ICH GEHE AUFS GANZE

 

So gefährlich die Wachsamkeit der Posten auch war, mich ließschon allein die erfolgreiche Flucht Menckhoffs nicht ruhen. Ich mußte mein Vorhaben trotz aller Wachen durchführen. Meine gute brave Ordonnanz, den treuen Schönlau, hatte ich genau instruiert. Während er zum Brunnen ging, wollte ich auf dem Hof im Kreise herumlaufen, dann durch das Drahthindernis kriechen und ihm folgen.

Alles schien zu klappen, aber als ich neben ihm stand, mußte ich eine große Enttäuschung erleben. Der gute Schönlau, ein so lieber und sonst so vernünftiger Mann, bekam in diesem Augenblick einen solchen Nervenschock, daßer, am ganzen Leibe zitternd, dastand, und immer nur sagte : „Ich kann nicht ! Ich kann nicht 1"

Im Kriege habe ich oft erlebt, daßdie Nerven der besten Leute in solchen Situationen versagten. Ich sah ein, daßder gute Kerl mir nicht helfen konnte, und sagte ihm ganz ruhig, er sollte sich nicht aufregen, ich würde heute nicht entfliehen. Dann ergriff ich einen Wasserkrug,

ging wieder zurück und mischte mich unter die promenierenden Mitgefangenen.

Es war eine äußerst riskante Situation für mich gewesen. Nur durch die Unbekümmertheit, die ich zur Schau trug, ist es mir ge-

lungen, die Aufmerksamkeit nicht auf mich zu lenken. Für diesen

Tag schien die Flucht unmöglich. Ich ging schleunigst in meine Stube hinauf, baute die Puppe ab, die Zimmerkameraden lächelten ein

bißchen und dann kam der gute Schönlau kreidebleich und heulend. Viel Überredungskünste habe ich aufwenden müssen, ehe ich ihm klarmachen konnte, daßich ihm nichts übelnahm. Ich hatte ihm ja ganz genau angesehen, was mit ihm los war.

Dieses Erlebnis zeigte mir, daßich meinen Plan ändern mußte. Niemand sollte mir helfen. Wenn ich wirklich raus wollte, durfte ich

nur ganz auf mich selbst gestellt sein. Und so verwarf ich den Plan, vor dem Appell auszureißen und die Puppe meinen Stellvertreter spielen zu lassen, sondern wollte während des Appells ausrücken.

Da wir fast die ersten waren, die revidiert wurden, verstrichen bis zur Beendigung der Revision einige Minuten. Diese mußten genügen,

um hinauszukommen. Ob das glücken würde, schien sehr fraglich,

aber ich war nun zu allem entschlossen. Auch daßich erwischt werden konnte, wurde bedacht. Mein Plan bekam noch ein kleines Anhängsel.

Wenn es nicht klappte und man mich ins Gefängnis brachte, wollte ich einen Tunnel bauen und in der langen Zeit versuchen, unter der Erde herauszukommen, denn raus mußte ich, kostete es, was es wollte.

So hatte ich in diesen Tagen durch die Abänderung meines Planes viel zu beobachten und vorzubereiten. Allerdings mußte ich doch eine Ordonnanz ins Vertrauen ziehen. Das war der Trompeter, der all-

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abendlich eine Viertelstunde nach dem Appell das Signal zum Zubettgehen blasen mußte, auf das hin alle Lichter ausgelöscht wurden. Dieser Mann war der einzige, der dann noch außerhalb der Baracken war, und er lief bisher immer in der Gegend auf und ab, in der sich das Haus befand, in dem ich untergebracht war.

Jeden Abend mußte der Trompeter nun an der Stelle auf und ab marschieren, wo ich abends hinauswollte. Da er ungefähr meine Figur hatte, konnte ich ihn ganz gut „vertreten". Am Fluchtabend selbst sollte er nämlich den Weg wie gewöhnlich gehen. Dabei kam er an dem Wacheingang vorbei und konnte nachsehen, ob dort Posten standen. Dann hätte ich eben warten müssen. Das Zeichen, das er mir geben sollte, bestand darin, daßer entweder dichter oder weiter entfernt am Haus vorbeiging, und dort, wo er entlang gekommen war, wollte ich wieder zurückgehen, während er selbst der Mitte des Lagers zustrebte, damit die Blicke der Posten von mir weg auf ihn abgelenkt wurden.

An jedem Abend sah ich mir ganz genau an, wie die Posten aufzogen, wohin sie ihre Blicke wendeten, wie lange es dauerte, bis sie abgelöst wurden und daßsie merkwürdigerweise beim Zurückgehen zur Wache regelmäßig in den Hof hineinsahen. Ich habe damals scharf beobachtet, und nicht ein einziger dieser Posten schaute einmal nach der anderen Seite, nämlich nach jener Ecke, wo ich ausreißen wollte.

Und dann kam wieder einmal der entscheidende Tag. Es war Vollmond. In dieser Nacht wurde es überhaupt nicht dunkel. Was ich vorhatte, war, wenn man es sich richtig überlegte, heller Wahnsinn, aber ich konnte nicht anders. Ich mußte raus!

Die Stunden des Nachmittags flogen dahin. Ich traf alle Vorbereitungen und dachte immer wieder meinen Plan bis ins letzte durch, denn wenn ein Glied dieser langen Kette von Handlungen, die ineinandergreifen sollten, versagte, war ich geliefert.

Jetzt war es soweit. Der Trompeter bekam noch einen letzten Wink. Mit den beiden Stubenkameraden von nebenan, die eingeweiht waren, hatte ich zwei Schlafdecken zusammengeknüpft, die sie bereit hielten. Der gute Falke stellte sich in Position ... er mußte sich an dem auf der anderen Seite liegenden Fenster zeigen und so die Aufmerksamkeit der Posten auf sich ziehen, während mir Oberleutnant Graf später ein Zeichen geben wollte, damit ich wußte, ob unser Eingangstor frei von Wachmannschaften war.

Von fern her schollen die Tritte der abendlichen Ronde. Oberleutnant „Maxe", wie wir ihn getauft hatten, stapfte mit seinen drei Posten zunächst in das Batiment C, und wenige Augenblicke später polterten sie die Treppe schon wieder herunter, um zu uns heraufzusteigen. Da gab Oberleutnant Graf das verabredete Zeichen. Ich verstand ihn nicht recht. Zuckte mit den Achseln. „Frei!" rief Graf, und nun wußte ich, daßmich nur noch Sekunden von dem eigentlichen Antritt meiner Flucht trennten. Das Schloßder Außentür knirschte, „Maxe" kam und warf einen flüchtigen Blick auf uns, die wir zu vieren aufgebaut salutierten.

Die hinteren Taschen meines Waffenrockes standen weit ab. Auch war ich viel dicker als gewöhnlich, da ich meine ganze Ausrüstung wieder einmal am Leibe untergebracht hatte, aber ich machte mein harmlosestes Gesicht, und „Maxe" merkte nichts. Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, da sprang ich in mein Zimmer, vertauschte meine Pioniermütze mit der einer Ordonnanz und verschwand, während „Maxe" mit seinen Leuten, nachdem er die anderen vier Stuben revidiert hatte, zu dem großen Raum, dem sogenannten Festsaal, emporstieg.

Was jetzt kam, spielte sich in wenigen Sekunden ab. Hauptmann Rieß, der meinen Plan kannte, sah mir kurz in die Augen. Ich verabschiedete mich nicht. Hauptmann Weese fragte, was eigentlich los sei, aber ich überließes den anderen, ihm eine Antwort darauf zu geben. Im Nebenzimmer wartete Oberarzt Dr. Hauk, der, statt mir zu helfen, mich zurückzuhalten versuchte.

„Es ist purer Wahnsinn, was Sie tun!"

Da jeder Aufschub meinen Plan vereiteln mußte, fuhr ich ihn an. „Helfen Sie mir! Ich habe alles überlegt .. ."

Da griffen sie zu. Dr. Hauk und mein Kriegsschulkamerad Möhring holten die zusammengebundenen Decken unter dem Bett hervor und ließen sie aus dem Fenster hinaushängen. Ich schwang mich auf die Brüstung, ging in den Stützhang, aber —als ich gerade beginnen wollte, mich hinunterzulassen —spürte ich am Oberschenkel einen Schmerz und hörte zugleich das Geräusch zerreißenden Stoffes, machte kehrt und setzte mich aufs Fensterbrett. Beide Hosenbeine zerrissen, und als ich genauer hinsah, erblickte ich auch einen langen, blutigen Rißim Oberschenkel.

Schöne Schweinerei! Ein rostiger Nagel, der herausstand, war schuld. Na, das schien ja gut anzufangen ! Fest den Knoten der Decke

packend ließich mich, diesmal aber etwas vorsichtiger, zunächst in den Langhang gehend, in die Tiefe.

„Nachlassen !" flüsterte ich.

Die beiden im Zimmer drin arbeiteten tadellos. Langsam ging es hinunter zur Erde. Dann aber stockte das Hinabgleiten. Die zusammengebundenen Decken waren nicht lang genug. Noch schwebte ich ein ganzes Stück über dem Erdboden, drückte mich von der Hauswand weg und sprang. Die Decke wurde wieder hochgezogen und verschwand durch die Fensteröffnung.

So, nun bin ich ganz allein auf mich angewiesen. Der Hof ist frei. Noch decken mich Büsche. Ich schleiche ein paar Schritte vor und spähe vorsichtig um die Ecke. „Maxe" tritt mit dem Laternenmann und dem bärtigen Dolmetscher gerade ins Freie. Zehn Schritte liegen zwischen uns, als sie in angeregter Unterhaltung an mir vorübergehen, um das Batiment M zu erreichen. Keiner blickt sich um. Nun fehlt nur noch der Posten, der das Tor des Stabsgebäudes, durch das sie eben herausgekommen waren, wieder schließen muß. Ich höre das Schlüsselbund klirren und seine Schritte knirschen, als er, ihnen folgend, hinter den anderen drein geht.

Noch ehe sie das Batiment M erreicht haben, richte ich mich auf und gehe, als wäre dies mein gutes Recht, auf meine Ecke zu. Wie verabredet kommt in diesem Augenblick auch der Hornist den Weg entlang, aber ... verflucht —jetzt weißich nicht mehr, was wir eigentlich vereinbart hatten. Steht nun am Lagereingang ein Posten ?

Ich mußfragen. Er schüttelt den Kopf. Gottlob, der Weg ist frei. Rasch sage ich ihm Lebewohl und gehe weiter.

Das war der frechste und gewagteste Augenblick in dieser Kette aufregender Situationen. In diesem Augenblick können uns sämtliche Posten sehen, aber die Gesellschaft denkt nicht daran, daßein „Boche" auf die Idee kommen könnte, zu flüchten, während der Appell stattfindet.

Bis jetzt haben sich alle meine Berechnungen erfüllt. Ich habe ein unverschämtes Glück. Ein Blick zurück zu meinem Zimmer. Dort sind die Silhouetten der Köpfe meiner Kameraden wahrnehmbar, die darauf warten, daßAlarm geschlagen wird. Nun, sie sollen sich täuschen. Mit langsam abgemessenen Schritten gehe ich weiter. Drüben stehen die Posten. Sie sehen mich Wohl, doch halten sie mich für den Trompeter, der sich in diesem Augenblick in Wirklichkeit aber hinter der Speisebaracke aufhält. Dort kann der wackere Stulz zwar auch von Posten beobachtet werden, die aber mich wieder nicht sehen können.

In den nächsten Minuten bekommt mein Selbstvertrauen einen argen Stoß. In der Ecke am Brunnen mußich die betrübliche Feststellung machen, daßich den hohen Mauerhaken, an dem ich mich hinaufziehen wollte, nicht erreichen kann. Was nun ? War ich schon wieder einmal reingefallen ? ——Ich zermartere mein Hirn nach einem Ausweg und beschließe, mich in der Remise nebenan einstweilen zu verbergen.

Glücklich erreiche ich sie, und als ich mich in dem überdachten Vorraum umsehe, entdecke ich in einer Ecke einen Besen mit einem langen, dünnen Stiel. Er mochte dazu dienen, aus sehr hohen Räumen die Spinnweben zu entfernen. Für mich soll er zu einer seltsamen Jakobsleiter in den Himmel der Freiheit werden.

Alles, was ich jetzt tue, geschieht mit einer solchen Selbstverständlichkeit, daßich mich selbst wundere. Ich nehme den Besen, senke ihn, da noch ein Draht zu passieren ist, der zur Wache führt, und ich nicht die Absicht habe, die Franzosen selbst zu alarmieren und auf mich zu hetzen. Der Draht ist kaum zu sehen, aber ich komme drunter durch, ohne ihn zu streifen.

Nun kann die Bergtour beginnen, denke ich, denn schon bin ich wieder in der Brunnenecke zwischen dem Wachgebäude und der Kommandantenwohnung, in die das bleiche, aber doch recht intensive Mondlicht hineinfällt. Beim Kommandanten ist man beim Abendessen. Ganz deutlich kann ich das Klappern der Teller und Bestecke vernehmen, ja, sogar seine Unterhaltung mit seiner Frau und seinem Jungen kann ich hören.

So, wie ich es mir gedacht hatte, klappte die Sache nicht. Ich mußmeinen Besenstiel zweimal ansetzen, ehe der Aufstieg beginnt. Auch der kleinste Vorsprung, die winzigste Mauerritze wird mir zum willkommenen Helfer. Aber schwer ist es doch und anstrengend.

Meter um Meter kämpfte ich mich so in die Höhe. Jetzt mußich etwa vier Meter hoch sein, denn der weiße Kalkstreifen, der sich in dieser Höhe um alle Mauern des Lagers zieht, ist erreicht. Auch ihn hat Franzosentücke ersonnen, um uns Gefangenen die Flucht zu erschweren. Deutlich hebt sich meine schwarze Hose von der weißen Farbe ab. Kommt jetzt unten jemand vorbei, bin ich entdeckt.

Ab er das Glück scheint mir hold zu sein. Ich komme glücklich über den Schutzanstrich, und als ich gerade darüber bin, passiert der erste Posten unter mir.

Schwer pocht das Herz gegen die Rippen. Es hat mich eine ungeheure Kraftanstrengung gekostet, mich in diese Höhe hinaufzuarbeiten. Noch ist das Schwerste aber nicht geschafft. Anderthalb Meter sind es noch bis zur Dachrinne, und schon halte ich das haarige Ende meines hilfreichen Besens in der Hand. Weiter langt er nicht.

Da höre ich wieder Schritte auf dem Kies. Der zweite Posten marschiert vorüber. Ich wage es nicht, mich umzuschauen ... ich lausche nur gespannt. Verstummen die Tritte, dann bleibt der Posten stehen und mußmich entdecken. Die Pulse jagen. Fürchterliche Gedanken wirbeln durch mein Hirn. Wird er schießen, wenn er mich sieht ? Werde ich in der nächsten Minute schon tot sein oder nur schwer verwundet ...

Mein Herz schlägt so laut, daßich fürchte, es könnte das Knirschen der Postenschritte übertönen. Aber gottlob, wie der Takt einer schnarrenden Bauernuhr verlieren sie sich in der Ferne. Vorsichtig blicke ich mich um und schiele über meine Schulter hinweg. Den Kopf nach dem Innern des Hofes gerichtet und den braven Hornisten beobachtend, der geschickt die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken versteht, entschwindet der Poilu.

Jetzt mußt du beten, fährt es mir durch den Sinn, Gott danken ... aber noch bin ich ja nicht endgültig gerettet und verschiebe es, bis ich jenseits der Mauer bin. Mühsam geht es weiter empor. Meinen Besen nehme ich mit. Er soll mir helfen, auf der anderen Seite wieder hinunter zu kommen. Und dann —bliebe er stehen, so könnte er den Verdacht der Posten erregen.

Nun bin ich etwa in Höhe des ersten Stockwerkes, nur zwei Meter von jenem Fenster entfernt, hinter dem der Lagerkommandant zu Abend ißt ... jetzt kann ich mit der Hand die Dachrinne erreichen. Unheimlich kracht das vermaledeite Wellblech. Es klingt geradezu unheimlich in der Stille dieser Nacht. Aber das ärgste ist überstanden. Noch ein Klimmzug —ich schwinge mich hinauf und stehe schwer atmend auf dem Dache. Einen Augenblick gönne ich mir Ruhe. Nicht lange, aber die wenigen Sekunden scheinen mir, wie Ewigkeiten.

Noch mußich aber an der Dachrinne entlang weiter nach rückwärts. Efeu spinnt dort seine immergrünen Ranken. Ich stehe neben einem backsteinernen Kamin, da höre ich Stimmen. „Maxe" komm mit seinen Begleitern. Sie plaudern harmlos. Wild schlägt mein Herz. Ganz still stehe ich. Nur keine Bewegung. Rot wirkt in dieser Beleuchtung wie Schwarz. Ich hebe mich vom dunklen Grunde der Ziegel nicht ab, wenn ich mich nicht bewege. Meine Hände halte ich vor das helle Gesicht. Sie, die vor ein paar Minuten auch noch weißwaren, sind tiefschwarz von dem Dreck der Dachrinne.

Befreit atme ich auf. Als der Offizier vom Dienst mit seinen Leuten vorbei ist, lege ich mich in den Efeu und warte. Da leuchtet mir ein funkelndes Augenpaar entgegen. Ein Kater ist's, der an mir vorbei zum Dachfirst emporklettert. Einen Augenblick bleibt er neben mir stehen, starrt mich verwundert an, und setzt dann friedlich seinen Weg fort.

Unten im Lagerhof machen die Wachen ihre Runden. Vorläufig bin ich jetzt in Sicherheit. Ich sehe toll aus. Die Hosen sind zerrissen, vollkommen verschmutzt und mit Blut befleckt, das noch immer aus der langen Schramme sickert. Schmerz spüre ich nicht, aber ich bin völlig in Schweißgebadet, und mein Herz will sich nicht beruhigen. Der Abend ist herrlich warm. Ich öffne meinen Rock und lasse den leisen Nachtwind über meine patschnasse Brust streichen ...

Im Grunde ist meine Situation recht günstig. Auf der anderen Seite geht es weit leichter hinunter als drüben in die Höhe. Es ist geradezu ein Kinderspiel. Aber was werde ich dort finden ? Vielleicht fährt mir ein Hund zwischen die Beine, der mich verrät. Eben wird im Lager unten der große Polizeihund von der Außenrunde in den Stall gebracht, auf dessen Dach ich stehe. Das dumme Luder hat nichts gemerkt. Erst nach dem zweiten Blasen, wenn der Hornist auch eingeschlossen worden ist, wird er freigelassen.

Vor mir liegen zwei Höfe. Links ein kleiner schmaler. Im Hause, das ihn zur Straße hin abgrenzt, sehe ich Licht. Darum entschließe ich mich lieber für den anderen. Dort rührt sich nichts. Verschlossene Fenster ... ein unheimliches Schweigen. Ich hole eine Wickelgamasche heraus, binde meinen Besen daran und lasse ihn in den Hof hinunter. Natürlich, da poltert's auch schon. Ich lausche, aber es war doch nur der Besen gewesen, der unten aufgeschlagen war.

Nun beginnt der Abstieg. Die Mauer wird von Efeu bewuchert, das sich an einem Gitter emporrankt. Ich klammerte mich an dem Draht dieses Gitters fest, er zerschneidet mir schmerzhaft die Handflächen. Es hilft nichts, das mußich eben aushalten. Wenn auch mit ein paar Kratzern und Beulen, ich komme heil unten an. Ein paar Minuten stehe ich lautlos und erwarte, daßman mich entdeckt. Denn wer konnte wissen, ob hier oder im Nebenhof nicht noch Außenposten aufgestellt worden waren.

Nichts geschah. Ich war also wirklich aus dem verhaßten Lager heraus und sprach ein leises Dankgebet vor mich hin, so glücklich

machte mich die junge Freiheit. Jetzt konnte die Naherkundung beginnen. Ich tastete mich über den Hof an das Vorderhaus heran, entdeckte einen Durchgang, der nach dem Marktplatz von Montoire führen mußte und wagte mich hinein. Nach ein paar Metern stand ich jedoch vor einem verschlossenen Eisentor.

Auf dem Marktplatz herrschte reges Leben, es brannten Lichter und der Singsang vieler Stimmen klang in den dunklen Gang hinein.

Vorsichtig zog ich mich wieder in den Hof zurück und suchte alles

nach einem anderen Ausgang ab. Aber es fand sich nichts. Überall hohe Mauern; rechts uns links standen größere Gebäude, so daßich mich entschloß, zunächst einmal den auf meinem Hofe befindlichen Holzschuppen einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen. Die Türen standen offen. Ich tappte in eine Gerümpelkammer, in der Kisten und Fässer unordentlich durcheinanderstanden.

Zwischendurch horchte ich immer wieder einmal nach draußen. Aber nichts bewegte sich; das ganze Grundstück schien ausgestorben zu sein —ein verwunschenes Märchenschloß. Nur vom Marktplatz herüber

drang Geschrei, Lärm und Musik. Lange schon war im Lager neben mir das Signal „Licht aus !" verklungen. Ich überlegte, ob ich über die Dächer hinweg in einen der anderen Höfe steigen und dort einen Ausweg suchen sollte. Hier jedenfalls war ich ganz dicht neben dem verhaßten Gefangenenlager wieder einmal gefangen.

Da sich auch im Vorderhaus nichts rührte —die Bewohner schienen verreist —, schlich ich mich nochmals zu dem großen Tor, machte eine Luke auf und konnte auf den Marktplatz hinaussehen. Dort herrschte wogendes Leben.

Ich schloßden stark vergitterten Eisenladen wieder, wagte ein Zündholz aufflammen zu lassen, um das Schloßdes Tores einer gründlichen Prüfung zu unterziehen. Ein eiserner Hebel war herumzudrehen, dann gingen oben und unten die beiden Riegel zurück. Das Schloßjedoch war zweimal herumgeschlossen. Wenn es mir gelang, den Hebel, der allerdings auch noch festgeschlossen war, herunterzudrücken, so konnte ich vielleicht mit etwas Gewalt die beiden Torflügel zugleich aufreißen und damit auch das Schloßöffnen.

Mit aller Kraft hängte ich mich an den Hebel. Er gab nach und verbog sich, noch ein heftiger Ruck —die beiden Türflügel bewegten sich frei. Noch aber klemmte das Schloßdazwischen. Ich verursachte ziemlichen Lärm, aber dann war auch das letzte Hindernis überwunden. Jetzt hatte ich die Möglichkeit, auf den Marktplatz hinauszutreten, wenn ich das Tor ganz aufriß. Das tat ich aber nicht, sondern schlich in den Hof zurück und bereitete mich für dieses Wagnis vor.

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