KRIEG!

        

Es war ein heißer Sommersonntag, als die nachmittägliche Stille von den gellenden Rufen der Zeitungsjungen jäh unterbrochen wurde. Extrablätter in der Hand, rasten sie laut schreiend den Kurfürstendamm entlang. Man rißden Buben die Blätter aus den Händen, drängte sich in Gruppen zusammen, debattierte und besprach mit Menschen, die man zuvor kaum beachtet hatte, das furchtbare Ereignis: das österreichische Thronfolgerpaar war in Sarajevo ermordet worden !   

In diesen Tagen ging das Semester zu Ende. Die Wohnung war gekündigt, denn während der Lehrgangspause sollten wir wieder bei der Truppe Dienst machen. In den Pausen standen wir zusammen und diskutierten. Bisweilen fiel einmal das Wort Krieg. Niemand von uns jedoch glaubte daran, daß es blutiger, vernichtender Ernst werden würde. Drohend ballte sich das Gewitter zusammen.     

Aber noch war ja tiefer Friede. Es ging nach Ulm zurück zum Bataillon

und dann zu den alljährlichen Pontonierübungen an den Rhein. Die Luft war erfüllt von wilden Gerüchten, eine Zeitungsmeldung jagte die andere. Krieg I Immer wieder Krieg! Noch aber wollte sich das Unwetter nicht entladen.    

Da erklangen eines Morgens die Hörner: Alarm! Wir wurden nach Ulm zurücktransportiert. Drohende Kriegsgefahr —und zwei Tage später fiel das erlösende Wort, das mit einem Male Klarheit schaffte . . . Mobilmachung !       

Am achten Mobilmachungstage überschritten wir bei Markholz-heim im Elsaßdie französische Grenze. Marschtag folgte auf Marschtag. Aus der Ferne scholl der dumpfe Donner der Geschütze herüber.     

Die erste Patrouille —klatschend schlugen Gewehrkugeln gegen Hauswände. Krieg, blutiger, grausamer Krieg ...

Weiter wurde marschiert. Tage um Tage. Sichern, Deckung suchen und aufmerksam bleiben, das war uns in Fleisch und Blut übergegangen. Ich wurde nicht mehr müde. Ja, das Schlafen hatte ich mir fast ganz abgewöhnt, solange wir Fühlung mit dem Feinde hatten. Wenn es irgend ging, dann lag ich mit meinem Zug zwischen den Jägerkompanien. Nur durfte ich lange nicht so, wie ich gern gewollt hätte: meine technisch so wertvollen und unersetzlichen Pioniere durften dem feindlichen Feuer natürlich nicht so ausgesetzt werden wie die Feldkompanien. Die erste Scheu war überwunden. Es drängte mich nach vorn. Ich sah den Opfermut und die Tapferkeit der rechts und links von uns liegenden tapferen Jäger, und ich spielte mit dem Gedanken, mich zur Infanterie zu melden, um in der vordersten Linie bleiben zu können.

Dann aber, als wir den zurückweichenden Franzosen den Donon abgenommen hatten, schlug in einem grünen Wiesental der Vogesen plötzlich etwas an mein Bein. Kein Schmerz zunächst, nur ein harter, dumpfer Schlag: zum erstenmal in diesem Kriege hatte mich eine Kugel geschnappt. Feldlazarett —ein herrliches, reiches Schloß, angefüllt mit Matratzen, die voll waren von Verwundeten des Abends. Schmerzenslager, auf denen der Tod reiche Ernte hielt in der Nacht. Viele waren leer, wenn man am Morgen erwachte.

Mich schickte man weiter nach Karlsruhe, aber schon nach zehn Tagen war ich wieder so weit, daßich an Stöcken gehen konnte. Schleunigst meldete ich mich in Ulm beim Bataillon und war, wie viele meiner Kameraden, ernsthaft besorgt, vor Kriegsende nicht wieder an die Front zu kommen. Geheilt war ich wohl, aber bis zur völligen Felddiensttauglichkeit konnte es noch Wochen und Monate dauern. Laufen konnte ich nicht, doch ins Feld mußte ich um jeden Preis. Ich mußte einfach !

Es gab zwei Möglichkeiten für mich, der ich untauglich geworden war für den Fußdienst. Man suchte Kraftfahrer und auch Flieger, für beides aber wurde eine technische Vorbildung verlangt. Sah man davon ab, daßich als Junge viele Drachen zur Herbstzeit hatte in die Luft steigen lassen und daßmeine meist die besten waren und am höchsten stiegen, so hatte ich keinerlei Vorkenntnisse aufzuweisen, denn auch von Motoren verstand ich nichts.

Schleunigst besuchte ich in Ulm eine Autofahrschule, und kaum hatte ich bei meinem Fahrlehrer das Allernotwendigste gelernt, so ging ich zu meinem Kommandeur und trug ihm meine Bitte vor, mich in erster Linie für die Fliegerei, und wenn dies nicht ging, für die Kraftfahrtruppe einzugeben. Daßich mit Nachdruck auf meine technischen Kenntnisse hinwies, versteht sich von selbst.

Der gute Kommandeur hörte mich ruhig an, nickte ein paarmal zustimmend mit dem Kopf und sagte mir, daßer nichts dagegen habe. Ich drängelte heftig und meinte schüchtern, daßein telegraphisches Gesuch sicher rascher gehen würde als ein briefliches. Damit schien ich aber auf Widerstand zu stoßen, empfahl mich also und begab mich zu dem ein Stockwerk tiefer sitzenden Adjutanten. Dem redete ich ein, daßder Kommandeur vollkommen einverstanden sei, und sagte, daßmein Gesuch nun unverzüglich telegraphisch an das Generalkommando weitergegeben werden müßte. Der junge und noch recht unerfahrene Adjutant schöpfte keinen Verdacht; er war sogar froh, daßich ihm gleich den Text des Telegramms aufsetzte. Er hatte auch nichts dagegen, daßich dem Gesuch noch eine Bemerkung hinzufügte, die eine Art Qualifikation darstellte und mir geeignet schien, meiner Bitte Erfolg zu verleihen. Ich wich nicht von seiner Seite, ehe das Telegramm aufgegeben worden war.

Schon am Nachmittag wurde ich zum Kommandeur befohlen. Der Adjutant hatte ihm mein Gesuch noch nachträglich zur Unterschrift vorgelegt, und nun war der gute Oberstleutnant entsetzt darüber, daßwir über seinen Kopf hinweg einer so hohen Dienststelle, wie es ein Generalkommando nun einmal ist, einfach telegraphiert hatten. Er machte uns mit bitteren Worten die Hölle heißund sprach mir dann in Gegenwart des Adjutanten sein „tiefstes Mißfallen" über mein selbständiges Handeln aus. Nur der Tatsache, daßer ein Freund meines Vaters war, habe ich es zu verdanken, daßich nicht mit Stubenarrest bestraft wurde. Noch zweimal mußte ich zu ihm kommen. Er konnte sich einfach nicht darüber beruhigen, daßwir telegraphiert hatten. Ein Glück nur, daßer nicht eben so impulsiv in seinen Handlungen war wie wir, sonst hätte er ein Telegramm, in dem er unser Kabel zurückzog, aufgegeben und damit mein Schicksal besiegeln können. Er tat das nicht, und ich bin ihm ewig dankbar dafür gewesen. Drei Tage später schieden wir versöhnt. Mein Gesuch hatte Erfolg gehabt. Ich fuhr nach Adlershof bei Berlin, wo ich mich bei der Fliegerersatzabteilung melden sollte.

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