DER OZEANFLUG

 

Langsam schob ich den Gashebel vor ... gab Vollgas. Hell sangen die blitzenden Metallflügel ihr brausendes Lied, und in dieser Sekunde hatten wir alle den gleichen Gedanken: wenn nur der Propeller nicht stehenbleibt, bevor wir in Amerika sind !

Schwerfällig begann die Maschine zu rollen. Wir mußten zuerst zwischen zwei Hallen hindurch. Dort auf dem betonierten Boden hofften wir so viel Fahrt zu bekommen, daßwir auf dem Rasen nicht mehr einsanken. Das erste Drittel des Platzes stieg etwas an. Ich fühlte, tief drückten die Räder in den feuchten Grund, und fast schien es mir, als könnte der schwache, nur 350pferdige Motor die vier Tonnen hinter sich die Anhöhe nicht hinaufbringen. Jedenfalls bekamen wir die notwendige Beschleunigung nicht.

Hinter den Hallen hervor schossen zwei Sanitätsautos. Die Monteure hatten sie noch in der Nacht mit Feuerlöschern, Beilen und Sägen ausgerüstet: Wenn unser Start mißglückte, wollten sie uns aus den Trümmern des Flugzeuges heraushauen. Und nun

begann ein Wettrennen mit den Sanitätswagen den Berg hinauf. Beinahe sah es so aus, als würden die früher in Amerika ankommen als wir. Auf der Höhe des Platzes ging es eben voraus. Jetzt gewannen wir aber das Rennen.

Das letzte Drittel des Platzes ging abwärts. Ich hoffte die anfänglich nicht erreichte Geschwindigkeit hier aufholen zu können, denn wir brauchten 120 Stundenkilometer zum Aufheben der Maschine, und der Geschwindigkeitsmesser zitterte bereits auf 110. Schon wollte ich frohlocken, daßalles glatt ging —da brüllte Fitz mir etwas in die Ohren. Ich hatte es nicht verstanden —es war englisch. Ich sah nur, wie er in der nächsten Sekunde das Höhensteuer anriß.

Von rechts her war uns ein Schaf in die Startbahn gelaufen. Fitz hatte es beobachtet und rißim letzten Moment die Maschine hoch. Aber sie hatte nicht genügend Fahrt, sackte durch und kam infolge der Federung des Fahrgestells in mehrmaliges Aufbumsen. Ich glaubte, daßalles verloren war, daßwir Bruch machen mußten.

Vor uns glühte der Auspufftopf und spuckte Flammen, hinter uns waren 2000 Liter Benzin verstaut. Wenn sich das zu einer Feuersbrunst vereinigte, saßen wir mitten drin. Ich überlegte, ob es nicht besser war, die Zündung herauszureißen. Vielleicht konnten wir dadurch dem Verbrennungstod entgehen.

Aber dann stand der Propeller. Das durfte nicht sein ! So ließich die Zündung drin und hielt die Maschine ganz ruhig. Ich wollte nicht selbst Schicksal spielen.

Wir hatten gerade das Ende des Platzes überrollt. 400 Meter Wiesenfläche lagen noch voraus. Hier aber sollten wir schon stolz in den Lüften sein. Nun rollten wir noch 250 Meter. Dann aber fühlte ich im Steuer, daßder Vogel vom Boden weg wollte. Es war mir nicht wohl zumute. 150 Meter voraus erhob sich ein vier Meter hoher Erdwall mit hohen Bäumen darauf. Ich glaubte nicht, daßwir dort glatt rüber kommen konnten. Da machten wir das einzige, was wir noch tun konnten: drückten die Maschine an den Boden heran, damit sie mehr Fahrt bekam, und zogen erst in der letzten Sekunde dicht vor dem Hindernis das Höhensteuer an.

Der Vogel bäumte sich auf, das Fahrgestell streifte durch die Baumkronen, dahinter sackte die Maschine nochmals gewaltig durch, aber sie hielt sich in der Luft. Der Start wäre jetzt gewonnen gewesen, wenn es eben vorausginge. Wir waren aber in ein Bergtal hinein-gestartet. Rechts, links und voraus stiegen die Hänge schneller an, als wir mit der Maschine klettern konnten. Nur rechts hinter uns, dort wo wir in die Mausefalle hineingeraten waren, dehnte sich ein flaches Tal. Wenn wir da hinauskamen, konnte der Start noch glücken.

Ich glaubte nicht, daßes möglich war, mit der schwer beladenen Maschine in so geringer Höhe bei so geringer Fahrt auch noch eine Rechtskurve zu nehmen. Als aber der Boden an die Räder herankam, riskierten wir das Letzte. Wir legten die Maschine in die Kurve. Der rechte Flügel neigte sich tiefer ; er streift die Grasnarbe, schlug an einer Hecke an, aber dank ihrer glänzenden aerodynamischen Eigenschaften bekamen wir sie herum, hatten das Tal voraus, drückten hinein.

Gleich hatte die „Bremen" 220 Kilometer Fahrt, und in anderthalb Minuten waren wir auf 150 Metern. Der Start war geglückt. Freudestrahlend sahen Fitz und ich uns in die Augen. Wir schüttelten uns die Hände und beglückwünschten uns. Dann regulierten wir unseren Vogel fein ein und stellten ihn Richtung Amerika.

Lachend zeigten wir uns Hände und Füße. Wir hatten nichts am Steuer, und trotzdem flog die Maschine ganz allein in der Luft dahin. Hätten wir nicht dringesessen, sie wäre ganz allein nach Amerika gerutscht. Zunächst kam Fitzmaurice dran. Er sollte sich auf der „Bremen" einfliegen, während ich noch Berechnungen über Geschwindigkeit und Kompaßabtrift anzustellen hatte. Von Zeit zu Zeit sah ich fragend zu ihm hinüber, ob er noch etwas wissen sollte, aber er hatte alles, was ich ihm täglich durch den Dolmetscher hatte vorbeten lassen, tadellos kapiert. Ganz stolz saßer am Steuer und begann schon von den Ehrungen zu träumen, die ihm bei der Rückkehr in seine Heimat zuteil werden sollten. Daran war der Kriegsminister seines Landes schuld. Der hatte ihm. wenige Minuten vor dem Start versprochen, daßer sofort vom Major zum Oberst befördert würde, falls der Flug gelänge.

Auch ich begann zu träumen und dachte daran, daßmir wohl die Polizeistrafe wegen meines heimlichen Abfluges erlassen würde, wenn ich wieder nach Tempelhof zurückkam. Indessen zog Irland unter uns durch. Leichte Morgennebel stiegen in den Niederungen auf, und als wir die letzte Stadt, Galway, überflogen, lag sie unter dichten Nebelschleiern versteckt. Nur noch die Kreuze der Kirchtürme ragten heraus, gleichsam als wollten sie uns den letzten Segen auf die weite Reise geben.

In der Ferne glitzerte und blitzte es silbern. Bald flogen wir über die nackten roten Felsmassen von Irlands Westküste. Und dann ... dann lag der Atlantik unter uns. Es schien fast, als hätte er Respekt vor dem Silbervogel, der da angeflogen kam. Nur eine sanfte Dünung und leichtgekräuselte Wellen bespülten die kahlen Felsmassen, gegen die der wilde Weststrom sonst tagaus, tagein die Wogen des Meeres schleudert.

Weit draußen noch ein kleiner Leuchtturm, an dem wir mit 210 Kilometer Fahrt vorüberbrausen, und fern im Süden ein Dampfer, der erste und letzte auf dem ganzen Fluge. Nach einer halben Stunde schon waren diese letzten Zeugen Europas hinter uns verschwunden. Dann schwebten wir über dem unendlichen Ozean —unter uns die unendliche Wasserwüste, über uns Himmel und Wolken.

Die ersten 18 Stunden, die wir über den Ozean hinwegflitzten, hatten wir verhältnismäßig günstiges Wetter. Wenn ich allstündlich meine gelben Rauchbomben aufs Meer hinunterfeuerte, konnte ich errechnen, daßwir immer zwischen 20 und 40 Stundenkilometer Gegenwind hatten. Da diese Winde mit jedem Meter nach oben zu gewaltig an Geschwindigkeit zunehmen, flogen wir den ganzen Tag über nur in Höhen von fünf Metern. Manchmal, wenn die Sonne schien, wurden wir sogar übermütig und versuchten, mit den Rädern die Spitzen der Wellen zu kitzeln.

Die Sonne wanderte hinter uns her. Nicht wie sonst mittags um 12 Uhr holte sie uns ein, sondern erst am Nachmittag um 2 Uhr 30. Da wußten wir, daßwir uns genau über der Mitte des Ozeans befanden. Wir hatten Aprilwetter. In der feuchten fernsichtigen Luft hingen gigantische Wolkenmassen, die oben von der Sonne grell beleuchtet wurden, während unten Hagel und Schneemassen niedergingen. Aber wir konnten sie alle umfliegen, denn sie waren nicht so ausgedehnt.

Während wir über die weite Wasserwüste wegzogen, nahmen wir unsere Mahlzeiten ein, wie wir es von zu Haus gewohnt waren. In großen Thermosflaschen hatten wir Schleimsuppe, Kaffee und Tee mitgenommen. Die Offiziere des Fliegerlagers hatten uns während der Nacht vor dem Start belegte Brötchen zurechtgemacht, Apfelsinen und Bananen geschält. Die Schalen ließen wir in Irland und konnten dafür ein ganzes Kilo Brennstoff mehr mitnehmen.

Weiter wanderte die Sonne. Ihr Reflex leuchtete den ganzen Nachmittag wie ein breites Flammenband vom Meeresspiegel zu uns herauf. Bisher hatte es sich fern am Horizont verloren. Als wir unseren Tee tranken und ich wieder einmal hinaussah, war dieses Flammenband plötzlich wie abgeschnitten. Ich nahm das Fernglas zur Hand. Niedrige Nebel zogen über dem Meere. Dahinter ballten sich zusammenhängend gigantisch dunkle Wolkenmassen, soweit das Auge von Süden nach Norden reichte. Über ihnen in unerreichbaren Höhen zogen schnell von Westen her graue Strichwolken auf. Die Sonne verschwand dahinter, es wurde schaurig kalt.

Wir bekamen Angst, gaben Vollgas und kletterten hoch bis auf 2400 Meter. Da standen wir vor der grauen Nebelwand. Es war ein richtiges Tief, das sich uns in den Weg stellte. Das englische Air Ministry hatte uns davor gewarnt und mitgeteilt, daßes von Süden nach Norden zog. Wie ausgedehnt es war, wußten wir nicht, sonst hätten wir es vielleicht umfliegen können, wie es der Zeppelin macht.

Da wir so dicht vor Neufundland nicht nach Süden in den Ozean abbiegen wollten und auch nicht die Absicht hatten, eine Nordpolexpedition zu machen, blieben wir auf Kurs. Machten nicht einmal mehr eine Angstkurve, sondern schlossen die Klappen unseres Flugzeugs und steuerten nur noch nach Instrumenten. So nahmen wir es gar nicht wahr, wann wir in den Nebel hineinstießen. Erst nach einer halben Stunde —es war ganz düster geworden —blickten wir hinaus. Wir steckten mittendrin im undurchsichtigen, feuchten und salzigen Seenebel. Nach einiger Zeit gingen wir wieder langsam tiefer. Ich hoffte, daßdie erste Welle des Tiefs vorüber war und wir, wenn auch in strömendem Regen, wieder in den Wolken fliegen konnten.

Der Höhenmesser sank. Er zeigte nur noch wenige 100 Meter. Wir rissen die Klappen des Flugzeugs auf und spähten ängstlich hinaus. Jede Sekunde konnte das Wasser kommen. Und dann flogen wir noch eine ganze Zeitlang an den Meeresspiegel herantastend immer noch in grauem Nebel.

Wir waren gerade noch 150 Meter hoch, da wurde es plötzlich blauschwarz unter uns. In der nächsten Sekunde waren wir dicht über den Wogen. Jetzt, da wir an den Wassern sahen, wie die „Bremen" herumgerissen wurde, erkannten wir den fürchterlichen Orkan, in den wir hineingeraten waren. Windböen packten die Maschine und schleuderten sie in die Wellentäler hinein. Sichtbar bogen sich die Flügel unter der Wucht des Sturmes. Der ganze Vogel ächzte und zitterte. Wellenberge rollten auf uns zu, daßwir Vollgas geben mußten, um über sie wegzukommen. Und während die „Bremen" wie ein Pfeil über die Schaumkronen hinwegschoß, war der obere Teil schon wieder in den Nebeln versteckt. So dicht drückte der Nebel auf das Meer.

Mehr als dreiviertel Stunden lang kämpften wir so um unser Leben und glaubten nicht, daßwir kleinen Menschlein aus diesem wilden Orkan als Sieger hervorgehen konnten. Unsere schwache, von Menschenhand erbaute „Bremen" mußte von den entfesselten Elementen in Stücke gebrochen werden! Aber dann ... nach einer Stunde hatten wir unseren ersten Sieg über den Atlantik errungen.

Doch wir wurden dieses Sieges nicht froh, denn jetzt brach die Dämmerung herein. Ich wußte, daßdieser eine Nacht von neun bis zehn Stunden folgen würde. Wie sollten wir die überstehen ... ?I

Als das Licht dieses Tages dahinschwand, wagten wir kaum noch zu hoffen, daßuns ein neuer Sonnenstrahl aufgehen würde. Bald waren auch die letzten weißlichen Schaumkronen im Dunkel der Nacht verschwunden.

Nun mußten wir Vollgas geben und hineintauchen in die Dunkelheit, in Nebel und Sturm. Es ging auf 800 Meter hinauf, denn gleich kamen die Berge von Neufundland. Flogen wir niedriger, konnten wir im Nebel gegen sie rennen. Blieben wir aber so hoch, dann war es nicht ausgeschlossen, daßdie noch gefürchteteren Eisnebel von Neufundland uns anfielen, die Maschine vereisten und sie durch ihre Zentnerlast hinunterdrückten.

Von dem Augenblick ab, als wir hineingetaucht waren in Nacht und Sturm, flogen wir über 71/2 Stunden, ohne irgend etwas zu sehen. Es war eine fürchterliche, eine lebenslange Nacht. Wenn ich glaubte, es seien schon viele Stunden vergangen, und dann auf die Uhr sah, war der Zeiger höchstens zehn Minuten weitergerückt. Wir konnten uns das anfangs gar nicht erklären ... war die Uhr stehengeblieben ? Ein Vergleich mit den anderen zeigte, daßdie Uhren schon in Ordnung waren. Etwas anderes war in Unordnung geraten: wir.

Die Müdigkeit fiel uns grimmig an. Bleiern drückte der Schlaf die Augenlider nieder. Kaum noch konnten wir uns dieses übermächtigen Schlafbedürfnisses erwehren. Jetzt mußte Hünefeld den Mokka vorgeben, und der hat uns während der Nacht wach und dadurch am Leben erhalten. Die elektrische Beleuchtung des Führersitzes hatte schon gleich bei Einbruch der Nacht versagt. Mit den Taschenlampen leuchteten wir von Zeit zu Zeit unser Instrumentenbrett, unsere Benzin- und Ölkontrollapparate ab.

Da —das Ölschauglas war leer. Vor fünf Minuten erst hatte ich aus dem Reservetank den Haupttank mit Öl aufgefüllt. Es mußte also etwas in Unordnung sein. Ich machte Fitzmaurice darauf aufmerksam. Mit der Taschenlampe suchte er nun minutenlang die Zuleitungsrohre unten ab und kam mit einem fürchterlich bekümmerten Gesicht wieder herauf.

„Wir verlieren irgendwo Öl. Es ist sehr schlimm. Geh an Land so schnell wie möglich !" —schrieb er auf einen Zettel. Das war eine schöne Geschichte! Sollte unser Flug durch ein lumpiges Leck irgendwo im Öltank scheitern ? Mit Herzklopfen verfolgten wir den Lauf des Motors und drehten nordwestlich ab, um möglichst bald Land unter uns zu haben. Der Flug nach New York war jetzt sicherlich nicht mehr durchzuführen; aber wir hofften weiter.

Ich ließerneut aus dem Reservetank Öl überlaufen, das Schauglas war wieder voll, solange der Reservetank geöffnet war. Nach bangen Stunden erst merkte ich, daßwir uns getäuscht hatten. Das Reserveöl war durch das Schauglas nur sehr langsam in den Haupttank geflossen, und so war es gekommen, daßdas Glas wieder leer wurde, wenn ich den Tank schloß. Wir hatten bei unseren Versuchsflügen das Auffüllen des Haupttanks niemals praktisch erprobt und verdankten nun dieser Unterlassungssünde bittere und qualvolle Stunden.

Es war ein eigenartiges Fliegen in dieser tollen Nacht. Vor uns im Dunkeln ein paar helle Striche —die radiumbeschrifteten Zifferblätter unserer Instrumente. Auf dem mittleren Strich bewegte sich ein Pfeil. Wenn dieser einen halben Milimeter nach links ausschlug, mußte ich nach rechts reintreten, damit er nach der anderen Seite wieder genau so weit ausschlug. Oder umgekehrt ... und so die ganze Nacht hindurch. Angespannt hingen die Augen an diesen Zeigern. Wir durften keinen Blick von ihnen wenden, denn sie waren die letzten Rettungsanker, die uns mit dem Leben verbanden.

Nach 7 1/2 Stunden blitzten für Sekunden über mir Sternbilder auf. Jetzt konnten die Wolken nicht mehr allzu hoch sein. Ich gab Vollgas und zog die Maschine höher und höher. In 2000 Meter kamen wir über die höchsten Wolkenberge und stürmten hinein in den strahlenden Sternenhimmel. Von diesem Augenblick ab war das Fliegen wieder sinnlos einfach im Verhältnis zu den letzten zwölf Stunden. Wir nahmen den Polarstern zu Hilfe und flogen nun Südwestkurs. Das mußte hineinführen —mitten nach Amerika.

Unter uns suchten wir nach Land, über dem wir schon längst sein mußten. Aber nur graue Nebel huschten vorüber. Plötzlich blinkten Lichter in der Ferne. Ich glaubte, das mußten die Leuchtfeuer der großen amerikanischen Seen sein. Froh flogen wir darauf zu, aber dann lagen urplötzlich Millionen Lichter unter uns.

War das schon eine der amerikanischen Riesenstädte ? Wie glücklich war ich, daßich wieder Leben unter uns spürte. Aber bald stutzte ich. Diese Lichter kamen nicht näher. Sie blieben immer in der gleichen Entfernung. Da erkannte ich, daßes Sterne waren. Nun hatten wir nicht mehr den Eindruck zu fliegen. Es war, als schwebten wir draußen im Weltenraum, —losgelöst von der Mutter Erde. Irrlichter waren's nicht, sondern wirklich die Sterne, die sich auf einer feuchten Luftschicht widerspiegelten.

Fitz, der gerade eine halbe Stunde geschlafen hatte, wachte auf und rieb sich die Augen. Er sah hinunter, wurde plötzlich ganz aufgeregt und machte mir mit der Hand ein merkwürdiges Zeichen. Ich sollte die Maschine umdrehen, meinte er, weil er der Ansicht war, daßwir die ganze Zeit schon auf dem Rücken flogen. Ich gab ihm einen Stoß, zeigte nach oben ——da sah er die richtigen Sterne, und nun fing auch er an zu lachen, als er dieses seltsame Naturschauspiel ebenfalls erkannte.

Nach einer Stunde verblaßten die Sterne. Dunkle und helle Flächen huschten vorüber. Nach 9 1/2 Stunden langer Nacht kam leise das Grau des neuen Tages. Im fahlen Morgenlicht gingen wir auf die dunklen Stellen herunter, schossen drei Leuchtkugeln ab, und in ihrem Schein erkannten wir unter uns Tannenwälder. Jetzt schüttelten wir uns die Hände, beglückwünschten uns und sagten: „Labrador"

Der Tag kam. Da lag ein in Eis und Schnee erstarrtes Land unter uns. Über 1400 Meter hohe Bergspitzen mußten wir wegziehen. Nirgends eine menschliche Ansiedlung. Wir überquerten ein tiefeingeschnittenes Flußtal, das nach Süden zog, nahmen Gas weg, tauchten hinunter ins Tal und drehten ebenfalls nach Süden ab. Wir wollten hinaus aus diesem menschenleeren, unheimlichen Land.

In dem breiten Flußtal hofften wir bald Amerikaner zu finden. Glutrot kam die Sonne herauf und tauchte die Berge rings um uns herum in ein märchenhaftes Rosarot ... eine Winterlandschaft, so schön, wie ich sie noch nie gesehen, jedenfalls noch nie so herrlich empfunden hatte. Wunderbares, neu erkämpftes Leben!

Glückselig flogen wir im Flußtal weiter nach Süden. Als aber immer noch keine menschliche Ansiedlung, nicht einmal die Spur eines Wildes zu sehen war, wurden wir bange. Fitz und ich wagten es nicht mehr, uns anzusehen. Wir wollten einander die Angst, die in uns hochkam, nicht verraten. Aber als auch nach einer weiteren halben Stunde sich unter uns nichts änderte, da fanden sich unsere Augen. Es war ein banger Blick, den wir tauschten. Wir schüttelten dabei die Köpfe und zeigten hinaus: totes Land. Wenn der Motor jetzt nicht mehr mitmachte und wir runter mußten, waren wir unrettbar verloren.

Und nun begann ein neuer Kampf. Mit dem weißen Tod, der seine Arme nach uns auszustrecken schien, um uns den schon gewonnenen Sieg über den Atlantik zu entreißen. In jagender Hast ging es das Tal entlang, über Höhen hinweg und ausgedehnte weite Wälder. Um die Mittagszeit hörten die Wälder auf. Bergland kam. Es begann zu schneien, und im Schneegestöber, zwischen Bergspitzen hindurch kämpften wir uns weiter.

Bereits 35 Stunden waren wir nun unterwegs. Zuletzt waren wir nach Süden geflogen, aber immer kälter war es geworden. Das Land unter uns sah so aus, wie ich mir den Nordpol immer vorgestellt hatte. Zeigte der Kompaßfalsch ? Hatten wir uns verflogen ? Ich erwog tausend Möglichkeiten. Auf den Seekarten, die wir von diesem Lande hatten, gab es schraffierte Stellen, und daneben stand: starke erdmagnetische Störungen. Waren wir über einem solchen Gebiet ?

Zu all den tausend Unsicherheiten kamen jetzt die Folgen der Übermüdung. Wir konnten nicht mehr rechnen, nicht mehr denken. Eine fürchterliche Gefahr in dieser Situation. Aber ich bißdie Zähne zusammen, ich kannte ja diese Ermüdungserscheinungen, diese Stimmen die auf uns einflüsterten, wir sollten kehrtmachen oder abbiegen. Ich rang mit ihnen, schüttelte sie ab, zwang mich zur Ruhe und behielt den alten Kurs bei. Wenn's falsch war, wenn's hinaufging nach dem Nordpol diese letzten Stunden, die wir noch fliegen konnten, wollte ich mir durch Angst nicht vergällen. Wenn es später wirklich Schlußwar mit allem, dann hatten wir wenigstens etwas Ordentliches gesehen und erlebt.

In diesen Stunden glaubten wir nicht mehr an den Erfolg unseres Fluges, und in dieser bitteren Not beteten wir alle drei. „Herr Gott, laßdiesen Flug nicht scheitern um Deutschlands willen —!" flehten wir Deutschen.

Nach einer Stunde hörte das Bergland auf. Es fiel steil ab. Vor uns dehnte sich eine verschneite Ebene. Weit draußen lagen Packeis-massen. Das mußte die Küste sein. Wir drehten nach Osten ab, flogen noch fünf Minuten, da brüllte Fitzmaurice: „A boat, a boat!" Als wir darüber hinwegflogen, ragte aus den Nebeln die Spitze eines Leuchtturms. Sturm zerrißundurchsichtigen Schleier. Da lag auch noch ein schmuckes Leuchtwärterhaus und kleine Gebäude daneben. Jetzt hatten wir die Grenze der Zivilisation erreicht. Noch wußten wir aber nicht, ob der Leuchtturm bewohnt war. Wir umkreisten ihn, es öffneten sich Türen, Menschen kamen heraus —nun hatten wir wirklich Grund uns zu freuen. Wir waren drüben!

Genau 36 1/2 Stunden waren wir unterwegs gewesen. Während der Nacht hatten die Benzinuhren versagt. Wir wußten nicht, ob wir noch für eine oder —wie es sich später herausstellte —für neun Stunden Betriebsstoff besaßen. Jetzt wollten wir aber nichts mehr riskieren. Unser Ziel —Amerika —, das lag ja unter uns. Der Leuchtturm war der Anfang. Wir hatten genug gesiegt in den letzten anderthalb Tagen. Ich hatte keine Lust, mich noch vollends zu Tode zu siegen. Darum beschlossen wir, hier zwischenzulanden. Sicher konnten wir in absehbarer Zeit weiterfliegen.

Wir suchten einen geeigneten Landeplatz, da ich auf dem gefrorenen Meer nicht landen wollte. Ich hatte ja keine Ahnung, daßdort die Eisdecke noch über drei Meter dick war. Aber nahe dem Leuchtturm lag ein kleiner Weiher. Wenn wir dort landeten und die Eisdecke brach, so konnten wir bestimmt nicht zu tief ins Wasser fallen. Tiefer neigte sich die „Bremen", wir setzten auf, die Räder drückten auf die Eisfläche —bums ... da brach sie, und wir standen auf dem Kopf. Schnell hatte ich noch die Zündung herausgerissen. Der Propeller war an der Spitze verbogen. Sonst war unser Vogel aber heil geblieben.

Als ich ausstieg, packte mich der Sturm und blies mich über die spiegelglatte Eisfläche, um mich in den Felsen hineinzuwerfen. Hünefeld kletterte auf der anderen Seite heraus, wurde ebenfalls vom Sturm gepackt und ins Wasser hineingeblasen. Dort nahm er sein erstes, bitterkaltes und unfreiwilliges Bad auf Greenly Island.

Mit Hilfe der herbeigeeilten Bewohner versuchten wir, die „Bremen" aus dem Wasser herauszuziehen. Fitzmaurice sollte dolmetschen, aber die Leute verstanden ihn genau so wenig wie uns. Sie sprachen nicht englisch, sondern ein noch viel schlechteres Französisch, als ich es in der Schule gelernt hatte. Infolge der dadurch entstandenen Mißverständnisse packten sie unseren Vogel falsch an und rissen eine Strebe des Fahrgestells ab. Ich war wütend, aber wir waren zu müde, um noch vernünftige Arbeit zu leisten. Darum nahmen wir dicke Taue, warfen sie über die Maschine weg und fesselten sie an die Felsen, damit sie während der Nacht nicht allein weiterflog.

Im Leuchtturmwärterhaus erfuhren wir, daßsich zwei Kilometer entfernt am Festland eine Telegraphenstation befand. Schnell verfaßten wir unsere Landemeldungen, die auf Hundeschlitten fortgebracht wurden, während wir zu todähnlichem Schlaf in die Betten fielen. Am nächsten Morgen schneiten bereits die ersten Glückwunschtelegramme zu uns herein. In zwei Stunden mußten die armen Telegraphisten jetzt mehr Telegramme aufnehmen als bisher in den ganzen 20 Jahren seit dem Bestehen der Station.

Am zweiten Tag besuchte uns das erste Flugzeug. Mit ihm flog Fitz nach Kanada hinein, um die Herbeischaffung der notwendigen Ersatzteile zu betreiben. Nach zehn Tagen kam er mit einer Fordmaschine zurück. Er hatte zwar alles Mögliche mitgebracht, gebratene Hühner, Benzol und Öl, aber keine Schneekufen. Eigenartigerweise war gerade die Hauptsache vergessen worden. Darum mußten wir unsere „Bremen" zunächst auf Greenly Island zurücklassen. Der Frühling hatte die Eisdecke aufgetaut. Mit Rädern kamen wir nicht mehr weg, und wenn wir nicht überhaupt machten, daßwir weiterkamen, konnte der Südoststurm hereinbrechen. Dann müßten wir Monate warten, ehe uns irgend jemand weiterhelfen konnte.

Das durften wir aber den Amerikanern nicht antun. Wir setzten uns in die Fordmaschine und flogen mit ihr weiter. Am ersten Tage ging es entlang der 1200 Kilometer langen Küste des St. Lawrence-Golfes. In Murray Bay landeten wir auf einem gefrorenen See. Während der Nacht bekam unser Flugzeug statt der Schneekufen Räder, und am nächsten Morgen in aller Frühe, solange die Eisdecke noch fest war, flogen wir den St. Lawrence-Strom hinauf über Quebeck nach Montreal und von dort nach Süden den Hudson hinunter.

In der Ferne ragten aus Albany die ersten Wolkenkratzer zu uns herauf. Im Süden vereinigten sich, auf einen Punkt zu, viele Eisenbahnstränge, dort zwängte sich unter uns der Hudson durch eine malerische Felsenpracht. Als wir sie überflogen hatten, lag vor uns New York. Dichter Nebel drang vom Meer herein. Plötzlich sahen wir uns im Nebeldunst mitten im Gewirr der Wolkenkratzer, dieser eigenartigen Bauwerke. Wir landeten auf dem Curtis-Field und wollten gleich nach Washington weiterfliegen, denn dorthin rief uns eine heilige Pflicht.

Im gleichen Flugzeug, mit dem wir nach New York flogen, war Tage vorher Floyd Bennett aufgestiegen, um uns Hilfe zu bringen. Auf der ersten Etappe dieses Fluges war er fiebernd aus dem Flugzeug ins Krankenhaus nach Quebeck gebracht worden und dort einer tückischen Grippe erlegen. Zur selben Stunde, da wir in New York landeten, wurde er in Washington auf dem Ehrenfriedhof der amerikanischen Flieger zur letzten Ruhe getragen. Am nächsten Morgen legten wir die Flaggen unserer Heimatländer auf dem frischen Grabhügel dieses amerikanischen Fliegerhelden nieder, der sein Leben gelassen hatte, um uns zu helfen. Dann kehrten wir zurück nach New York, und jetzt begann ein neuer Sturm über uns hereinzubrechen —fast so wild, wie der von Neufundland ... der Sturm der Empfänge.

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