichst lang gehütete Geheimnis bekannt wurde, daß der Kommandant der irischen Luft­streitkräfte, Major Fitzmaurice, als Mitpilot der „Bremen" bei dem Ozeanflug fungieren würde, war es eigentlich kaum noch möglich, daß sich diese Sympathie und werktätige Hilfe vertiefte. Schwer waren für uns die Tage des War­tens, die folgten. Gleich nach der Ankunft der „Bremen" in Baldonnel hatte das recht günstig einsetzende Ozean­wetter umgeschlagen. Ein wenige Tage nach der Landung angesetzter Start scheiterte vor dem Beginn an der Beschaf­fenheit des völlig durch Regen aufgeweichten Bodens. Man muß diesen irischen Landregen selbst erlebt haben, um zu wissen, wag er bedeutet. Tag und Nacht ging er bei heu­lendem Sturm vom Himmel zur Erde hernieder, daß jeder Fußbreit des im Februar so fest und günstig erschienenen Bodens sich in Schlamm verwandelte. Es hieß warten. Diese Zeit des Wartens aber mußte mit Vorbereitungen ausgefüllt werden, die höchst wichtig waren, wenn man nicht der Will­kür des Zufalles preisgegeben sein wollte. Die ursprüng­liche Startrichtung von Ost nach West wurde fallen gelassen, da man in dieser Jahreszeit doch mehr mit Südwinden als mit Westwinden zu rechnen hatte. In der Nord-Süd-Rich­tung kam außerdem als besonders günstiges Moment die Tatsache hinzu, daß man zu Beginn der Startbahn zwischen zwei großen Hangars einen fest zementierten Platz von un­gefähr 40 m Länge hatte, der für das erste Anrollen recht

gute Dienste leisten konnte. über diesen Weg hinaus mußte eine Bahn gemacht werden, in der die gröbsten Unregel­mäßigkeiten durch fest eingestampfte Eisenbahnschwellen überbrückt wurden. Bei der Herrichtung der ersten in Aussicht genommenen Startbahn hatte es sich ergeben, daß eine mit Mühe und Kosten beschäftigte Dampfwalze mehr Unheil als Nutzen anrichtete, da sie das in dem Boden be­findliche Wasser nur an die Oberfläche preßte und dadurch gänzlich unmögliche Verhältnisse schuf. Eine Verlängerung des Platzes wurde dadurch geschaffen, daß eine Mauer, die in die nächsten Wiesen führte, niedergelegt wurde. Die Verhandlungen mit dem Besitzer der Mauer waren schwie­rig, führten aber mit dem Ergebnis zum Ziel, daß für diese minimale Arbeit dem Besitzer des Feldes £ 75,— gezahlt wurden. Ein ungerechtfertigter Preis im Verhältnis zur aufgewandten Mühe! Unbezahlbar für uns aber blieb diese Arbeit trotzdem, denn bei dem tatsächlichen Start erwies sich das Fehlen der Mauer als unbedingt notwendig.

So kam langsam das Osterfest heran. Immer noch lau­teten die Berichte über das Ozeanwetter ungünstig. Immer noch rauschte der Regen herab, wenn man auch den Ein­druck gewann, daß er an Heftigkeit, an Intensität, nachließ. Kurz vor den Feiertagen schien es uns sogar, als ob eine Wendung zum Besseren eingetreten sei; die Berichte des britischen Air-Ministeriums, das dankenswerterweise alle Details der Ozeanwitterung sofort telephonisch nach Bal­donnel regelmäßig übermittelte, ließen auch diese Hoffnung wieder entschwinden.

Trotzdem brachten uns die Ostertage eine besondere Freude. Einer der bewährtesten Ingenieure der Junkers-Werke, der an der Konstruktion und der Ausgestaltung der Maschine ganz erheblichen Anteil hat, Reginald Schünzinger, brachte das Opfer, seinen Oster-Urlaub in Baldonnel zu verleben, um zu sehen, wie weit die Vorbereitungen für den Start gediehen wären. Er konnte feststellen, daß der von den Junkers-Flugzeugwerken für uns beurlaubte Werk­meister Weiler und sein getreuer Gehilfe, der Mechaniker Lengerich, in geradezu vorbildlicher Hingabe an ihre Auf­gabe alles getan hatten, was überhaupt zu tun war. Schün­zingers Anwesenheit wurde aber dadurch von besonderem Wert, als er auf Grund seiner Berechnungen uns die Beruhi­gung geben konnte, daß bei einigermaßen günstigen Um­ständen die in Aussicht genommene Startbahn rechnerisch den Start als durchaus möglich erscheinen ließ. Derartige theoretische Unterlagen dürfen unter keinen Umständen zu gering eingeschätzt werden, da sie geeignet sind, den verant­wortlichen Führern eine innere Ruhe und Sicherheit zu geben, was von äußerstem Wert für das Gelingen derartiger außergewöhnlicher Aufgaben ist.

Seit Tagen stand die Maschine fertig getankt in der Halle. Zahlreiche Besucher aus Dublin strömten nach Baldonnel, und vor allem waren fast sämtliche Minister des irischen Freistaates die Besucher unserer Maschine gewesen und hatten sie mit fachkundigem Interesse betrachtet und uns allen ein gutes Gelingen des Fluges gewünscht. So kam lagsam der Tag heran, an dem der endgültige Ozean-Start stattfinden sollte. Am 12. April, um 5.30 Uhr irischer Zeit, begann die Maschine zum Start nach Amerika abzurollen.

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