ALS FAHNENJUNKER IM AUSLAND"

 

Nun hießes endgültig Abschied nehmen von der leichtsinnigen und unbeschwerten Jugendzeit, Abschied nehmen auch vom heimatlichen Bayernland, denn ich sollte ja nach Württemberg „auswandern". Als ich mit meinem Vater durch die Wache in die Kaserne des württembergischen Pionierbataillons 13 eintrat und wenige Augenblicke später vor meinen neuen Vorgesetzten stand, da klopfte mein Herz doch recht stürmisch, und es ist kaum anzunehmen, daßich in meinem Abiturientenfrack, den ich zur Feier des Tages angezogen hatte, eine besonders gute Figur machte.

Ach, wie vertraut war mir Ulm, die herrliche Donaustadt mit dem hoch in den Himmel hinaufragenden Münster ! Wie gut kannte ich hier jede Gasse und

jeden Winkel, obwohl doch schon anderthalb Jahrzehnte vergangen waren, seit meine Eltern im benachbarten Neu-Ulm gewohnt und ich als kleiner Schulbub durch die Straßen der Stadt zum Gymnasium gelaufen war. Damals hatten die Kasernen und Bastionen unten an der Donau etwas geheimnisvoll Drohendes für uns gehabt; die Schießscharten, die aus den Ecktürmen zum Flußhinunterblickten, hatten uns diese Befestigungen als gruselige Ritterburgen längst vergangener Zeiten erscheinen lassen. Und dann . . . es war ja Ausland, war ja Württemberg, und dazwischen lag breit und trennend die Donau, die „Grenze".

Drüben lag ein anderes Land, über dem düster die schwarz-roten Fahnen wehten —gar nicht so lustig und frisch wie unsere weißblauen. Drüben gab's auch anderen Soldaten, in dunkelblauen Röcken und schwarzen Hosen, die ihnen ein strenges und tristes Aussehen verliehen. „Was, du gehst ins Ausland ?" hatte mein siebzigjähriger Onkel gefragt, als er hörte, daßich in Ulm bei den Pionieren eintreten wollte. Vorwurfsvoll, ja, fast entsetzt hatte das geklungen, und dabei lag dieses „Ausland" doch nur knappe siebzehn Kilometer weg von Pfaffenhofen, wo mein guter Onkel wohnte. Er, der das Jahr 48 noch erlebt hatte, der 66 mit dabei war, für ihn, der andere Zeiten gesehen hatte und sich nie so recht an die Einheit des großen Deutschlands gewöhnen konnte, die im Spiegelsaal zu Versailles geschaffen worden war . . . für ihn blieben die Grenzen zwischen den deutschen Stämmen weiterbestehen, und es erschien ihm unfaßbar, daßeiner seiner Neffen nun in einem anderen Lande Soldat werden sollte.

An ihn mußte ich in den ersten Tagen meiner Militärzeit viel denken, aber bald hatte ich mich in der „Fremde" eingelebt und fühlte mich den biederen und wackeren Schwaben, die mir jetzt auf Schritt und Tritt begegneten, rasch zugehörig. War ich doch selbst ein Schwab —wenn auch nur ein bayerischer. Zum zweitenmal in meinem jungen Leben trug ich jetzt also wieder den bunten Rock, und als der Uniformschneider auf Kammer an dem schlechtsitzenden Kommißzeug herumhantierte, da spürte ich es ganz deutlich: nun stand der Lebenswagen wieder auf dem richtigen Geleis. Was damals durch meinen Rausflug aus dem Kadettenkorps so jäh unterbrochen worden war, hier wurde es fortgesetzt. Endlich hatten die Pläne und Zukunftswünsche, auf die mein ganzes Denken und Trachten all die vergangenen Jahre hindurch gerichtet gewesen war, ihre Erfüllung gefunden.

Schnell waren die Monate der Einzelausbildung vorbei, und ehe man sich's versah, steckte man mitten drin im Kompaniebetrieb. Die erste Feuerprobe hatten wir Fahnenjunker bestanden. Nun konnten wir ins Kaisermanöver ziehen. Märsche, Schanzen, schmetternde Hörner und dann : . . . „Das Ganze halt !", das die Erlösung nach all den Strapazen brachte, die wir in unserer Begeisterung gar nicht gespürt hatten.

Auf dem Cannstatter Wasen standen wir, dem Exerzierplatz der Stuttgarter Garnison. Hier war das ganze 13. Armeekorps zusammengezogen worden zur großen Kaiserparade, als ein wildes, nie gehörtes Rauschen näher kam und die Luft mit gewaltigem Brausen erfüllte. Hoch über uns hin zog am blauen Himmel ein Zeppelin sieghaft seine Bahn. Der erste Zeppelin! -

Wir Junker wurden nach dem Manöver zu Gefreiten befördert. Der Winter brachte das Kommando auf die Kriegsschule nach Hannover. Hörsaaldienst, Exerzieren, Reiten, Turnen und Fechten . . . das war eine wunderschöne Zeit. Der Dienst machte Freude, und nach leichtsinnigen Streichen, die manchem der Kameraden den Hals brachen, gelüstete es mich nicht mehr. Meine Hörner waren abgelaufen. Die Schlußprüfungen gingen ohne Schwierigkeiten vorüber, und ich konnte mich wieder beim Bataillon zurückmelden. Da auch die Beurteilung der Kriegsschule gut ausfiel, war mein Kommandeur zufrieden, und ich wurde gleich zum Degenfähnrich ernannt.

Aber so ganz ungetrübt war die Freude darüber nicht, denn nach alter Tradition wurde ich im Kasino heftig gefrozzelt. Man trank mir öfter zu, als es unbedingt nötig war, und freute sich darüber, daßich von meinem Stuhl hochspritzen mußte, um Bescheid zu tun. Denn noch war ich ja Untergebener. Diese freundschaftlichen Neckereien taten nicht weh, sie gehörten dazu und ließen sich ertragen, denn jetzt war ja der Tag nicht mehr fern, an dem die Beförderung zum Leutnant herauskommen mußte.

Das Militärverordnungsblatt erschien, der Schneider hatte schleunigst die Achselstücke auf den Rock zu nähen: ich war Leutnant geworden. Und wieder trank man mir im Kasino zu, wieder öfter als nötig, jetzt aber mußte ich mich zusammennehmen, um nicht jedesmal aufzuspringen, wie ich es bisher getan hatte. Ich war Kamerad unter Kameraden, und ganz einfach war es nicht, der neuen Würde gerecht zu werden. Das Ziel war erreicht. Ich dachte nicht daran, daßunter den silberblitzenden Achselstücken die herrliche Jugendzeit begraben lag, daßsie unwiederbringlich dahin war. Ich kam auch gar nicht dazu, daran zu denken. —Wunderschöne, erste Leutnantszeit. Beim Abendschoppen, auf dem Tennisplatz, bei den Bällen . . . überall waren wir zu finden. Am allermeisten selbstverständlich auf dem Kasernenhof. Machte der Dienst auch müde, wir scherten uns nicht darum.

Die Zeit der ständig drohenden Gewitter mit ihren gefährlichen Einschlägen schien endgültig vorüber. Buntbewimpelt zog mein Lebensschifflein friedlich auf dem breiten und ruhigfließenden Strom des Lebens dahin. Schön war das gesellschaftliche Treiben in der Garnison, zu schön fast für uns junge Leutnants . .. noch schöner aber war's doch, wenn in der Morgenfrühe der Feldwebel die Kompanie meldete und es hinausging auf die Übungsplätze. Ich mochte sie alle gern: den Feldwebel, die Unteroffiziere und meine Leute. Hatte einer was ausgefressen, dann gab es ein Donnerwetter, das nicht von schlechten Eltern kam, und zum Schlußein gutes Wort. Damit war der Fall endgültig erledigt, und niemand trug dem anderen etwas nach.

War dann der Dienst vorüber, trat auch die Häuslichkeit in ihre Rechte. Meist bestand sie nur aus einem einfachen Zimmer irgendeines schlichten Bürgerhauses, denn viel Geld hatten wir ja alle nicht.

Nur wenige von uns, denen ein glückliches Schicksal einen stabilen Wechsel beschert hatte, konnten sich „richtige" Wohnungen leisten. Das war selbstverständlich der höchste und meist unerfüllbare Wunschtraum eines kleines Leutnants —eine eigene Behausung zu haben und unabhängig zu sein von polternden oder keifenden Hauswirten beiderlei Geschlechts.

Ich besaßniemals viel Geld. Wir waren viel Geschwister, und dementsprechend blieb mein Zuschußrecht klein. Aber eine Wohnung zu besitzen . . . diese Perspektive erschien mir so verlockend, daßich dafür gern etwas opfern wollte. Außerdem war ich des ewigen Umherziehens müde und wollte endlich einmal seßhaft werden. Wo ich den Mut dazu hernahm, weißich heute noch nicht. Jedenfalls mietete ich mir nahe meiner Kaserne eine winzige Zweizimmerwohnung. Der Termin des Einzuges rückte immer näher, aber noch wenige Tage davor ahnte ich nicht, was ich in die zwei kleinen Zimmer, in die Küche und das Bad stellen sollte. Geld hatte ich nicht, Möbel waren auch nicht vorhanden, und pumpen ... nein, das kam überhaupt

nicht in Frage. Doch als es schließlich so weit war, hatte ich meine Behausung ganz passabel eingerichtet, ohne daßich mich großin Unkosten gestürzt hatte. Wenn man nicht genau hinsah, konnte man mein „Schloß" sogar als „schick" bezeichnen, und die Kameraden haben mich weidlich darum beneidet.

Die Bilder, die als Hauptattraktion an den Wänden hingen, waren ebenso eigenes Fabrikat, wie die gemeinsam mit meinem Burschen rasch zusammengeschlagenen, goldbronzierten Rahmen. Eine auf Beine gesetzte Schießscheibe vom Kompanieschießen bildete den Schreibtisch, eine zweite die Tafel, an der ich meinen Kaffeebesuch bewirtete. Von meiner Mutter erbettelte ich mir eine alte Bettmatratze, setzte sie auf Klötze, breitete eine Decke darüber fertig war die Chaiselongue, die glänzend wirkte, solange man sich nicht daraufsetzte oder gar einen Blick darunterwarf. Auch die Gardinen und Fenstervorhänge waren „Handarbeit" und konnten mit Hilfe von Bindfaden, die ich sorgsam gesammelt hatte, auf- und zugezogen werden. Auf diese billige und recht amüsante Weise kam die ganze Einrichtung zusammen. Allerdings, viel hämmern mußte ich dabei, was mir, da es meist nachts geschah, die Kündigungsdrohung meines neuen Hauswirts eintrug.

Nur mit meinem Bett erlebte ich leider eine Katastrophe. Das Schlafzimmer war außerordentlich klein, so daßich mich entschloß, weiter nichts als ein Bett, das dafür um so größer werden sollte, hineinzustellen. Der Rahmen wurde nach Maßangefertigt, während ich den Sprungfederboden selbst baute. Aber —o Schreck I —als ich den Schaden besah, hatten die teuren Federn so viel Geld gekostet, daßes nur noch zu einer ganz dünnen Schicht Sisalgras reichte, die darübergelegt wurde. Erst nachdem sich meine Finanzen etwas erholt hatten, kam dann von Zeit zu Zeit immer wieder eine neue Schicht drauf, bis die Lagerstatt zu guter Letzt recht weich und behaglich wurde. Mit der Zeit wurde meine Behausung sogar empfangsfähig, und an meinem Geburtstag sollte sie festlich eingeweiht werden. Ein großes FaßBier wurde im Badezimmer aufgestellt, die drei Musiker, die für den nötigen Lärm sorgen sollten, saßen in der Küche, und die übrigen Gäste durften sich auf die Flucht der übrigen Gemächer verteilen. Es war ein wunderschönes Fest, aber als am Morgen die Letzten gegangen waren, sah meine unter so großen Mühen eingerichtete Wohnung leider stark verbraucht aus. Ich habe vierzehn Tage heftig schuften müssen, um die Schäden wieder zu reparieren.

Daßmeine Gardinenschnüre verschwunden waren, ließsich ja noch ertragen. Es hatte meinen Kameraden eben so großes Vergnügen bereitet, Kerzen an die Schnurenden zu halten und sich darüber zu wundern, daßdie Funken lustig nach oben weiterglimmten. Aber mein Kleiderschrank, mein schöner Kleiderschrank Der hatte einen tollen Knacks abbekommen. Eigentlich traf die Bezeichnung für dieses Möbel nicht zu. Es war nur eine Art Staubverhinderung und bestand aus einem festen Leistenrahmen, den ich mit Pappe benagelt und schön angestrichen hatte. Beim Nachhausegehen war einer meiner Kameraden in den Kasten hineingefallen, und es hatte vieler guter Worte bedurft, ihn dazu zu bewegen, meinen Kleiderschrank wieder zu verlassen ...

Leider währte die Freude an dem eigenen Heim nicht sehr lange. Ich wurde auf die Militärtechnische Akademie nach Berlin versetzt und überließes einem Freunde, der es redlich gehütet hat. Für eine Weile war es jetzt aus mit dem frisch-fröhlichen Garnisondienst. Der Pionier ist ja nicht nur Soldat; er mußauch von der Technik etwas verstehen. Wenn auch das Minieren und Pontonieren beim Bataillon mir schon viele praktische Kenntnisse vermittelt hatte, die besonderen Anforderungen, die an unsere Truppe gestellt wurden, machten eine Spezialausbildung nötig. In Berlin sollten wir die wissenschaftlichen Grundlagen unserer Arbeit kennenlernen, und wer ganz besonders erfolgreich war, konnte ein noch längeres Kommando erhalten, das ihm das Studium auf der Technischen Hochschule ermöglichte. Für mich war der Aufenthalt in Berlin und der Besuch der Militärtechnischen Akademie ganz besonders wertvoll. Der Lehrstoff interessierte mich außerordentlich, wobei mich mein zeichnerisches Talent und meine praktische Ader unterstützten.

Da ich hier auch nicht mehr Geld hatte als in Ulm und das Pflaster teuer war, sah ich mir die Theater und Cafes meist von außen an. Um nicht auf dumme Gedanken zu kommen, malte ich viel in meiner freien Zeit. Das brachte mich über manche langweilige Stunde, vor allem aber über die chronische Ebbe in meiner Börse am Monatsende hinweg.

Ich habe nie gepumpt. Das lag mir nicht. Nur einmal, als es ganz besonders schlimm war, nahm ich mein Fernglas, trug es zum Versatzhaus und wartete geduldig mit den anderen Geldbedürftigen vor dem Schalter. Man behandelte mein gutes Glas dort sehr geringschätzig, gab mir mit Gönnermiene nicht mehr als zehn Mark, und am nächsten

Ersten habe ich es dann gleich wieder eingelöst. Damit war ich auf alle Zeiten von Leihhäusern kuriert. So manches Mal bin ich auch mit einem Bataillonskameraden von der Uhlandstraße bis zu Aschinger in der Friedrichstraße marschiert, um dort bei einem Glase Bier viele, viele Brötchen zu vertilgen, die nicht extra berechnet wurden. Auch manche Einladung wurde mit großzügiger Geste abgelehnt, nicht, weil wir anderweitig vergeben waren, sondern weil uns die fünfzig Pfennig fehlten, die man beim Abschied den dienstbaren Geistern in die Hand drücken mußte.

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