IM LUFTKAMPF ABGESCHOSSEN

 

Im Abschnitt der Sommefront war Ruhe eingetreten. Wir zogen nach Etreillers um, und da ich infolge des Umzuges in den letzten Tagen wenig zum Fliegen gekommen war, nützte ich die Mittagsstunden, als das Wetter sich ein wenig aufklärte, dazu aus, einmal drüben beim Feind nach dem Rechten zu sehen. Ich hatte vor, über den Wolken hinüberzuziehen, dann durch ein Wolkenloch nach unten durchzustoßen, um aus niedrigster Höhe meinen Bombensegen wirksam abzusetzen. Das hatten wir schon oft getan und scheinbar dadurch den Feind zu Gegenmaßnahmen angeregt. Denn als wir in der Nähe der Front waren, sahen wir plötzlich über der Wolkendecke zwei Newports Sperre fliegen. Uns war es schon recht, hier oben in den Luftkampf zu kommen. Rüger schoßgut, und ich hatte ja mein M.-G. mit dem Zielfernrohr.

Wir stießen aufeinander zu. Unsere beiden Gegner trennten sich, während wir zwischen ihnen hindurchflogen. Das Maschinengewehr im Anschlag, wartete ich auf die Sekunde, in der die eine feindliche Maschine

im Fadenkreuz erscheinen mußte. Gerade hatte ich sie, da prasselte etwas in unser Flugzeug. Im selben Augenblick bekam ich einen fürchterlichen Schlag gegen den Oberschenkel und glaubte, mein Bein sei abgeschlagen, Benzin spritzte herum, der Motor spuckte Feuer und stand. Rüger schien unverletzt. Ich hieb ihm auf die Schulter, brüllte: „Runter !" —schon stellte er die Kiste auf den linken Flügel, sie rutschte ab, und wir fielen in die Wolken. Als wir in etwa 200 Meter Höhe herauskamen, nahmen wir Kurs nach Osten und schwebten im Gleitflug unseren Linien zu. Um uns zischten und pfiffen die Drähte der Verspannung, unter uns knatterten die Maschinengewehre, ich sah, wie der Feind im Graben Gewehre auf uns richtete. Dann schwebten wir über das Niemandsland, setzten dreißig Meter hinter unserer vordersten Linie auf und überschlugen uns.

Ich war in Benzin gebadet, lag hilflos im Beobachtersitz und konnte nicht hinaus. Rüger war bei dem Sturz völlig unversehrt geblieben und machte die größten Anstrengungen, mich aus meiner unglücklichen Lage zu befreien. Schließlich gelang es ihm, wir krochen durch drei oder vier Granattrichter, wo ich dann zusammenbrach. Ich konnte mein Bein oberhalb des Knies vorwärts und rückwärts drehen. Schnell rissen wir die Hose auf, ich holte die Verbandspäckchen aus meinem Rock heraus, mit denen Ein- und Ausschüsse, so gut es ging, verbunden wurden. Dann lösten wir meine Wickelgamasche und machten damit den Verband noch fester. Ich blutete fürchterlich. Während wir uns mit meiner Wunde beschäftigten, mußten wir volle Deckung nehmen, denn nun fegten die Geschoß-. garben in unser Flugzeug hinein, der Dreck überspritzte uns, wir lagen vollkommen hilflos in unserem Trichter. Dann stoppte das Maschinengewehrfeuer. Die Geschütze begannen ihre Tätigkeit. Man eröffnete ein wildes Trommelfeuer, um unsere Maschine zu vernichten.

Ich konnte nicht weg, aber ich bat Rüger inständig, doch zu versuchen, in den 50 Meter entfernten Graben zu gelangen. Er weigerte sich beharrlich und wollte mich nicht im Stich lassen. Erst als ich ihm den dienstlichen Befehl gab, schlich er davon. Unaufhörlich schlugen die Granaten um und in das kaum zehn Meter entfernte Flugzeug, ich mußte mich am Boden festkrallen, um von dem Luftdruck der Explosionen nicht weggeschleudert zu werden. Etwa nach einer halben Stunde, als man drüben glaubte, uns den Garaus gemacht zu haben, verstummte das mörderische Feuer wieder.

Lange lag ich allein und hatte Zeit, darüber nachzudenken, was nun aus mir werden würde. Mein Bein schien kaum noch gerettet werden zu können. Der starke Blutverlust hatte mich geschwächt. Wirre Träume kamen und gingen. Ich sah weiße Betten, aber wenn ich aufschreckte und mich umsah, dann lag ich noch immer in meinem Trichter und sehnte mich danach, jemand die Hand zum Abschied schütteln zu können.

„Her Oberleutnant Herr Oberleutnant!" . . . das war Rüger, der zurückkam, um mich zu suchen. Matt antwortete ich und begann, in seine Nähe zu rutschen. Den Unterschenkel hatte ich mit der anderen Wickelgamasche festgebunden, damit er nicht wegbaumelte. über uns weg brummten zwei Walfische, die Kameraden, die über der zerstörten Maschine kreisten und dann weiterflogen. Die Meldung unseres Abschusses war also durch, jetzt glaubte man nicht mehr daran, daßwir noch am Leben waren. Fast noch eine Stunde lag ich mit Rüger in einem leeren Graben, als zwei feldgraue, erdbekrustete Gestalten auftauchten und mich ergriffen und in schnellem Lauf in die Stellung schleppten. Kaum waren wir in Deckung, da trommelten die M.-G.s schon wieder.

In einem Sanitätsunterstand bekam ich eine Tetanusspritze. Ich wurde müde, schlief ein, und als ich erwachte —von furchtbaren Schmerzen geplagt —lag ich auf einer Bahre, die von Sanitätern getragen wurde. Um uns herum krachten die Granaten. Ich glaubte mehr als einmal, meine Begleiter würden mich hinfallen lassen, um in Deckung zu gehen, aber dann erreichten wir doch den Sanitätswagen, der mich ins Feldlazarett brachte. Am nächsten Morgen ging es weiter nach St. Quentin, wo man mich für zwei Monate in den Streckverband tat.

Anfang April erst konnte ich mich, an zwei Stöcken gehend, bei meinem Geschwader melden. Ein Glück, daßich bei der Meldung wenigstens den einen Stock draußen stehengelassen hatte, denn mein neuer Kommandeur schien meiner Felddiensttauglichkeit, die ich mir eigentlich nur durch gutes Zureden erschoben hatte, nicht sehr zu trauen. So aber bekam ich die Staffel 10, bei der ich —anfangs sehr zum Mißvergnügen meiner Besatzungen —all das einführte, was wir bei meiner alten Staffel entwickelt hatten. Während meines Aufenthaltes im Lazarett waren viele Veränderungen eingetreten. Die Kampfgeschwader hatte man zu Bombengeschwadern umgemodelt, und unsere Formation sogar zu einem Nachtbombengeschwader. Auch die ersten Großflugzeuge kamen jetzt ins Feld, allerdings erwarben sie sich zunächst wenig Freunde, weil die Piloten alles ablehnten, was sie nicht kannten. Dann waren auch verschiedene Besatzungen mit den neuen Kisten abgeschmiert, und nun sollten sie als unbrauchbar wieder in die Heimat geschickt werden.

Ich ließmir die noch vorhandenen Großflugzeuge geben und stellte fest, daßsich mit ihnen schon etwas anfangen ließ, wenn man sie richtig einsetzte. Es wäre sinnlos gewesen, sie gleich bei Nacht, zu fliegen. Darum flogen wir sie am Tage im Geschwader mit anderen und leichteren Maschinen. Die großen Kästen übten nicht nur eine starke moralische Wirkung auf den Feind aus, sondern waren auch in der Lage, fast das Vierfache an Bombenlast zu schleppen wie die bisher verwendeten Flugzeuge. Später wurden die Albatrosmaschinen vom Typ AEG G 4 abgelöst, mit dem man bis zu tausend Kilogramm Bomben mitnehmen konnte. Es wurde geradezu ein Sport, die Zuladung immer weiter zu steigern, bis es mir im Jahre 1918 sogar gelang, 1500 Kilogramm mitzunehmen. Herrlich war dieses Schaffen in Montigny le France bei der Staffel 19, nachdem das erste Mißtrauen überwunden, das Ganze zu einer geschlossenen Einheit zusammengeschweißt war und immer bessere Erfolge erzielt wurden. Auch meine erste militärische Strafe bekam ich damals, als ich mit Leutnant Felten zum erstenmal nach Paris flog und Bomben warf.

Die Oberste Heeresleitung hatte zwar den Befehl erteilt, das ganze Geschwader zu einem Bombenangriff auf die französische Hauptstadt anzusetzen. Es kam leider nicht dazu, und wir erhielten die Weisung, unsere Zelte abzubrechen, um nach Flandern zu gehen. Damit wäre es aus gewesen mit dem Flug nach Paris, auf den wir uns so gefreut hatten. Darum sagten wir nichts, stiegen heimlich auf und ernteten bei der Rückkehr große Begeisterung. Noch ein zweites Mal zogen wir zur Seinestadt, die aber nun nicht mehr beleuchtet war. Dafür zeigten uns die Mündungsfeuer der „Flaks" desto deutlicher die Ziele für unsere Bomben. Diesmal kam auch eine andere Besatzung mit, die es sich ebenfalls nicht nehmen lassen wollte, vor dem Abrücken nach Norden auch einmal Paris anzugreifen.

Das dicke Ende aber sollte nachkommen: kaum waren wir heimgekehrt, da fragte die Oberste Heeresleitung beim Geschwader an, warum dieser Angriff mit so unzureichenden Mitteln unternommen worden war. Meinem Kommandeur war das sehr peinlich, und als wir nach Flandern kamen, erhielt ich in einer streng vertraulichen Staffelführerbesprechung, bei der ich die Verantwortung für meine Besatzungen auf mich nahm, einen Verweis. Ich steckte ihn ein, erzählte meinen Leuten nicht einmal davon, und das Geschwader konnte jetzt melden, daßich wegen meiner Eigenmächtigkeit bestraft worden sei. Mein Kommandeur hatte das nicht gern getan. Er mußte, und übel nahmen wir uns auch nichts, denn schon am gleichen Abend haben wir im Kasino den Schmerz gemeinsam bei einem schönen Fest begossen.

Wir lagen nun in der Nähe von Gent, machten große Bombenflüge meist in geschlossenen Verbänden und stifteten viel Schaden drüben beim Feind. Auch Dover statteten wir einen Besuch ab und stellten dabei fest, daßes gar nicht so weit nach England war. Die Arbeit bei der Staffel machte helle Freude, denn ich hatte viel Gelegenheit, mich auch fliegerisch auszubilden. Wenn man Beobachter war, dann stellte sich auch bald der Wunsch ein, das Fliegen selbst zu lernen, um nicht immer auf Gedeih und Verderb den Piloten, die rasch wechselten, ausgeliefert zu sein. Aber wenn man erst einmal Beobachter ist, und noch dazu ein guter, dann geht eher ein Kamel durch das Nadelöhr, als daßdieser Beobachter Flugzeugführer werden kann. Es war begreiflich, daßsich die vorgesetzten Dienststellen dagegen sträubten, denn Fliegen kann man in ein paar Wochen, wenn es hoch kommt, in ein paar Monaten lernen, während man viel längere Zeit dazu braucht, ein tüchtiger Beobachter zu werden. Da Gesuche doch keine Aussicht auf Erfolg hatten, quälte ich mich damit erst gar nicht ab, sondern fuhr gelegentlich eines Heimaturlaubes zu meinem alten Abteilungsführer, der inzwischen Führer der Fliegerersatzabteilung in Böblingen geworden war, und setzte es durch, daßich bei ihm fliegen lernen durfte. Nach drei Tagen versuchte ich den ersten Alleinflug und stellte bei der Landung meine Kiste kopf. Geknickt wie mein Fahrgestell und der Propeller, überlegte ich, was ich falsch gemacht hatte. Leider fiel mir das erst jetzt ein, nachdem es zu spät war. Am nächsten Tag flog ich noch dreimal mit meinem Fluglehrer, startete dann wieder allein und machte noch am gleichen Abend die vorgeschriebenen Prüfungslandungen. Alles ging gut, ich hatte das Pilotenzeugnis in der Tasche und durfte mich noch acht Tage in Berlin von den Aufregungen dieser Schulzeit erholen.

Als ich wieder ins Feld kam und versuchte, die noch fälligen Prüfungen zu absolvieren, wurde mir meine Bitte glatt abgeschlagen. Erst als ich Staffelführer wurde, kam ich wieder zum Fliegen. Ich hatte mir frontunbrauchbare Jagdeinsitzer besorgt, die ich herrichten ließ, selbst flog oder meinen Piloten gab —als Lohn für ihre Tüchtigkeit. Auf jeden Fall war es aber für mich ein großer Vorteil, daßich nicht nur Beobachter, sondern auch Pilot war und bei technischen Fragen mitsprechen konnte.

Unten in Italien war der Durchbruch an der Piave gelungen. Die Armeekorps wälzten sich hinter den Italienern her. Um Weihnachten herum kam der Vormarsch zum Stehen, und wir hörten, daßein Teil unseres Geschwaders an die Südfront kommen sollte. Diebisch freuten wir uns, als wir erfuhren, daßwir mit dabei waren und begannen mit Hochdruck daran zu arbeiten, auch wohlausgerüstet nach Italien zu gehen. Von früh bis abends schuftete das Monteurpersonal begeistert in den Hallen und freute sich darüber, bei mir Anerkennung zu finden. Acht Großmaschinen hatte meine Staffel damals. Aber damit war ich nicht zufrieden. Wir hatten ja Erfahrung, wie man weitere Flugzeuge „beschaffte" und sorgten für die Auffüllung unseres Parks. Als wir in Italien ankamen, besaßen wir darüber hinaus noch sieben weitere Kampfflugzeuge. Der Geschwaderkommandeur wunderte sich zwar, als er den ganzen Klumpatsch sah, den wir mitgeschleppt hatten, aber er ließuns gewähren. Da er selbst Flugzeugführer war, kam er gern zu meiner Staffel und ließsich eine Maschine geben.

Die vielen Flugzeuge hatten wir uns hauptsächlich für die Tagbombenflüge besorgt, zu denen wir dann leider kaum kamen, weil die Nächte meist so schön und klar waren, daßes überflüssig schien, sich bei Tage der Gefahr feindlicher Abwehr auszusetzen. Dafür richteten wir es aber so ein, daßalle Maschinen klargemacht wurden, damit wir wechseln konnten, um möglichst viel Feindflüge in einer Nacht zu machen, ohne uns damit aufhalten zu müssen, frisch zu tanken und neue Bomben einzuhängen. Wir kamen zurück, die andere Kiste lief bereits ... Vollgas, und wieder hinüber zum Feind. Einmal brachte ich es nach diesem System mit verschiedenen Flugzeugführern auf sieben Flüge während einer einzigen Nacht.

Aber nicht nur ich, der ich als Führer ja über die Maschinen nach Gutdünken verfügen konnte, sondern auch die andel tri Besatzungen konnten sich so oft zu Feindflügen melden, wie sie wollten. In dieser Zeit stieg die Leistungsfähigkeit unseres Geschwaders von Tag zu Tag, und die Heeresberichte meldeten täglich von ganz gewaltigen Bombenmengen, mit denen der Feind belegt worden war. Dennoch wurde das, was wir taten, niemals zur Rekordhascherei, sondern wir blieben uns stets bewußt, daßes in erster Linie galt, unsere Infanterie zu unterstützen und den feindlichen Luftgegner niederzuzwingen.

Als Staffelführer hat man natürlich auch andere Sorgen. In Italien gab es viel und billigen Wein, der geeignet war, die Manneszucht zu untergraben. Es konnte leicht zu Achtungsverletzungen und anderen Delikten kommen, die nach den Kriegsgesetzen hart bestraft werden mußten, woran ich wenig Freude hatte. Lieber beugte ich vor, nahm Unteroffiziere und Mannschaften zusammen und erklärte ihnen, daßich ein großes Fest veranstalten wollte, aber am nächsten Morgen dürfte es keinerlei Meldungen von Achtungsverletzungen und ähnlichen Dingen geben. Dann machte ich bekannt, daßes auf Kosten der Staffel so viel Wein geben sollte, wie jeder trinken mochte und konnte. Am nächsten Tage —er war dienstfrei, und das Fest soll, wie ich erfuhr, sehr schön gewesen sein —sah ich auf unserem Platz hinter jedem von den wenigen Büschen schnarchende Schläfer, und einem Teil von ihnen war so übel, daßsie heilige Eide schworen, nie wieder von dem verteufelten Wein zu trinken. Fast alle waren kuriert; der Spott der Kameraden, den jene, die am Leben verzweifelten, ertragen mußten, war heilsam genug gewesen, und auf diese Weise erreichte ich, was ich mit den strengsten Arreststrafen niemals zuwege gebracht hätte.

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