BOMBEN AUF BLARGIES

 

Leider kam schon nach knapp nach drei Monaten der Abmarschbefehl. Unser neues Ziel blieb geheim, und schließlich fanden wir uns

zur Märzoffensive in der bekannten Gegend von St. Quentin wieder. Alles war an der Somme zusammengezogen worden, wo der überraschende Großangriff von der Siegfriedstellung aus erfolgen sollte. Wir machten die ganze, anfänglich so erfolgreiche Offensive mit, deren eigentliches Ziel, der Durchbruch bis zur Meeresküste bei Abbeville, leider nicht erreicht wurde. Da rißmich ein Telegramm mitten aus meinem Schaffen. Es kam von der Obersten Heeresleitung, und der Telefonist, der es mir brachte, redete mich mit „Herr Hauptmann" an. Trotz der strammen Haltung schmunzelte er, als ich erstaunt aufblickte. Tatsächlich —ich war zum Hauptmann und gleichzeitig auch zum Kommandeur des Bombengeschwaders 7 ernannt worden.

Gern schied ich nicht von meiner alten Staffel. Am nächsten Morgen

, bevor ich zu dem Ort meines neuen Tätigkeitsfeldes flog, schritt ich die Front meiner Leute ab, und als ich all den wackeren Monteuren, den Schneidern und Schustern der Staffel die Hand zum Abschied schüttelte, sah ich manche Träne über die biederen, gebräunten Gesichter rinnen. Nur mit einem kleinen Witz kam ich selbst über die brenzliche Situation weg. Dann brummte der Propeller, Mützen und ganze Bettücher wurden geschwungen.

War ich beim Start noch Freund und Vater meiner Staffel, so landete ich auf dem großen Flugplatz in Valenciennes zunächst nur als Kommandeur. Das andere sollte erst später kommen. Weit, weit hinter der Front lag der Stab meines neuen Geschwaders, viel näher der Etappe, als es mir gut schien. Die Verhältnisse waren ähnlich wie bei Übernahme meiner Staffel. Nur ganz leise und sehr behutsam durfte ich vorgehen, langsam den Kampfwillen stärken und auch hier die Feindflüge im geschlossenen Verband einführen. Anfangs wurden wir bisweilen böse vom Feinde gewickelt, bis das richtige Zusammenspiel da war und die Erfolgskurve stieg.

Die Freude darüber wurde getrübt. Böse Nachrichten kamen. In meiner alten Staffel hielt der grausame Sensenmann furchtbare Ernte. Bei der Heimkehr vom Bombenflug, schon auf dem Platz, als sie sich nach der Landung noch an den Maschinen unterhielten, waren feindliche Flieger aufgetaucht und hatten Bomben geworfen. Der Kommandeur war tot, meinem lieben Freund Oertzen war ein Splitter in den Leib gedrungen, Felten und Fischer alle lagen sie bereits im Lazarett, als ich eintraf. Oertzen, dem jungen pommerschen Edelmann, konnte ich nur noch die Augen zudrücken, die schon erloschen waren, und Felten, der beste aller Piloten, erlag auch bald seinen Verwundungen. Dieser Flug zu meinen toten und verwundeten Kameraden ist einer der schwersten meines ganzen Lebens gewesen.

Weiter tobte der Krieg, wir mußten weiterfliegen. Andere traten an die Stelle der Gefallenen. Jetzt wurde der Vizefeldwebel Schlenstedt mein Flugzeugführer, in seiner Art so gut wie die Besten, mit denen ich zusammen geflogen war. Wenn die Granaten um uns her krachten, wenn die Scheinwerfer mit den breiten Lichtarmen zu uns hinaufgriffen —er flog weiter und kannte keine Furcht. Vor allem interessierte er sich auch für die Motoren und nahm mir damit viel Arbeit ab, denn ich war ja nicht nur Bombenschmeißer, sondern auch noch Geschwaderkommandeur. Wir beide warfen die erste Tausendkilobombe, die aus der Heimat kam, und machten gemeinsam die Zerstörung des großen Munitionslagers von Blargies mit.

Vorn war die Lage bedrohlich. Die Oberste Heeresleitung rief gelegentlich persönlich an und befahl uns, den Feind vor allem auf den Bahnlinien bei Amiens zu stören. Es mußte schon wichtig sein, den Verkehr auf diesen Bahnlinien lahmzulegen, denn der Generalquartiermeister, Exzellenz Ludendorff, machte mich besonders darauf aufmerksam. Man rechnete offenbar mit einem Vorstoßdes Feindes, und unsere Artillerie allein konnte den Nachschub nicht verhindern. Am Tage gingen wir bis auf wenige Meter hinunter, wenn wir bombardierten, und in der Nacht setzten wir unsere ganze Kampfstärke ein, flogen sogar mehrmals hintereinander. Blargies, das wichtigste Munitions- und Materiallager war unser Hauptziel. Leider erreichten nur wenige Maschinen dieses Ziel, und beim ersten Großangriff wurde bedauerlicherweise kaum etwas getroffen.

Am nächsten Tage war keine allgemeine Aktion vorgesehen. Wir hatten eine ordentliche Wut im Bauch über unseren Mißerfolg. Sollte das Lager leer sein ? Ohne besonderen Auftrag beschloßich, in der nächsten Nacht noch einmal hinzufliegen und setzte den Start für neun Uhr abends an. Fünf oder sechs andere Maschinen sollten ebenfalls mit. Gerade kam der Mond herauf, als ein Flugzeug nach dem anderen in die Nacht hineinstartete. Bis zur vordersten Linie hatten wir unsere Richtungslichter, und als wir über feindlichem Gebiet waren, schien man uns für Landsleute zu halten, die sich verfranzt hatten. Kein Abwehrfeuer störte unseren Kurs. Im ersten Mondesschatten tauchten die Wälder auf, die Blargies vorgelagert waren, Holzstöße, dahinter ein charakteristisches Schienendreieck und die glatten Flächen großer Hallen. Ich überflog sie und warf dabei zwei Zielbomben ab, die keinen Schaden anrichteten. Dann drehten wir bei. Schlenstedt war gut auf mich eingespielt. Ich visierte und löste die Bomben aus. Zunächst erfolgte nichts.

Dann aber ... eine weiße Stichflamme, die sich rasend schnell ausdehnte. Bis Amiens war alles plötzlich hell erleuchtet wie am Tage. Man konnte die Dörfer sehen, die Städte und Straßen. Schlenstedt drückte unseren Vogel, daßich fast aus dem Sitz herausgeschleudert wurde: um ein-Haar wären wir mit einer anderen Maschine zusammengerannt, die man genau so gut sah wie am Tage bei hellem Sonnenlicht. Der Feind ? Aber nein, das waren die anderen Flugzeuge unseres Geschwaders. Die hellodernden Explosionsherde waren glänzende Richtungspunkte. In wenigen Minuten lagen die riesigen Schuppen völlig vernichtet, es brannte und glühte dort unten. Und über der Explosionsstätte bildete sich bis zu uns herauf eine riesige weiße Kumuluswolke, dick und rund und lang heraufgezogen.

Nun mußten wir aber machen, daßwir fortkamen, um nicht in den Nebel der Heißluftwolke zu kommen, die unten gespeist immer neue Nahrung fand. Wir zogen heim, aus der Höhe mit Freude die weiteren Explosionen beobachtend, bis mir gerade über der Front zu meinem Schrecken einfiel, daßich in der Begeisterung vergessen hatte, die übrigen Bomben abzuwerfen. Darum machten wir nochmals kehrt, zogen zu einem feindlichen Divisionsstabsquartier, dem wir den ganzen Zimt auf den Kopf warfen, um dann glatt und wohlbehalten auf unserem Platz zu landen. Hier war alles versammelt, um uns zu beglückwünschen. In dieser Nacht bin ich nicht noch einmal gestartet, sondern habe mit Schlenstedt eine halbe Flasche Sekt getrunken. Ich ahnte, daßjetzt der Pour le merite fällig war, den ich schon vor Jahresfrist bekommen hätte, wenn ich nicht eigenmächtig nach Paris geflogen wäre.

Aber sehr wohl war mir nicht bei dem Gedanken. Für uns Flieger galt der Pour le merite als Unglücksorden. Fast alle, die ihn erhielten, standen bald darauf auf der Verlust- oder der Gefallenenliste, und man brauchte gar nicht abergläubisch zu sein, denn das hatte keine übernatürlichen Gründe. Wer diesen höchsten Kriegsorden als Offizier niederer Charge erhielt, mußte schon allerhand geleistet haben; wer ihn aber bekam, der ging nicht in die Heimat, sondern blieb draußen an der Front und erfüllte seine Pflicht, jetzt erst recht, bis dann doch einmal der Tag kam, an dem das Schicksal einen dicken Strich zog und die Summe addierte. Auch bei mir würde es nicht anders sein, und ich wollte Gott danken, wenn's nicht gerad der Tod sei, der mich traf.

Mit diesen nicht wenig angenehmen Überlegungen fiel ich in tiefen Schlaf, aus dem mich erst am nächsten Morgen die Anerkennungsdepesche des Kommandeurs der Flieger weckte. Im Geschwader herrschte große Begeisterung. Meinen tüchtigen Flugzeugführer, den Vizefeldwebel Schlenstadt, reichte ich noch am gleichen Tage zur bevorzugten Beförderung zum Offizier ein, und am Abend traf mich die Nachricht, daßich von der Armee zur Verleihung des Pour le merite eingereicht worden sei. Das waren also die Auswirkungen jener Nacht vom 19. auf den 20. Mai 1918, die dem Feind eines seiner größten Munitionslager gekostet hatte.

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